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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECT. II.
und lange zeit angewendet werden zu können, bey der kirchen leicht gantz unbrauch-
bar werden möchten. Jch habe aber das bisherige anliegen, aus dem derselbige sich
den meisten besondern kirchen-verrichtungen entzogen hat, erstmals aus dessen an
einen andern abgelassenen, und zwar nicht ohne hertzliche betrübnüsse, wegen der
daraus vorsehenden dinge, verstanden: aber bedencken getragen, an denselben der
ursache wegen, da es nicht an mich unmittelbar gebracht, ausdrücklich zu schreiben.
Nachdem aber zu anfange des neulichen Maii selbs briefe von dessen hand erhal-
ten, so habe es als einen beruff angesehen, dem mich nicht weiter gantz entziehen
dörffte: wiewol nicht alleine meine allezeit stäts anhaltende distractiones, sondern
auch absonderlich der damaliche zustand unsers Ministerii, da solchesmal zwey
stellen an meiner kirchen vacant waren, auch eine es noch ist, dahero meine sorgen
und arbeiten über das gewöhnliche angewachsen, einen längern aufschub der ant-
wort, als erstlich gedachte, verursachet haben; zu geschweigen, daß auch ohne das
schwerer an brieffe komme, da vorsehe, daß sich die sachen nicht kurtz fassen lassen,
sondern die nothwendig lang fallen müssen. Doch soll endlich die feder in dem
namen des HErrn ansetzen, der solche auch durch seinen Geist dahin regieren wol-
le, daß ich seinen willen in dieser wichtigen sache so erkennen, als denselben zu seiner
prüfung deutlich vorstellen möge.

I. So lege nun zum grunde, daß mich versichert halte von dessen aufrichtig-
keit vor GOTT, und daß was er in solcher sache bisher gethan, nicht aus andern
fleischlichen Affecten oder der begierde einer sonderlichkeit komme, sondern daß er
sich durch sein gewissen allerdings zu demjenigen, worzu er sich entschlossen, gedrun-
gen erachtet habe, und ohne sünde anders jetzo thun zu können nicht gläube, dahero
ich nicht allein selbs gern gedult mit demselben trage, sondern wünschete, daß solches
alle nicht weniger allezeit thun könten.
II. Jch erkenne auch, daß dessen verstoß, davor ichs halten muß, auf einigen
principiis beruhe, die recht verstanden, an sich selbst wahr sind und bleiben, nur daß
sie nachmals weiter gezogen und unrichtige folgen daraus genommen werden. Al-
so ist eine unleugbare warheit, daß die eigentliche schätze des Euangelii, gerechtig-
keit, leben und seligkeit, keinen andern als warhafftig bußfertigen und gläubigen
zukommen, dahero es unmüglich, daß sie andere erlangen könten, wie offte sie auch
die dazu geordnete mittel gebrauchten, wo nicht der gnade GOttes, jene erst zu wir-
cken, platz gelassen wird. Absonderlich ob alle prediger einem unbußfertigen zehen-
mal des tages die absolution ertheilten, und die hand auflegten, wird ihm vor
GOTT nicht eine einige sünde vergeben, sondern seine schuld und gerichte vermeh-
ret sich durch solchen mißbrauch des gnaden-mittels. So bekenne auch gerne, daß
welche in ihren alten jahren erst getaufft werden, und von den eltern kein recht bereits
zu dem bund haben, wann sie erst in diesen aufgenommen werden sollen, erst unter-
richtet und durch das wort zur busse und glauben gebracht werden müssen, ehe sie
ge-

ARTIC. VI. SECT. II.
und lange zeit angewendet werden zu koͤnnen, bey der kirchen leicht gantz unbrauch-
bar werden moͤchten. Jch habe aber das bisherige anliegen, aus dem derſelbige ſich
den meiſten beſondern kirchen-verrichtungen entzogen hat, erſtmals aus deſſen an
einen andern abgelaſſenen, und zwar nicht ohne hertzliche betruͤbnuͤſſe, wegen der
daraus vorſehenden dinge, verſtanden: aber bedencken getragen, an denſelben der
urſache wegen, da es nicht an mich unmittelbar gebracht, ausdruͤcklich zu ſchreiben.
Nachdem aber zu anfange des neulichen Maii ſelbs briefe von deſſen hand erhal-
ten, ſo habe es als einen beruff angeſehen, dem mich nicht weiter gantz entziehen
doͤrffte: wiewol nicht alleine meine allezeit ſtaͤts anhaltende diſtractiones, ſondern
auch abſonderlich der damaliche zuſtand unſers Miniſterii, da ſolchesmal zwey
ſtellen an meiner kirchen vacant waren, auch eine es noch iſt, dahero meine ſorgen
und arbeiten uͤber das gewoͤhnliche angewachſen, einen laͤngern aufſchub der ant-
wort, als erſtlich gedachte, verurſachet haben; zu geſchweigen, daß auch ohne das
ſchwerer an brieffe komme, da vorſehe, daß ſich die ſachen nicht kurtz faſſen laſſen,
ſondern die nothwendig lang fallen muͤſſen. Doch ſoll endlich die feder in dem
namen des HErrn anſetzen, der ſolche auch durch ſeinen Geiſt dahin regieren wol-
le, daß ich ſeinen willen in dieſer wichtigen ſache ſo erkennen, als denſelben zu ſeiner
pruͤfung deutlich vorſtellen moͤge.

I. So lege nun zum grunde, daß mich verſichert halte von deſſen aufrichtig-
keit vor GOTT, und daß was er in ſolcher ſache bisher gethan, nicht aus andern
fleiſchlichen Affecten oder der begierde einer ſonderlichkeit komme, ſondern daß er
ſich durch ſein gewiſſen allerdings zu demjenigen, worzu er ſich entſchloſſen, gedrun-
gen erachtet habe, und ohne ſuͤnde anders jetzo thun zu koͤnnen nicht glaͤube, dahero
ich nicht allein ſelbs gern gedult mit demſelben trage, ſondern wuͤnſchete, daß ſolches
alle nicht weniger allezeit thun koͤnten.
II. Jch erkenne auch, daß deſſen verſtoß, davor ichs halten muß, auf einigen
principiis beruhe, die recht verſtanden, an ſich ſelbſt wahr ſind und bleiben, nur daß
ſie nachmals weiter gezogen und unrichtige folgen daraus genommen werden. Al-
ſo iſt eine unleugbare warheit, daß die eigentliche ſchaͤtze des Euangelii, gerechtig-
keit, leben und ſeligkeit, keinen andern als warhafftig bußfertigen und glaͤubigen
zukommen, dahero es unmuͤglich, daß ſie andere erlangen koͤnten, wie offte ſie auch
die dazu geordnete mittel gebrauchten, wo nicht der gnade GOttes, jene erſt zu wir-
cken, platz gelaſſen wird. Abſonderlich ob alle prediger einem unbußfertigen zehen-
mal des tages die abſolution ertheilten, und die hand auflegten, wird ihm vor
GOTT nicht eine einige ſuͤnde vergeben, ſondern ſeine ſchuld und gerichte vermeh-
ret ſich durch ſolchen mißbrauch des gnaden-mittels. So bekenne auch gerne, daß
welche in ihren alten jahren erſt getaufft werden, und von den eltern kein recht bereits
zu dem bund haben, wann ſie erſt in dieſen aufgenommen werden ſollen, erſt unter-
richtet und durch das wort zur buſſe und glauben gebracht werden muͤſſen, ehe ſie
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[687/0699] ARTIC. VI. SECT. II. und lange zeit angewendet werden zu koͤnnen, bey der kirchen leicht gantz unbrauch- bar werden moͤchten. Jch habe aber das bisherige anliegen, aus dem derſelbige ſich den meiſten beſondern kirchen-verrichtungen entzogen hat, erſtmals aus deſſen an einen andern abgelaſſenen, und zwar nicht ohne hertzliche betruͤbnuͤſſe, wegen der daraus vorſehenden dinge, verſtanden: aber bedencken getragen, an denſelben der urſache wegen, da es nicht an mich unmittelbar gebracht, ausdruͤcklich zu ſchreiben. Nachdem aber zu anfange des neulichen Maii ſelbs briefe von deſſen hand erhal- ten, ſo habe es als einen beruff angeſehen, dem mich nicht weiter gantz entziehen doͤrffte: wiewol nicht alleine meine allezeit ſtaͤts anhaltende diſtractiones, ſondern auch abſonderlich der damaliche zuſtand unſers Miniſterii, da ſolchesmal zwey ſtellen an meiner kirchen vacant waren, auch eine es noch iſt, dahero meine ſorgen und arbeiten uͤber das gewoͤhnliche angewachſen, einen laͤngern aufſchub der ant- wort, als erſtlich gedachte, verurſachet haben; zu geſchweigen, daß auch ohne das ſchwerer an brieffe komme, da vorſehe, daß ſich die ſachen nicht kurtz faſſen laſſen, ſondern die nothwendig lang fallen muͤſſen. Doch ſoll endlich die feder in dem namen des HErrn anſetzen, der ſolche auch durch ſeinen Geiſt dahin regieren wol- le, daß ich ſeinen willen in dieſer wichtigen ſache ſo erkennen, als denſelben zu ſeiner pruͤfung deutlich vorſtellen moͤge. I. So lege nun zum grunde, daß mich verſichert halte von deſſen aufrichtig- keit vor GOTT, und daß was er in ſolcher ſache bisher gethan, nicht aus andern fleiſchlichen Affecten oder der begierde einer ſonderlichkeit komme, ſondern daß er ſich durch ſein gewiſſen allerdings zu demjenigen, worzu er ſich entſchloſſen, gedrun- gen erachtet habe, und ohne ſuͤnde anders jetzo thun zu koͤnnen nicht glaͤube, dahero ich nicht allein ſelbs gern gedult mit demſelben trage, ſondern wuͤnſchete, daß ſolches alle nicht weniger allezeit thun koͤnten. II. Jch erkenne auch, daß deſſen verſtoß, davor ichs halten muß, auf einigen principiis beruhe, die recht verſtanden, an ſich ſelbſt wahr ſind und bleiben, nur daß ſie nachmals weiter gezogen und unrichtige folgen daraus genommen werden. Al- ſo iſt eine unleugbare warheit, daß die eigentliche ſchaͤtze des Euangelii, gerechtig- keit, leben und ſeligkeit, keinen andern als warhafftig bußfertigen und glaͤubigen zukommen, dahero es unmuͤglich, daß ſie andere erlangen koͤnten, wie offte ſie auch die dazu geordnete mittel gebrauchten, wo nicht der gnade GOttes, jene erſt zu wir- cken, platz gelaſſen wird. Abſonderlich ob alle prediger einem unbußfertigen zehen- mal des tages die abſolution ertheilten, und die hand auflegten, wird ihm vor GOTT nicht eine einige ſuͤnde vergeben, ſondern ſeine ſchuld und gerichte vermeh- ret ſich durch ſolchen mißbrauch des gnaden-mittels. So bekenne auch gerne, daß welche in ihren alten jahren erſt getaufft werden, und von den eltern kein recht bereits zu dem bund haben, wann ſie erſt in dieſen aufgenommen werden ſollen, erſt unter- richtet und durch das wort zur buſſe und glauben gebracht werden muͤſſen, ehe ſie ge-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/699>, abgerufen am 22.11.2024.