Unterdessen war der Mann herangekommen. "Bist Du's, Marie?" sagte er; "warum kommst Du nicht allein?" -- "Weil ich sie nicht losgelassen habe; sagte ich, und sie auch nicht loslassen will, bis ich weiß, wo sie bleibt." -- "In Gottes Hut, und unter dem Schutz eines Freundes;" sagte der Mann. Das klang so treu und gut, daß all' meine Angst und Sorge in einem Augenblick verschwunden war.
Der Mond trat aus den Wolken hervor, und ich konnte den Mann, der jetzt neben uns herging, etwas deutlicher sehen. Er war klein und nicht mehr jung; und hatte eine Habichtsnase, wie der Jude von gestern Morgen. Er hatte einen langen Ueberrock an, und als der Wind denselben auseinander wehte, sah ich beim Schein des Mondes den Lauf einer Pistole blinken, die in einem Gürtel steckte, den er um den Leib geschnallt trug.
Einige Schritte weiter hielt eine mit zwei Pferden bespannte Kutsche. "Es ist die höchste Zeit"; sagte der Mann auf dem Bocke. Er sprach plattdeutsch, und mir war, als ob ich die Stimme kannte. "Schnell, schnell", sagte der kleine Mann mit der Brille und drängte Marie nach dem herabgelassenen Wagentritt. "Adieu, adieu", schluchzte Marie, mich noch einmal umarmend, und als ihr Kopf für einen Augenblick
Unterdeſſen war der Mann herangekommen. „Biſt Du's, Marie?“ ſagte er; „warum kommſt Du nicht allein?“ — „Weil ich ſie nicht losgelaſſen habe; ſagte ich, und ſie auch nicht loslaſſen will, bis ich weiß, wo ſie bleibt.“ — „In Gottes Hut, und unter dem Schutz eines Freundes;“ ſagte der Mann. Das klang ſo treu und gut, daß all' meine Angſt und Sorge in einem Augenblick verſchwunden war.
Der Mond trat aus den Wolken hervor, und ich konnte den Mann, der jetzt neben uns herging, etwas deutlicher ſehen. Er war klein und nicht mehr jung; und hatte eine Habichtsnaſe, wie der Jude von geſtern Morgen. Er hatte einen langen Ueberrock an, und als der Wind denſelben auseinander wehte, ſah ich beim Schein des Mondes den Lauf einer Piſtole blinken, die in einem Gürtel ſteckte, den er um den Leib geſchnallt trug.
Einige Schritte weiter hielt eine mit zwei Pferden beſpannte Kutſche. „Es iſt die höchſte Zeit“; ſagte der Mann auf dem Bocke. Er ſprach plattdeutſch, und mir war, als ob ich die Stimme kannte. „Schnell, ſchnell“, ſagte der kleine Mann mit der Brille und drängte Marie nach dem herabgelaſſenen Wagentritt. „Adieu, adieu“, ſchluchzte Marie, mich noch einmal umarmend, und als ihr Kopf für einen Augenblick
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Unterdeſſen war der Mann herangekommen. „Biſt
Du's, Marie?“ ſagte er; „warum kommſt Du nicht
allein?“ — „Weil ich ſie nicht losgelaſſen habe; ſagte
ich, und ſie auch nicht loslaſſen will, bis ich weiß, wo
ſie bleibt.“ — „In Gottes Hut, und unter dem
Schutz eines Freundes;“ ſagte der Mann. Das klang
ſo treu und gut, daß all' meine Angſt und Sorge in
einem Augenblick verſchwunden war.
Der Mond trat aus den Wolken hervor, und ich
konnte den Mann, der jetzt neben uns herging, etwas
deutlicher ſehen. Er war klein und nicht mehr jung;
und hatte eine Habichtsnaſe, wie der Jude von geſtern
Morgen. Er hatte einen langen Ueberrock an, und
als der Wind denſelben auseinander wehte, ſah ich
beim Schein des Mondes den Lauf einer Piſtole
blinken, die in einem Gürtel ſteckte, den er um den
Leib geſchnallt trug.
Einige Schritte weiter hielt eine mit zwei Pferden
beſpannte Kutſche. „Es iſt die höchſte Zeit“; ſagte
der Mann auf dem Bocke. Er ſprach plattdeutſch,
und mir war, als ob ich die Stimme kannte. „Schnell,
ſchnell“, ſagte der kleine Mann mit der Brille und
drängte Marie nach dem herabgelaſſenen Wagentritt.
„Adieu, adieu“, ſchluchzte Marie, mich noch einmal
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/266>, abgerufen am 16.02.2025.
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