schwellenden Wogen; still und unbeweglich trinkt es die Gluth der Sonne. Kaum daß es hier oder dort leise, ganz leise in einem der Bäume raschelt. Das erweckt dann wohl einen oder den andern der schlafenden Nach¬ barn, aber sie raunen nur dem Störenfried zu, daß jetzt keine Zeit zum Plaudern sei, und träumen weiter. Die Vögel harren, im dichtesten Laube versteckt, der Abendkühle. Das Weibchen schlummert auf dem Nest über den halbflüggen Jungen; das Männchen sitzt auf dem Zweige daneben, hat das Köpfchen unter den Flügel gesteckt und schlummert, müde von dem frühen Aufstehen, dem jubelnden Gesang den lieben langen Morgen hindurch und der eifrigen Jagd auf Mücken und Würmchen. Die wissen, daß es jetzt gute Zeit für sie ist, und tanzen lustig in den rothen Sonnen¬ strahlen, die heimlich durch die Zweige schlüpfen, und kriechen und krabbeln und hasten sich durch das warme, weiche Moos. Tiefe Ruhe! da tönt ein sonderbarer heiserer Schrei in kurzen, wie in Aerger schnell hinter¬ einander ausgestoßenen Tönen. Das ist der Falk, des Waldes Förster. Er ist ein schlimmer Gesell, den sein böses Gewissen nicht schlafen läßt, und deshalb klingt auch sein Ruf so grell und schrill, wie er jetzt stolz und einsam hoch droben in der blauen Luft über dem
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ſchwellenden Wogen; ſtill und unbeweglich trinkt es die Gluth der Sonne. Kaum daß es hier oder dort leiſe, ganz leiſe in einem der Bäume raſchelt. Das erweckt dann wohl einen oder den andern der ſchlafenden Nach¬ barn, aber ſie raunen nur dem Störenfried zu, daß jetzt keine Zeit zum Plaudern ſei, und träumen weiter. Die Vögel harren, im dichteſten Laube verſteckt, der Abendkühle. Das Weibchen ſchlummert auf dem Neſt über den halbflüggen Jungen; das Männchen ſitzt auf dem Zweige daneben, hat das Köpfchen unter den Flügel geſteckt und ſchlummert, müde von dem frühen Aufſtehen, dem jubelnden Geſang den lieben langen Morgen hindurch und der eifrigen Jagd auf Mücken und Würmchen. Die wiſſen, daß es jetzt gute Zeit für ſie iſt, und tanzen luſtig in den rothen Sonnen¬ ſtrahlen, die heimlich durch die Zweige ſchlüpfen, und kriechen und krabbeln und haſten ſich durch das warme, weiche Moos. Tiefe Ruhe! da tönt ein ſonderbarer heiſerer Schrei in kurzen, wie in Aerger ſchnell hinter¬ einander ausgeſtoßenen Tönen. Das iſt der Falk, des Waldes Förſter. Er iſt ein ſchlimmer Geſell, den ſein böſes Gewiſſen nicht ſchlafen läßt, und deshalb klingt auch ſein Ruf ſo grell und ſchrill, wie er jetzt ſtolz und einſam hoch droben in der blauen Luft über dem
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ſchwellenden Wogen; ſtill und unbeweglich trinkt es die
Gluth der Sonne. Kaum daß es hier oder dort leiſe,
ganz leiſe in einem der Bäume raſchelt. Das erweckt
dann wohl einen oder den andern der ſchlafenden Nach¬
barn, aber ſie raunen nur dem Störenfried zu, daß
jetzt keine Zeit zum Plaudern ſei, und träumen weiter.
Die Vögel harren, im dichteſten Laube verſteckt, der
Abendkühle. Das Weibchen ſchlummert auf dem Neſt
über den halbflüggen Jungen; das Männchen ſitzt auf
dem Zweige daneben, hat das Köpfchen unter den
Flügel geſteckt und ſchlummert, müde von dem frühen
Aufſtehen, dem jubelnden Geſang den lieben langen
Morgen hindurch und der eifrigen Jagd auf Mücken
und Würmchen. Die wiſſen, daß es jetzt gute Zeit
für ſie iſt, und tanzen luſtig in den rothen Sonnen¬
ſtrahlen, die heimlich durch die Zweige ſchlüpfen, und
kriechen und krabbeln und haſten ſich durch das warme,
weiche Moos. Tiefe Ruhe! da tönt ein ſonderbarer
heiſerer Schrei in kurzen, wie in Aerger ſchnell hinter¬
einander ausgeſtoßenen Tönen. Das iſt der Falk, des
Waldes Förſter. Er iſt ein ſchlimmer Geſell, den ſein
böſes Gewiſſen nicht ſchlafen läßt, und deshalb klingt
auch ſein Ruf ſo grell und ſchrill, wie er jetzt ſtolz
und einſam hoch droben in der blauen Luft über dem
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/141>, abgerufen am 25.11.2024.
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