Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.Mutter Clausen hatte ihr Strickzeug zur Hand "Nicht wahr, Junker, es sitzt sich gut in dem Mutter Clauſen hatte ihr Strickzeug zur Hand „Nicht wahr, Junker, es ſitzt ſich gut in dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0232" n="222"/> <p>Mutter Clauſen hatte ihr Strickzeug zur Hand<lb/> genommen, und ſtrickte wieder wie neulich an einem<lb/> winzigen Kinderſtrümpfchen, emſig, emſig, emſig, daß<lb/> die Nadeln klapperten. Nur von Zeit zu Zeit ſchaute<lb/> ſie zu Oswald empor und nickte ihm freundlich<lb/> zu, als freute ſie ſich, daβ er gar ſo bequem in<lb/> dem alten weichen Lehnſtuhl ſäße, hier in der<lb/> trockenen Stube, während es draußen ſo unbarm¬<lb/> herzig regnete.</p><lb/> <p>„Nicht wahr, Junker, es ſitzt ſich gut in dem<lb/> Stuhl?“ ſagte ſie für einen Augenblick das Strickzeug<lb/> in den Schooß und die rechte Hand auf Oswald's<lb/> Knie legend. „Die gnädige Frau hat ihn mir ge¬<lb/> ſchenkt, als der Baron geſtorben war. Sie konnte<lb/> den Anblick nicht ertragen, ſagte ſie, denn ſie müſſe<lb/> dabei ſtets an den Augenblick denken, wo die Leute<lb/> ihn hereintrugen, als er mit dem Wodan geſtürzt<lb/> war, und hier in dieſen Stuhl ſetzten; und Harald<lb/> kam herbeigelaufen, und ſchrie, als er den Vater ſo<lb/> bleich und entſtellt ſah, und ſie ſelbſt lief im Zimmer<lb/> umher und rang die Hände, und ich ſtand neben dem<lb/> Baron, und wiſchte ihm den Todesſchweiß von der<lb/> blaſſen Stirn. Ich hatte damals keine Zeit zum<lb/> Weinen, ich wußte es wohl, daβ ich hernach Zeit<lb/> genug dazu haben würde.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [222/0232]
Mutter Clauſen hatte ihr Strickzeug zur Hand
genommen, und ſtrickte wieder wie neulich an einem
winzigen Kinderſtrümpfchen, emſig, emſig, emſig, daß
die Nadeln klapperten. Nur von Zeit zu Zeit ſchaute
ſie zu Oswald empor und nickte ihm freundlich
zu, als freute ſie ſich, daβ er gar ſo bequem in
dem alten weichen Lehnſtuhl ſäße, hier in der
trockenen Stube, während es draußen ſo unbarm¬
herzig regnete.
„Nicht wahr, Junker, es ſitzt ſich gut in dem
Stuhl?“ ſagte ſie für einen Augenblick das Strickzeug
in den Schooß und die rechte Hand auf Oswald's
Knie legend. „Die gnädige Frau hat ihn mir ge¬
ſchenkt, als der Baron geſtorben war. Sie konnte
den Anblick nicht ertragen, ſagte ſie, denn ſie müſſe
dabei ſtets an den Augenblick denken, wo die Leute
ihn hereintrugen, als er mit dem Wodan geſtürzt
war, und hier in dieſen Stuhl ſetzten; und Harald
kam herbeigelaufen, und ſchrie, als er den Vater ſo
bleich und entſtellt ſah, und ſie ſelbſt lief im Zimmer
umher und rang die Hände, und ich ſtand neben dem
Baron, und wiſchte ihm den Todesſchweiß von der
blaſſen Stirn. Ich hatte damals keine Zeit zum
Weinen, ich wußte es wohl, daβ ich hernach Zeit
genug dazu haben würde.“
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