macht, wie einer jungen Katze. Welchen Weg nehmen wir?"
"Ich denke, wir gehen durch den Wald," sagte Oswald.
Sie gingen über die Zugbrücke, die seit zwei Jahr¬ hunderten nicht mehr aufgezogen werden konnte, durch die Lindenallee in den Wald, Herr Bemperlein und Oswald voran, Bruno und Julius folgten in einiger Entfernung. Bruno hatte den Arm um Julius' Nacken geschlungen, er hatte heute, oder wollte heute für nichts Interesse haben, als für seinen Freund, den er immer sehr geliebt und auf dessen braune Augen er mehr als ein Gedicht gemacht hatte, und den er jetzt in der Tren¬ nungsstunde mit stürmischen Zärtlichkeiten überhäufte.
"Du wirst fortreisen, Julius," klagte er, "und wenn Du drei Tage fort bist, wirst Du mich vergessen haben."
"Ich werde Dich nie vergessen, Bruno."
"So? weißt Du das gewiß? Da hast Du ein besseres Gedächtniß, wie Oswald, -- ich meine Herrn Doctor Stein. Der hat mir auch gesagt, daß er mich lieb hätte wie einen Bruder, und seit vorgestern Abend weiß er nicht mehr, daß ich auf der Welt bin. Jetzt erzählt er wahrscheinlich Herrn Bemperlein, daß er ihn wie seinen Bruder liebt; sieh nur, wie er ihm
macht, wie einer jungen Katze. Welchen Weg nehmen wir?“
„Ich denke, wir gehen durch den Wald,“ ſagte Oſwald.
Sie gingen über die Zugbrücke, die ſeit zwei Jahr¬ hunderten nicht mehr aufgezogen werden konnte, durch die Lindenallee in den Wald, Herr Bemperlein und Oſwald voran, Bruno und Julius folgten in einiger Entfernung. Bruno hatte den Arm um Julius' Nacken geſchlungen, er hatte heute, oder wollte heute für nichts Intereſſe haben, als für ſeinen Freund, den er immer ſehr geliebt und auf deſſen braune Augen er mehr als ein Gedicht gemacht hatte, und den er jetzt in der Tren¬ nungsſtunde mit ſtürmiſchen Zärtlichkeiten überhäufte.
„Du wirſt fortreiſen, Julius,“ klagte er, „und wenn Du drei Tage fort biſt, wirſt Du mich vergeſſen haben.“
„Ich werde Dich nie vergeſſen, Bruno.“
„So? weißt Du das gewiß? Da haſt Du ein beſſeres Gedächtniß, wie Oſwald, — ich meine Herrn Doctor Stein. Der hat mir auch geſagt, daß er mich lieb hätte wie einen Bruder, und ſeit vorgeſtern Abend weiß er nicht mehr, daß ich auf der Welt bin. Jetzt erzählt er wahrſcheinlich Herrn Bemperlein, daß er ihn wie ſeinen Bruder liebt; ſieh nur, wie er ihm
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macht, wie einer jungen Katze. Welchen Weg nehmen
wir?“
„Ich denke, wir gehen durch den Wald,“ ſagte
Oſwald.
Sie gingen über die Zugbrücke, die ſeit zwei Jahr¬
hunderten nicht mehr aufgezogen werden konnte, durch
die Lindenallee in den Wald, Herr Bemperlein und
Oſwald voran, Bruno und Julius folgten in einiger
Entfernung. Bruno hatte den Arm um Julius' Nacken
geſchlungen, er hatte heute, oder wollte heute für nichts
Intereſſe haben, als für ſeinen Freund, den er immer ſehr
geliebt und auf deſſen braune Augen er mehr als ein
Gedicht gemacht hatte, und den er jetzt in der Tren¬
nungsſtunde mit ſtürmiſchen Zärtlichkeiten überhäufte.
„Du wirſt fortreiſen, Julius,“ klagte er, „und
wenn Du drei Tage fort biſt, wirſt Du mich vergeſſen
haben.“
„Ich werde Dich nie vergeſſen, Bruno.“
„So? weißt Du das gewiß? Da haſt Du ein
beſſeres Gedächtniß, wie Oſwald, — ich meine Herrn
Doctor Stein. Der hat mir auch geſagt, daß er mich
lieb hätte wie einen Bruder, und ſeit vorgeſtern Abend
weiß er nicht mehr, daß ich auf der Welt bin. Jetzt
erzählt er wahrſcheinlich Herrn Bemperlein, daß er
ihn wie ſeinen Bruder liebt; ſieh nur, wie er ihm
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/242>, abgerufen am 16.02.2025.
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