fragte sich der junge Mann, als er, voll von dem Ein¬ druck dieser kleinen Scene, in sein Zimmer zurückschritt. Er stellte das Licht wieder auf den Tisch, trat an's Fenster, öffnete es und lehnte sich hinaus.
Der Himmel hatte sich mit Wolkendunst bedeckt, durch den der volle Mond, der schon tief am Himmel stand, nur als dunkelrothe Feuerkugel schien. Im Osten wetterleuchtete es. Die Luft war schwül und drückend. In dem Schloßgarten tief unter dem Fenster schimmerten die weißen Blüthenbäume. Tiefer finstrer Schatten lag auf den Buchen und Eichen, die von dem hohen Wall, der den Garten umgab, riesig in den Himmel wuchsen. Nachtigallen schlugen in vollen langgezogenen Tönen; ein Brunnen plätscherte leise, wie im Schlaf.
Oswald fühlte sich seltsam bewegt. Seine Vergangen¬ heit ging in dämmernden Bildern an seinem Geiste vorüber, wie die Wolkenschleier an dem Monde vor¬ über wallten; Ahnungen der Zukunft zuckten dazwischen, wie das Wetterleuchten gegen Aufgang. Da rauschte es lauter in den Bäumen, die helle Glocke, die ihn bei seiner Ankunft begrüßt hatte, schlug langsam zwölf.
Er fuhr empor. "Du wolltest dir ja das Träumen abgewöhnen." sprach er lächelnd zu sich selbst. "So schlafe denn, da du, ohne zu träumen, nicht mehr wachen kannst."
fragte ſich der junge Mann, als er, voll von dem Ein¬ druck dieſer kleinen Scene, in ſein Zimmer zurückſchritt. Er ſtellte das Licht wieder auf den Tiſch, trat an's Fenſter, öffnete es und lehnte ſich hinaus.
Der Himmel hatte ſich mit Wolkendunſt bedeckt, durch den der volle Mond, der ſchon tief am Himmel ſtand, nur als dunkelrothe Feuerkugel ſchien. Im Oſten wetterleuchtete es. Die Luft war ſchwül und drückend. In dem Schloßgarten tief unter dem Fenſter ſchimmerten die weißen Blüthenbäume. Tiefer finſtrer Schatten lag auf den Buchen und Eichen, die von dem hohen Wall, der den Garten umgab, rieſig in den Himmel wuchſen. Nachtigallen ſchlugen in vollen langgezogenen Tönen; ein Brunnen plätſcherte leiſe, wie im Schlaf.
Oswald fühlte ſich ſeltſam bewegt. Seine Vergangen¬ heit ging in dämmernden Bildern an ſeinem Geiſte vorüber, wie die Wolkenſchleier an dem Monde vor¬ über wallten; Ahnungen der Zukunft zuckten dazwiſchen, wie das Wetterleuchten gegen Aufgang. Da rauſchte es lauter in den Bäumen, die helle Glocke, die ihn bei ſeiner Ankunft begrüßt hatte, ſchlug langſam zwölf.
Er fuhr empor. „Du wollteſt dir ja das Träumen abgewöhnen.“ ſprach er lächelnd zu ſich ſelbſt. „So ſchlafe denn, da du, ohne zu träumen, nicht mehr wachen kannſt.“
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fragte ſich der junge Mann, als er, voll von dem Ein¬
druck dieſer kleinen Scene, in ſein Zimmer zurückſchritt.
Er ſtellte das Licht wieder auf den Tiſch, trat an's
Fenſter, öffnete es und lehnte ſich hinaus.
Der Himmel hatte ſich mit Wolkendunſt bedeckt,
durch den der volle Mond, der ſchon tief am Himmel
ſtand, nur als dunkelrothe Feuerkugel ſchien. Im
Oſten wetterleuchtete es. Die Luft war ſchwül und
drückend. In dem Schloßgarten tief unter dem Fenſter
ſchimmerten die weißen Blüthenbäume. Tiefer finſtrer
Schatten lag auf den Buchen und Eichen, die von dem
hohen Wall, der den Garten umgab, rieſig in den Himmel
wuchſen. Nachtigallen ſchlugen in vollen langgezogenen
Tönen; ein Brunnen plätſcherte leiſe, wie im Schlaf.
Oswald fühlte ſich ſeltſam bewegt. Seine Vergangen¬
heit ging in dämmernden Bildern an ſeinem Geiſte
vorüber, wie die Wolkenſchleier an dem Monde vor¬
über wallten; Ahnungen der Zukunft zuckten dazwiſchen,
wie das Wetterleuchten gegen Aufgang. Da rauſchte
es lauter in den Bäumen, die helle Glocke, die ihn bei
ſeiner Ankunft begrüßt hatte, ſchlug langſam zwölf.
Er fuhr empor. „Du wollteſt dir ja das Träumen
abgewöhnen.“ ſprach er lächelnd zu ſich ſelbſt. „So
ſchlafe denn, da du, ohne zu träumen, nicht mehr
wachen kannſt.“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/22>, abgerufen am 16.02.2025.
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