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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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Albert brauchte nicht mehr Zeit, sich an einem
fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um sein
Zelt aufzuschlagen. Und von einer Einrichtung konnte
eigentlich bei ihm keine Rede sein. Er überließ es
jeder seiner Sachen, deren nicht viele waren, sich in
seinem Zimmer einen Platz zu suchen. Wollte der
eine Stiefel lieber auf dem Stuhle stehen und der
andere mit dem Absatz nach oben auf der Erde liegen --
er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬
zige einigermaßen respectable Kleidungsstück, dessen er
sich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬
lancholisch aussehenden Koffers zu einem unförmlichen
Bündel geballt, zwischen schmutziger Wäsche sein Da¬
sein zu vergessen, -- er wollte ihn in seinem Ver¬
gnügen nicht stören. Und er selbst, der glückliche Be¬
sitzer all' dieser emancipirten Herrlichkeiten, stand trotz
des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes
Reißbrett gebeugt und pfiff und sang und zeichnete
und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬
suchen, kam, wegen seiner Leichenbittermiene, wie er
es nannte, aus.

"Dottore, Dottore!" rief er, "Sie sehen aus, als
ob Sie von dem Grog, den ich gestern Abend ge¬
trunken, den wildesten Katzenjammer gehabt hätten!
Wahrhaftig, Sie beschämen das Wetter! Die Wolken

Albert brauchte nicht mehr Zeit, ſich an einem
fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um ſein
Zelt aufzuſchlagen. Und von einer Einrichtung konnte
eigentlich bei ihm keine Rede ſein. Er überließ es
jeder ſeiner Sachen, deren nicht viele waren, ſich in
ſeinem Zimmer einen Platz zu ſuchen. Wollte der
eine Stiefel lieber auf dem Stuhle ſtehen und der
andere mit dem Abſatz nach oben auf der Erde liegen —
er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬
zige einigermaßen reſpectable Kleidungsſtück, deſſen er
ſich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬
lancholiſch ausſehenden Koffers zu einem unförmlichen
Bündel geballt, zwiſchen ſchmutziger Wäſche ſein Da¬
ſein zu vergeſſen, — er wollte ihn in ſeinem Ver¬
gnügen nicht ſtören. Und er ſelbſt, der glückliche Be¬
ſitzer all' dieſer emancipirten Herrlichkeiten, ſtand trotz
des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes
Reißbrett gebeugt und pfiff und ſang und zeichnete
und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬
ſuchen, kam, wegen ſeiner Leichenbittermiene, wie er
es nannte, aus.

„Dottore, Dottore!“ rief er, „Sie ſehen aus, als
ob Sie von dem Grog, den ich geſtern Abend ge¬
trunken, den wildeſten Katzenjammer gehabt hätten!
Wahrhaftig, Sie beſchämen das Wetter! Die Wolken

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[202/0212] Albert brauchte nicht mehr Zeit, ſich an einem fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um ſein Zelt aufzuſchlagen. Und von einer Einrichtung konnte eigentlich bei ihm keine Rede ſein. Er überließ es jeder ſeiner Sachen, deren nicht viele waren, ſich in ſeinem Zimmer einen Platz zu ſuchen. Wollte der eine Stiefel lieber auf dem Stuhle ſtehen und der andere mit dem Abſatz nach oben auf der Erde liegen — er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬ zige einigermaßen reſpectable Kleidungsſtück, deſſen er ſich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬ lancholiſch ausſehenden Koffers zu einem unförmlichen Bündel geballt, zwiſchen ſchmutziger Wäſche ſein Da¬ ſein zu vergeſſen, — er wollte ihn in ſeinem Ver¬ gnügen nicht ſtören. Und er ſelbſt, der glückliche Be¬ ſitzer all' dieſer emancipirten Herrlichkeiten, ſtand trotz des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes Reißbrett gebeugt und pfiff und ſang und zeichnete und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬ ſuchen, kam, wegen ſeiner Leichenbittermiene, wie er es nannte, aus. „Dottore, Dottore!“ rief er, „Sie ſehen aus, als ob Sie von dem Grog, den ich geſtern Abend ge¬ trunken, den wildeſten Katzenjammer gehabt hätten! Wahrhaftig, Sie beſchämen das Wetter! Die Wolken

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/212>, abgerufen am 23.11.2024.