Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861."Das Blatt wird verloren gehen," sagte Oswald. "Mag es!" antwortete Melitta. Der Ton, in welchem sie diese beiden Worte sprach, "Wie finden Sie den Kopf?" Ein Sturm brauste durch Oswald's Seele. Er "Es ist der Kopf eines Mannes, auf den mir Und haben alle Götter sich vereinigt, Dieser Mann wird niemals glücklich sein, weil er nie¬An seiner Wiege Gaben darzubringen, Die Grazien sind leider ausgeblieben -- mals wird glücklich sein wollen." "Und darum," sagte Melitta, "ist dieser Mann aus „Das Blatt wird verloren gehen,“ ſagte Oswald. „Mag es!“ antwortete Melitta. Der Ton, in welchem ſie dieſe beiden Worte ſprach, „Wie finden Sie den Kopf?“ Ein Sturm brauſte durch Oswald's Seele. Er „Es iſt der Kopf eines Mannes, auf den mir Und haben alle Götter ſich vereinigt, Dieſer Mann wird niemals glücklich ſein, weil er nie¬An ſeiner Wiege Gaben darzubringen, Die Grazien ſind leider ausgeblieben — mals wird glücklich ſein wollen.“ „Und darum,“ ſagte Melitta, „iſt dieſer Mann aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0186" n="176"/> <p>„Das Blatt wird verloren gehen,“ ſagte Oswald.</p><lb/> <p>„Mag es!“ antwortete Melitta.</p><lb/> <p>Der Ton, in welchem ſie dieſe beiden Worte ſprach,<lb/> war ſo eigenthümlich, ſo ganz ohne die gewöhnliche<lb/> Süßigkeit ihrer Stimme, daß Oswald unwillkürlich zu<lb/> ihr aufſchaute. Er ſah, daß ihre ſchönen Brauen wie<lb/> im Schmerz zuſammengezogen waren, und ihre Lippen<lb/> zuckten. Er ſenkte ſogleich ſeinen Blick und wollte das<lb/> Blatt umſchlagen. Melitta legte ihre Hand auf ſeinen<lb/> Arm und ſagte leiſe:</p><lb/> <p>„Wie finden Sie den Kopf?“</p><lb/> <p>Ein Sturm brauſte durch Oswald's Seele. Er<lb/> hätte ſich von dem Seſſel zu Melitta's Füßen werfen<lb/> und ausrufen mögen: ich liebe Dich ja, Melitta! Wie<lb/> kannſt Du mein Urtheil hören wollen über den Mann,<lb/> den Du geliebt haſt, vielleicht noch liebſt. . . Aber er<lb/> bezwang ſich und ſagte mit ſcheinbarer Ruhe:</p><lb/> <p>„Es iſt der Kopf eines Mannes, auf den mir<lb/> Taſſo's Worte zu paſſen ſcheinen:<lb/><lg type="poem"><l>Und haben alle Götter ſich vereinigt,</l><lb/><l>An ſeiner Wiege Gaben darzubringen,</l><lb/><l>Die Grazien ſind leider ausgeblieben —</l><lb/></lg> Dieſer Mann wird niemals glücklich ſein, weil er nie¬<lb/> mals wird glücklich ſein wollen.“</p><lb/> <p>„Und darum,“ ſagte Melitta, „iſt dieſer Mann aus<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [176/0186]
„Das Blatt wird verloren gehen,“ ſagte Oswald.
„Mag es!“ antwortete Melitta.
Der Ton, in welchem ſie dieſe beiden Worte ſprach,
war ſo eigenthümlich, ſo ganz ohne die gewöhnliche
Süßigkeit ihrer Stimme, daß Oswald unwillkürlich zu
ihr aufſchaute. Er ſah, daß ihre ſchönen Brauen wie
im Schmerz zuſammengezogen waren, und ihre Lippen
zuckten. Er ſenkte ſogleich ſeinen Blick und wollte das
Blatt umſchlagen. Melitta legte ihre Hand auf ſeinen
Arm und ſagte leiſe:
„Wie finden Sie den Kopf?“
Ein Sturm brauſte durch Oswald's Seele. Er
hätte ſich von dem Seſſel zu Melitta's Füßen werfen
und ausrufen mögen: ich liebe Dich ja, Melitta! Wie
kannſt Du mein Urtheil hören wollen über den Mann,
den Du geliebt haſt, vielleicht noch liebſt. . . Aber er
bezwang ſich und ſagte mit ſcheinbarer Ruhe:
„Es iſt der Kopf eines Mannes, auf den mir
Taſſo's Worte zu paſſen ſcheinen:
Und haben alle Götter ſich vereinigt,
An ſeiner Wiege Gaben darzubringen,
Die Grazien ſind leider ausgeblieben —
Dieſer Mann wird niemals glücklich ſein, weil er nie¬
mals wird glücklich ſein wollen.“
„Und darum,“ ſagte Melitta, „iſt dieſer Mann aus
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