über, die ihn, die runzligen Hände auf die Knie ge¬ stemmt, aus ihren tief gesunkenen, immer aber noch ausdrucksvollen Augen forschend ansah, auf den Stamm einer umgefallenen Weide und sagte:
"Aus Grenwitz, Mütterchen."
"Aus Grenwitz? Sieh einmal! Da bin ich auch her. Mit Verlaub, Sie sind wohl zum Besuch auf dem Schlosse?"
"Nicht so eigentlich; ich bin der Hauslehrer der Knaben."
"Das ist wohl nicht möglich?"
"Warum?"
"Nu, die Herren Candidaten sehen sonst ganz an¬ ders aus." Oswald lachte.
"Und Sie kommen den weiten Weg ganz allein, Mütterchen?"
"Ich hab' keinen Menschen, der mit mir gehen könnte. Mein Mann ist längst todt, und meine Jun¬ gens sind todt und meine Dirnens sind todt -- Alles todt."
Die alte Frau strich sich die Falten ihres Rockes über den Knieen glatt, als wollte sie sagen: Alle ein¬ gescharrt, und die Erde glatt drüber gedeckt, keine Spur mehr von ihnen.
Oswald jammerte das einsame, hülflose Alter der
über, die ihn, die runzligen Hände auf die Knie ge¬ ſtemmt, aus ihren tief geſunkenen, immer aber noch ausdrucksvollen Augen forſchend anſah, auf den Stamm einer umgefallenen Weide und ſagte:
„Aus Grenwitz, Mütterchen.“
„Aus Grenwitz? Sieh einmal! Da bin ich auch her. Mit Verlaub, Sie ſind wohl zum Beſuch auf dem Schloſſe?“
„Nicht ſo eigentlich; ich bin der Hauslehrer der Knaben.“
„Das iſt wohl nicht möglich?“
„Warum?“
„Nu, die Herren Candidaten ſehen ſonſt ganz an¬ ders aus.“ Oswald lachte.
„Und Sie kommen den weiten Weg ganz allein, Mütterchen?“
„Ich hab' keinen Menſchen, der mit mir gehen könnte. Mein Mann iſt längſt todt, und meine Jun¬ gens ſind todt und meine Dirnens ſind todt — Alles todt.“
Die alte Frau ſtrich ſich die Falten ihres Rockes über den Knieen glatt, als wollte ſie ſagen: Alle ein¬ geſcharrt, und die Erde glatt drüber gedeckt, keine Spur mehr von ihnen.
Oswald jammerte das einſame, hülfloſe Alter der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0100"n="90"/>
über, die ihn, die runzligen Hände auf die Knie ge¬<lb/>ſtemmt, aus ihren tief geſunkenen, immer aber noch<lb/>
ausdrucksvollen Augen forſchend anſah, auf den Stamm<lb/>
einer umgefallenen Weide und ſagte:</p><lb/><p>„Aus Grenwitz, Mütterchen.“</p><lb/><p>„Aus Grenwitz? Sieh einmal! Da bin ich auch<lb/>
her. Mit Verlaub, Sie ſind wohl zum Beſuch auf<lb/>
dem Schloſſe?“</p><lb/><p>„Nicht ſo eigentlich; ich bin der Hauslehrer der<lb/>
Knaben.“</p><lb/><p>„Das iſt wohl nicht möglich?“</p><lb/><p>„Warum?“</p><lb/><p>„Nu, die Herren Candidaten ſehen ſonſt ganz an¬<lb/>
ders aus.“ Oswald lachte.</p><lb/><p>„Und Sie kommen den weiten Weg ganz allein,<lb/>
Mütterchen?“</p><lb/><p>„Ich hab' keinen Menſchen, der mit mir gehen<lb/>
könnte. Mein Mann iſt längſt todt, und meine Jun¬<lb/>
gens ſind todt und meine Dirnens ſind todt — Alles<lb/>
todt.“</p><lb/><p>Die alte Frau ſtrich ſich die Falten ihres Rockes<lb/>
über den Knieen glatt, als wollte ſie ſagen: Alle ein¬<lb/>
geſcharrt, und die Erde glatt drüber gedeckt, keine<lb/>
Spur mehr von ihnen.</p><lb/><p>Oswald jammerte das einſame, hülfloſe Alter der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[90/0100]
über, die ihn, die runzligen Hände auf die Knie ge¬
ſtemmt, aus ihren tief geſunkenen, immer aber noch
ausdrucksvollen Augen forſchend anſah, auf den Stamm
einer umgefallenen Weide und ſagte:
„Aus Grenwitz, Mütterchen.“
„Aus Grenwitz? Sieh einmal! Da bin ich auch
her. Mit Verlaub, Sie ſind wohl zum Beſuch auf
dem Schloſſe?“
„Nicht ſo eigentlich; ich bin der Hauslehrer der
Knaben.“
„Das iſt wohl nicht möglich?“
„Warum?“
„Nu, die Herren Candidaten ſehen ſonſt ganz an¬
ders aus.“ Oswald lachte.
„Und Sie kommen den weiten Weg ganz allein,
Mütterchen?“
„Ich hab' keinen Menſchen, der mit mir gehen
könnte. Mein Mann iſt längſt todt, und meine Jun¬
gens ſind todt und meine Dirnens ſind todt — Alles
todt.“
Die alte Frau ſtrich ſich die Falten ihres Rockes
über den Knieen glatt, als wollte ſie ſagen: Alle ein¬
geſcharrt, und die Erde glatt drüber gedeckt, keine
Spur mehr von ihnen.
Oswald jammerte das einſame, hülfloſe Alter der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/100>, abgerufen am 20.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.