dieselben verschlafenen oder von Sorgen -- den bösen Träumen -- verdüsterten Alltagsgesichter. Die Sonne seiner Liebe, die ihn zu neuem Leben erweckte, für die Andern in der schwülen, dumpfigen Kammer ihres liebe- und freudelosen Daseins hat sie kein Licht und keine Wärme.
Das fühlte Oswald, als er am nächsten Morgen nach einem kurzen, unruhigen Schlaf, der sich wie ein trüber Lethestrom über die Erinnerungen des vergan¬ genen Tages gewälzt hatte, erwachte. Aber die Seele empfängt Eindrücke, die fürder kein Schlaf -- es wäre denn der letzte, ewige -- wieder verwischen kann; und so hatte er denn kaum die Augen aufgeschlagen, als das Bild jener herrlichen Frau mit leuchtender Klarheit vor seiner Seele stand. Was sich ereignet hatte bis zu dem Augenblicke, wo ihm das Venusbild in der dämmerigen Waldkapelle entgegenschwebte -- er hatte es vergessen; was nachher geschehen war, als er Me¬ litta, die ihm bis in die Nähe des Wagens durch den Wald das Geleit gegeben, zum letzten Male in seine Arme gepreßt hatte, -- er wußte es nicht mehr. Aber die Küsse, die er gegeben und empfangen, brannten noch auf seinen Lippen; aber der süße Athem, der sich mit dem seinen vermischt, umkoste ihn noch; aber die liebetiefen Augen, die in den seinigen geruht, sie strahlten
dieſelben verſchlafenen oder von Sorgen — den böſen Träumen — verdüſterten Alltagsgeſichter. Die Sonne ſeiner Liebe, die ihn zu neuem Leben erweckte, für die Andern in der ſchwülen, dumpfigen Kammer ihres liebe- und freudeloſen Daſeins hat ſie kein Licht und keine Wärme.
Das fühlte Oswald, als er am nächſten Morgen nach einem kurzen, unruhigen Schlaf, der ſich wie ein trüber Letheſtrom über die Erinnerungen des vergan¬ genen Tages gewälzt hatte, erwachte. Aber die Seele empfängt Eindrücke, die fürder kein Schlaf — es wäre denn der letzte, ewige — wieder verwiſchen kann; und ſo hatte er denn kaum die Augen aufgeſchlagen, als das Bild jener herrlichen Frau mit leuchtender Klarheit vor ſeiner Seele ſtand. Was ſich ereignet hatte bis zu dem Augenblicke, wo ihm das Venusbild in der dämmerigen Waldkapelle entgegenſchwebte — er hatte es vergeſſen; was nachher geſchehen war, als er Me¬ litta, die ihm bis in die Nähe des Wagens durch den Wald das Geleit gegeben, zum letzten Male in ſeine Arme gepreßt hatte, — er wußte es nicht mehr. Aber die Küſſe, die er gegeben und empfangen, brannten noch auf ſeinen Lippen; aber der ſüße Athem, der ſich mit dem ſeinen vermiſcht, umkoſte ihn noch; aber die liebetiefen Augen, die in den ſeinigen geruht, ſie ſtrahlten
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dieſelben verſchlafenen oder von Sorgen — den böſen
Träumen — verdüſterten Alltagsgeſichter. Die Sonne
ſeiner Liebe, die ihn zu neuem Leben erweckte, für die
Andern in der ſchwülen, dumpfigen Kammer ihres
liebe- und freudeloſen Daſeins hat ſie kein Licht und
keine Wärme.
Das fühlte Oswald, als er am nächſten Morgen
nach einem kurzen, unruhigen Schlaf, der ſich wie ein
trüber Letheſtrom über die Erinnerungen des vergan¬
genen Tages gewälzt hatte, erwachte. Aber die Seele
empfängt Eindrücke, die fürder kein Schlaf — es wäre
denn der letzte, ewige — wieder verwiſchen kann; und
ſo hatte er denn kaum die Augen aufgeſchlagen, als
das Bild jener herrlichen Frau mit leuchtender Klarheit
vor ſeiner Seele ſtand. Was ſich ereignet hatte bis
zu dem Augenblicke, wo ihm das Venusbild in der
dämmerigen Waldkapelle entgegenſchwebte — er hatte
es vergeſſen; was nachher geſchehen war, als er Me¬
litta, die ihm bis in die Nähe des Wagens durch den
Wald das Geleit gegeben, zum letzten Male in ſeine
Arme gepreßt hatte, — er wußte es nicht mehr. Aber
die Küſſe, die er gegeben und empfangen, brannten
noch auf ſeinen Lippen; aber der ſüße Athem, der ſich
mit dem ſeinen vermiſcht, umkoſte ihn noch; aber die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/215>, abgerufen am 23.11.2024.
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