ten, bis er sich seiner Amtstracht entledigt und seine "Gustava" von dem werthen Besuch benachrichtigt hätte.
Das Studirzimmer des geistlichen Herrn war ein großes, zweifenstriges Gemach, in welchem einige Bücher¬ schränke, einige Heiligenbilder an der Wand, ein hartes, mit schwarzem, glänzendem Zeuge überzogenes Sopha, ein runder, mit Büchern bedeckter Tisch in der Mitte, ein Stehpult mit einem Drehsessel davor in einem der Fenster, und eine mit Tabaksduft reichlich geschwängerte Atmosphäre, das dem Eintretenden zuerst in die Sinne Fallende war. Die letztgenannte Eigenthümlichkeit war so ausgesprochen, daß Oswald einen Fensterflügel öffnen mußte, wobei er eine starke Anwandlung verspürte, über die niedrige Brüstung auf die sonnebeschienene Dorfgasse zu springen und das Weite zu suchen.
Dieser Fluchtversuch wurde indessen durch die Zu¬ rückkunft des Pfarrers vereitelt. Der geistliche Herr präsentirte sich jetzt in einem Anzuge aus schwarzem, wie Fett glänzenden Sommerzeuge. Er bat Oswald einige Augenblicke in seiner "Klause" verziehen zu wollen, da "Gustava" noch "in den Küchenräumen schalte." Oswald, der alle Hoffnung zu entrinnen aufgegeben hatte, machte jetzt nicht einmal den Versuch, die Einladung des Pfarrers, zum Mittagessen dazu¬ bleiben, auszuschlagen.
ten, bis er ſich ſeiner Amtstracht entledigt und ſeine „Guſtava“ von dem werthen Beſuch benachrichtigt hätte.
Das Studirzimmer des geiſtlichen Herrn war ein großes, zweifenſtriges Gemach, in welchem einige Bücher¬ ſchränke, einige Heiligenbilder an der Wand, ein hartes, mit ſchwarzem, glänzendem Zeuge überzogenes Sopha, ein runder, mit Büchern bedeckter Tiſch in der Mitte, ein Stehpult mit einem Drehſeſſel davor in einem der Fenſter, und eine mit Tabaksduft reichlich geſchwängerte Atmoſphäre, das dem Eintretenden zuerſt in die Sinne Fallende war. Die letztgenannte Eigenthümlichkeit war ſo ausgeſprochen, daß Oswald einen Fenſterflügel öffnen mußte, wobei er eine ſtarke Anwandlung verſpürte, über die niedrige Brüſtung auf die ſonnebeſchienene Dorfgaſſe zu ſpringen und das Weite zu ſuchen.
Dieſer Fluchtverſuch wurde indeſſen durch die Zu¬ rückkunft des Pfarrers vereitelt. Der geiſtliche Herr präſentirte ſich jetzt in einem Anzuge aus ſchwarzem, wie Fett glänzenden Sommerzeuge. Er bat Oswald einige Augenblicke in ſeiner „Klauſe“ verziehen zu wollen, da „Guſtava“ noch „in den Küchenräumen ſchalte.“ Oswald, der alle Hoffnung zu entrinnen aufgegeben hatte, machte jetzt nicht einmal den Verſuch, die Einladung des Pfarrers, zum Mittageſſen dazu¬ bleiben, auszuſchlagen.
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ten, bis er ſich ſeiner Amtstracht entledigt und ſeine
„Guſtava“ von dem werthen Beſuch benachrichtigt hätte.
Das Studirzimmer des geiſtlichen Herrn war ein
großes, zweifenſtriges Gemach, in welchem einige Bücher¬
ſchränke, einige Heiligenbilder an der Wand, ein hartes,
mit ſchwarzem, glänzendem Zeuge überzogenes Sopha,
ein runder, mit Büchern bedeckter Tiſch in der Mitte,
ein Stehpult mit einem Drehſeſſel davor in einem der
Fenſter, und eine mit Tabaksduft reichlich geſchwängerte
Atmoſphäre, das dem Eintretenden zuerſt in die Sinne
Fallende war. Die letztgenannte Eigenthümlichkeit war
ſo ausgeſprochen, daß Oswald einen Fenſterflügel öffnen
mußte, wobei er eine ſtarke Anwandlung verſpürte,
über die niedrige Brüſtung auf die ſonnebeſchienene
Dorfgaſſe zu ſpringen und das Weite zu ſuchen.
Dieſer Fluchtverſuch wurde indeſſen durch die Zu¬
rückkunft des Pfarrers vereitelt. Der geiſtliche Herr
präſentirte ſich jetzt in einem Anzuge aus ſchwarzem,
wie Fett glänzenden Sommerzeuge. Er bat Oswald
einige Augenblicke in ſeiner „Klauſe“ verziehen zu
wollen, da „Guſtava“ noch „in den Küchenräumen
ſchalte.“ Oswald, der alle Hoffnung zu entrinnen
aufgegeben hatte, machte jetzt nicht einmal den Verſuch,
die Einladung des Pfarrers, zum Mittageſſen dazu¬
bleiben, auszuſchlagen.
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/112>, abgerufen am 28.11.2024.
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