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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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jungen Damen vom Hause zu Tische, ein hübsches
blondes Mädchen, dessen Munterkeit mich während des
Anfangs der Mahlzeit hinreichend fesselte. Als aber
die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen,
die seit einem Jahre aus der Schule sind, abzuhandeln
pflegt, durchgesprochen waren, wurde ich auf einen
Herrn aufmerksam, der mir gegenübersaß. Es war
ein untersetzter, schon ältlicher Mann, mit einer massiven,
wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar
kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen
verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die sich denn
auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten
Gaben der Ceres und des Bacchus zusprach, deutlich
genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen,
breiten Mund waren geradezu räthselhaft: Sinnlichkeit,
Witz, Schalkheit und Melancholie -- Dämonen und
Genien -- schienen dort zu spielen.

Das Gespräch wurde an diesem Theile der Tafel
bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬
dringlich zu erscheinen, hineinmischen. Man sprach
über Kunst, Literatur, Politik. Ueberall schien der
merkwürdige Mann zu Hause, überall überraschte er
uns durch die geistvollsten Apercüs, durch blendende
Antithesen und wunderliche Paradoxen. Ja, er schien
seine Freude daran zu haben, wenn er so ein Tröpf¬

F. Spielhagen, Problematische Naturen. I. 2

jungen Damen vom Hauſe zu Tiſche, ein hübſches
blondes Mädchen, deſſen Munterkeit mich während des
Anfangs der Mahlzeit hinreichend feſſelte. Als aber
die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen,
die ſeit einem Jahre aus der Schule ſind, abzuhandeln
pflegt, durchgeſprochen waren, wurde ich auf einen
Herrn aufmerkſam, der mir gegenüberſaß. Es war
ein unterſetzter, ſchon ältlicher Mann, mit einer maſſiven,
wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar
kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen
verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die ſich denn
auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten
Gaben der Ceres und des Bacchus zuſprach, deutlich
genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen,
breiten Mund waren geradezu räthſelhaft: Sinnlichkeit,
Witz, Schalkheit und Melancholie — Dämonen und
Genien — ſchienen dort zu ſpielen.

Das Geſpräch wurde an dieſem Theile der Tafel
bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬
dringlich zu erſcheinen, hineinmiſchen. Man ſprach
über Kunſt, Literatur, Politik. Ueberall ſchien der
merkwürdige Mann zu Hauſe, überall überraſchte er
uns durch die geiſtvollſten Aperçüs, durch blendende
Antitheſen und wunderliche Paradoxen. Ja, er ſchien
ſeine Freude daran zu haben, wenn er ſo ein Tröpf¬

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[17/0027] jungen Damen vom Hauſe zu Tiſche, ein hübſches blondes Mädchen, deſſen Munterkeit mich während des Anfangs der Mahlzeit hinreichend feſſelte. Als aber die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen, die ſeit einem Jahre aus der Schule ſind, abzuhandeln pflegt, durchgeſprochen waren, wurde ich auf einen Herrn aufmerkſam, der mir gegenüberſaß. Es war ein unterſetzter, ſchon ältlicher Mann, mit einer maſſiven, wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die ſich denn auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten Gaben der Ceres und des Bacchus zuſprach, deutlich genug zu erkennen gab. Die Züge um den großen, breiten Mund waren geradezu räthſelhaft: Sinnlichkeit, Witz, Schalkheit und Melancholie — Dämonen und Genien — ſchienen dort zu ſpielen. Das Geſpräch wurde an dieſem Theile der Tafel bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne auf¬ dringlich zu erſcheinen, hineinmiſchen. Man ſprach über Kunſt, Literatur, Politik. Ueberall ſchien der merkwürdige Mann zu Hauſe, überall überraſchte er uns durch die geiſtvollſten Aperçüs, durch blendende Antitheſen und wunderliche Paradoxen. Ja, er ſchien ſeine Freude daran zu haben, wenn er ſo ein Tröpf¬ F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. I. 2

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/27>, abgerufen am 03.05.2024.