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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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tollen Barone, gegen die Sie eine so gründliche An¬
tipathie zu haben vorgeben, vielleicht auch wirklich
haben, etwa so wie eine Dogge, die an den Karren
gespannt ist, eine Anthipathie gegen die andere hat,
die frei umherläuft."

"Aber was, ums Himmelswillen, bringt Sie --
was berechtigt Sie zu diesen wunderlichen Hypo¬
thesen?"

"Meine tiefsinnigen und ebenso oberflächlichen, wie
tiefsinnigen Studien in der Physiognomik," erwiederte
Albert. "Ich war ein Adept dieser Wissenschaft von
Kindesbein an, ja ein Märtyrer derselben, denn ich
habe mir für den allzugroßen Eifer, mit dem ich ihr
oblag, oft sehr derbe Prügel geholt, wenn ich in den
Schulstunden, anstatt aufzupassen, die geistreichsten
Karrikaturen von den Spatzen-, Affen-, Schafs- und
anderen Köpfen um mich her zeichnete; denn Ihnen
brauche ich natürlich nicht zu sagen, daß man das
Charakteristische eines Gesichts, einer Gestalt am
schnellsten faßt, wenn man sie zu karrikiren versucht.
Aus Ihrem Gesicht nun, wenn ich das Charakte¬
ristische stark betone, wird das schmermüthige, und bei
aller Schwermuth so verführerisch-sinnliche Gottseibei¬
uns-Gesicht der Grenwitzer, -- Gottseibeiuns-Gesicht,
nämlich aus der armen Seele oder für die arme

tollen Barone, gegen die Sie eine ſo gründliche An¬
tipathie zu haben vorgeben, vielleicht auch wirklich
haben, etwa ſo wie eine Dogge, die an den Karren
geſpannt iſt, eine Anthipathie gegen die andere hat,
die frei umherläuft.“

„Aber was, ums Himmelswillen, bringt Sie —
was berechtigt Sie zu dieſen wunderlichen Hypo¬
theſen?“

„Meine tiefſinnigen und ebenſo oberflächlichen, wie
tiefſinnigen Studien in der Phyſiognomik,“ erwiederte
Albert. „Ich war ein Adept dieſer Wiſſenſchaft von
Kindesbein an, ja ein Märtyrer derſelben, denn ich
habe mir für den allzugroßen Eifer, mit dem ich ihr
oblag, oft ſehr derbe Prügel geholt, wenn ich in den
Schulſtunden, anſtatt aufzupaſſen, die geiſtreichſten
Karrikaturen von den Spatzen-, Affen-, Schafs- und
anderen Köpfen um mich her zeichnete; denn Ihnen
brauche ich natürlich nicht zu ſagen, daß man das
Charakteriſtiſche eines Geſichts, einer Geſtalt am
ſchnellſten faßt, wenn man ſie zu karrikiren verſucht.
Aus Ihrem Geſicht nun, wenn ich das Charakte¬
riſtiſche ſtark betone, wird das ſchmermüthige, und bei
aller Schwermuth ſo verführeriſch-ſinnliche Gottſeibei¬
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[215/0225] tollen Barone, gegen die Sie eine ſo gründliche An¬ tipathie zu haben vorgeben, vielleicht auch wirklich haben, etwa ſo wie eine Dogge, die an den Karren geſpannt iſt, eine Anthipathie gegen die andere hat, die frei umherläuft.“ „Aber was, ums Himmelswillen, bringt Sie — was berechtigt Sie zu dieſen wunderlichen Hypo¬ theſen?“ „Meine tiefſinnigen und ebenſo oberflächlichen, wie tiefſinnigen Studien in der Phyſiognomik,“ erwiederte Albert. „Ich war ein Adept dieſer Wiſſenſchaft von Kindesbein an, ja ein Märtyrer derſelben, denn ich habe mir für den allzugroßen Eifer, mit dem ich ihr oblag, oft ſehr derbe Prügel geholt, wenn ich in den Schulſtunden, anſtatt aufzupaſſen, die geiſtreichſten Karrikaturen von den Spatzen-, Affen-, Schafs- und anderen Köpfen um mich her zeichnete; denn Ihnen brauche ich natürlich nicht zu ſagen, daß man das Charakteriſtiſche eines Geſichts, einer Geſtalt am ſchnellſten faßt, wenn man ſie zu karrikiren verſucht. Aus Ihrem Geſicht nun, wenn ich das Charakte¬ riſtiſche ſtark betone, wird das ſchmermüthige, und bei aller Schwermuth ſo verführeriſch-ſinnliche Gottſeibei¬ uns-Geſicht der Grenwitzer, — Gottſeibeiuns-Geſicht, nämlich aus der armen Seele oder für die arme

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/225>, abgerufen am 23.11.2024.