für die Frau. Für sie giebt es nur eine Seligkeit auf Erden: zu lieben, und nur ein Glück: geliebt zu sein; und Melitta's seit Jahren nur mit oberflächlichen Nei¬ gungen, mit leeren Coquetterien hingehaltenes Herz schmachtete nach einer wahren tiefen Leidenschaft; und Melitta fand die halb ehrfurchtsvollen, halb kühnen, aber immer aufrichtig bewundernden, zärtlich liebkosen¬ den Blicke, mit denen der junge Mann an ihr hing und sie wie mit einem unsichtbaren Zaubernetz, dessen Maschen sich dichter und immer dichter woben, um¬ spann, viel zu süß, als daß sie dem, der ihr dies süße Glück gewährte, nicht von Herzen hätte dankbar sein sollen.
Sie fühlte sich unsäglich glücklich, und dennoch ernster gestimmt, als es wohl sonst ihre Gewohnheit war. Der Sturm der Leidenschaft, der in ihrer Seele langsam heraufzog, warf schon seine dunkeln Schatten über ihr sonnenhelles Gemüth, und sein erster Anhauch zerriß den leichten Schleier, den die Zeit mühsam über so manches heitere Bild vergangener Tage gewebt hatte. Während Oswald den Bildungsgang, den er für Julius am geeignetsten hielt, entwarf, dabei auf sein eigenes Leben zu sprechen kam, und die schöne Frau, gleichsam als ein Zeichen seiner Liebe und Ver¬ ehrung, so manchen Blick in das tiefgeheimste Leben
für die Frau. Für ſie giebt es nur eine Seligkeit auf Erden: zu lieben, und nur ein Glück: geliebt zu ſein; und Melitta's ſeit Jahren nur mit oberflächlichen Nei¬ gungen, mit leeren Coquetterien hingehaltenes Herz ſchmachtete nach einer wahren tiefen Leidenſchaft; und Melitta fand die halb ehrfurchtsvollen, halb kühnen, aber immer aufrichtig bewundernden, zärtlich liebkoſen¬ den Blicke, mit denen der junge Mann an ihr hing und ſie wie mit einem unſichtbaren Zaubernetz, deſſen Maſchen ſich dichter und immer dichter woben, um¬ ſpann, viel zu ſüß, als daß ſie dem, der ihr dies ſüße Glück gewährte, nicht von Herzen hätte dankbar ſein ſollen.
Sie fühlte ſich unſäglich glücklich, und dennoch ernſter geſtimmt, als es wohl ſonst ihre Gewohnheit war. Der Sturm der Leidenſchaft, der in ihrer Seele langſam heraufzog, warf ſchon ſeine dunkeln Schatten über ihr ſonnenhelles Gemüth, und ſein erſter Anhauch zerriß den leichten Schleier, den die Zeit mühſam über ſo manches heitere Bild vergangener Tage gewebt hatte. Während Oswald den Bildungsgang, den er für Julius am geeignetſten hielt, entwarf, dabei auf ſein eigenes Leben zu ſprechen kam, und die ſchöne Frau, gleichſam als ein Zeichen ſeiner Liebe und Ver¬ ehrung, ſo manchen Blick in das tiefgeheimſte Leben
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0174"n="164"/>
für die Frau. Für ſie giebt es nur eine Seligkeit auf<lb/>
Erden: zu lieben, und nur ein Glück: geliebt zu ſein;<lb/>
und Melitta's ſeit Jahren nur mit oberflächlichen Nei¬<lb/>
gungen, mit leeren Coquetterien hingehaltenes Herz<lb/>ſchmachtete nach einer wahren tiefen Leidenſchaft; und<lb/>
Melitta fand die halb ehrfurchtsvollen, halb kühnen,<lb/>
aber immer aufrichtig bewundernden, zärtlich liebkoſen¬<lb/>
den Blicke, mit denen der junge Mann an ihr hing<lb/>
und ſie wie mit einem unſichtbaren Zaubernetz, deſſen<lb/>
Maſchen ſich dichter und immer dichter woben, um¬<lb/>ſpann, viel zu ſüß, als daß ſie dem, der ihr dies ſüße<lb/>
Glück gewährte, nicht von Herzen hätte dankbar ſein<lb/>ſollen.</p><lb/><p>Sie fühlte ſich unſäglich glücklich, und dennoch<lb/>
ernſter geſtimmt, als es wohl ſonst ihre Gewohnheit<lb/>
war. Der Sturm der Leidenſchaft, der in ihrer Seele<lb/>
langſam heraufzog, warf ſchon ſeine dunkeln Schatten<lb/>
über ihr ſonnenhelles Gemüth, und ſein erſter Anhauch<lb/>
zerriß den leichten Schleier, den die Zeit mühſam über<lb/>ſo manches heitere Bild vergangener Tage gewebt<lb/>
hatte. Während Oswald den Bildungsgang, den er<lb/>
für Julius am geeignetſten hielt, entwarf, dabei auf<lb/>ſein eigenes Leben zu ſprechen kam, und die ſchöne<lb/>
Frau, gleichſam als ein Zeichen ſeiner Liebe und Ver¬<lb/>
ehrung, ſo manchen Blick in das tiefgeheimſte Leben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[164/0174]
für die Frau. Für ſie giebt es nur eine Seligkeit auf
Erden: zu lieben, und nur ein Glück: geliebt zu ſein;
und Melitta's ſeit Jahren nur mit oberflächlichen Nei¬
gungen, mit leeren Coquetterien hingehaltenes Herz
ſchmachtete nach einer wahren tiefen Leidenſchaft; und
Melitta fand die halb ehrfurchtsvollen, halb kühnen,
aber immer aufrichtig bewundernden, zärtlich liebkoſen¬
den Blicke, mit denen der junge Mann an ihr hing
und ſie wie mit einem unſichtbaren Zaubernetz, deſſen
Maſchen ſich dichter und immer dichter woben, um¬
ſpann, viel zu ſüß, als daß ſie dem, der ihr dies ſüße
Glück gewährte, nicht von Herzen hätte dankbar ſein
ſollen.
Sie fühlte ſich unſäglich glücklich, und dennoch
ernſter geſtimmt, als es wohl ſonst ihre Gewohnheit
war. Der Sturm der Leidenſchaft, der in ihrer Seele
langſam heraufzog, warf ſchon ſeine dunkeln Schatten
über ihr ſonnenhelles Gemüth, und ſein erſter Anhauch
zerriß den leichten Schleier, den die Zeit mühſam über
ſo manches heitere Bild vergangener Tage gewebt
hatte. Während Oswald den Bildungsgang, den er
für Julius am geeignetſten hielt, entwarf, dabei auf
ſein eigenes Leben zu ſprechen kam, und die ſchöne
Frau, gleichſam als ein Zeichen ſeiner Liebe und Ver¬
ehrung, ſo manchen Blick in das tiefgeheimſte Leben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/174>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.