Ich hatte nämlich bald herausgefunden, daß die Stärksten und Größten in der Klasse auch zugleich immer die Dümmsten und Faulsten waren. Ich verfehlte also niemals mit ihnen ein Schutz- und Trutzbündniß ab¬ zuschließen, das hauptsächlich auf folgende zwei Be¬ dingungen basirt war: ich mache Dir Deine Arbeiten und dafür prügelst Du mich weder selbst, noch giebst Du zu, daß mich ein Anderer prügelt; und ich muß gestehen, daß dieser Vertrag stets unverbrüchlich ge¬ halten wurde. Als ich siebenzehn Jahre alt war, fand mein Lehrer, daß ich schon seit einem Jahre zur Uni¬ versität reif sei, wenn darunter nämlich verstanden wird, daß man mit Schulkenntnissen allerdings ange¬ füllt ist, wie ein Ei voll Dotter, im übrigen aber so unwissend und hülflos, wie ein Küchlein, das eben aus der Schale kroch. Daß ich Theologie studirte, stand natürlich für mich so fest, als daß ich einmal sterben müßte. Söhne von pensionirten Hauptleuten werden in's Cadettencorps gesteckt, und Söhne von armen Landpastoren in's theologische Seminar geschickt: das ist so selbstredend wie irgend ein anderes Stück der Naturgeschichte. -- Wohl; ich studirte also Theologie, das heißt, ich ging fleißig in's Colleg, und schrieb ganze Wagenladungen voll der abstrusesten Gelehrsam¬ keit. Im Uebrigen setzte ich so ziemlich mein Leben
Ich hatte nämlich bald herausgefunden, daß die Stärkſten und Größten in der Klaſſe auch zugleich immer die Dümmſten und Faulſten waren. Ich verfehlte alſo niemals mit ihnen ein Schutz- und Trutzbündniß ab¬ zuſchließen, das hauptſächlich auf folgende zwei Be¬ dingungen baſirt war: ich mache Dir Deine Arbeiten und dafür prügelſt Du mich weder ſelbſt, noch giebſt Du zu, daß mich ein Anderer prügelt; und ich muß geſtehen, daß dieſer Vertrag ſtets unverbrüchlich ge¬ halten wurde. Als ich ſiebenzehn Jahre alt war, fand mein Lehrer, daß ich ſchon ſeit einem Jahre zur Uni¬ verſität reif ſei, wenn darunter nämlich verſtanden wird, daß man mit Schulkenntniſſen allerdings ange¬ füllt iſt, wie ein Ei voll Dotter, im übrigen aber ſo unwiſſend und hülflos, wie ein Küchlein, das eben aus der Schale kroch. Daß ich Theologie ſtudirte, ſtand natürlich für mich ſo feſt, als daß ich einmal ſterben müßte. Söhne von penſionirten Hauptleuten werden in's Cadettencorps geſteckt, und Söhne von armen Landpaſtoren in's theologiſche Seminar geſchickt: das iſt ſo ſelbſtredend wie irgend ein anderes Stück der Naturgeſchichte. — Wohl; ich ſtudirte alſo Theologie, das heißt, ich ging fleißig in's Colleg, und ſchrieb ganze Wagenladungen voll der abſtruſeſten Gelehrſam¬ keit. Im Uebrigen ſetzte ich ſo ziemlich mein Leben
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0247"n="237"/>
Ich hatte nämlich bald herausgefunden, daß die Stärkſten<lb/>
und Größten in der Klaſſe auch zugleich immer die<lb/>
Dümmſten und Faulſten waren. Ich verfehlte alſo<lb/>
niemals mit ihnen ein Schutz- und Trutzbündniß ab¬<lb/>
zuſchließen, das hauptſächlich auf folgende zwei Be¬<lb/>
dingungen baſirt war: ich mache Dir Deine Arbeiten<lb/>
und dafür prügelſt Du mich weder ſelbſt, noch giebſt<lb/>
Du zu, daß mich ein Anderer prügelt; und ich muß<lb/>
geſtehen, daß dieſer Vertrag ſtets unverbrüchlich ge¬<lb/>
halten wurde. Als ich ſiebenzehn Jahre alt war, fand<lb/>
mein Lehrer, daß ich ſchon ſeit einem Jahre zur Uni¬<lb/>
verſität reif ſei, wenn darunter nämlich verſtanden<lb/>
wird, daß man mit Schulkenntniſſen allerdings ange¬<lb/>
füllt iſt, wie ein Ei voll Dotter, im übrigen aber ſo<lb/>
unwiſſend und hülflos, wie ein Küchlein, das eben aus<lb/>
der Schale kroch. Daß ich Theologie ſtudirte, ſtand<lb/>
natürlich für mich ſo feſt, als daß ich einmal ſterben<lb/>
müßte. Söhne von penſionirten Hauptleuten werden<lb/>
in's Cadettencorps geſteckt, und Söhne von armen<lb/>
Landpaſtoren in's theologiſche Seminar geſchickt: das<lb/>
iſt ſo ſelbſtredend wie irgend ein anderes Stück der<lb/>
Naturgeſchichte. — Wohl; ich ſtudirte alſo Theologie,<lb/>
das heißt, ich ging fleißig in's Colleg, und ſchrieb<lb/>
ganze Wagenladungen voll der abſtruſeſten Gelehrſam¬<lb/>
keit. Im Uebrigen ſetzte ich ſo ziemlich mein Leben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[237/0247]
Ich hatte nämlich bald herausgefunden, daß die Stärkſten
und Größten in der Klaſſe auch zugleich immer die
Dümmſten und Faulſten waren. Ich verfehlte alſo
niemals mit ihnen ein Schutz- und Trutzbündniß ab¬
zuſchließen, das hauptſächlich auf folgende zwei Be¬
dingungen baſirt war: ich mache Dir Deine Arbeiten
und dafür prügelſt Du mich weder ſelbſt, noch giebſt
Du zu, daß mich ein Anderer prügelt; und ich muß
geſtehen, daß dieſer Vertrag ſtets unverbrüchlich ge¬
halten wurde. Als ich ſiebenzehn Jahre alt war, fand
mein Lehrer, daß ich ſchon ſeit einem Jahre zur Uni¬
verſität reif ſei, wenn darunter nämlich verſtanden
wird, daß man mit Schulkenntniſſen allerdings ange¬
füllt iſt, wie ein Ei voll Dotter, im übrigen aber ſo
unwiſſend und hülflos, wie ein Küchlein, das eben aus
der Schale kroch. Daß ich Theologie ſtudirte, ſtand
natürlich für mich ſo feſt, als daß ich einmal ſterben
müßte. Söhne von penſionirten Hauptleuten werden
in's Cadettencorps geſteckt, und Söhne von armen
Landpaſtoren in's theologiſche Seminar geſchickt: das
iſt ſo ſelbſtredend wie irgend ein anderes Stück der
Naturgeſchichte. — Wohl; ich ſtudirte alſo Theologie,
das heißt, ich ging fleißig in's Colleg, und ſchrieb
ganze Wagenladungen voll der abſtruſeſten Gelehrſam¬
keit. Im Uebrigen ſetzte ich ſo ziemlich mein Leben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/247>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.