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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. V. SECT. LXI.
fe ernde erwachsen mache bey ihrer vielen. Und bin ich gewiß, wo diese wahrheit,
welche darinnen aus GOttes wort kräfftig behauptet wird, in viele hertzen tief ein-
dringen solte, so würde bald unsrem so genanten geistlichen stand, durch dessen bes-
serung aber auch in kurtzen der gantzen wahren kirchen kräfftiglich gerathen wer-
den: dahingegen jetzt, wie bey den zuhörern dieses eine ursach ist des verderbens,
daß sie die blosse buchstäbliche erkäntnüß vor den wahren glauben halten, und dar-
aus selig werden wollen, also dieser irrthum und mißbrauch grossen theils auch dar-
aus entstehet, daß so viele prediger das licht des H. Geistes so wenig achten, daß sie
kaum daran gedencken, noch ihnen dasselbe nöthig zu seyn gläuben, und also wie sie
fast allein aus dem natürlichen licht göttliche dinge handeln, sie weder recht selbst in
eigner erfahrung verstehen, noch andern mit gnugsamen grunde beyzubringen ver-
mögen. Nun GOtt wird sich seiner kirchen in der that erbarmen, und sein licht
aus der finsternüß und in die finsternüß wieder heller hervor scheinen und durch-
leuchten lassen, ob zwar vielleicht mit vorhergehender starcker widersetzung der fin-
sternüß, so aber die oberhand nicht allezeit behalten muß. Was anlangt meinen
widersacher N. N, habe dessen bogen gesehen, werde aber weder denselben noch so
er noch etwas weiters heraus geben solte würdigen, ferner eine feder dargegen an-
zusetzen, wie ich bey dem vorigen scripto nöthig erachtet, nachdem die damaligen
anklagen gifftiger und doch scheinbarer gewesen sind, als daß sie mit blosser verach-
tung hätte können abweisen. Jch habe GOtt mehrere jahr vor seine seele ernstlich
gebeten, so zu thun auch noch nicht unterlasse, obwol leider finde, noch zur zeit wenig
vor ihn erhalten zu haben, wie es dann eine schwere sach ist, ein solches gemüth zu er-
weichen. Daß andre hinter ihm gesteckt, und ihn animiret haben, hat er N. N., als
ihm solcher vorhaltung thun muste, bekant. Vielleicht sind aber auch einige, welche
ihn mehr zurück halten können und sollen, und solches, ob sie wol wollen dessen schein
haben, nicht mit aufrichtiger liebe gethan. Der HErr hat mich manches lassen er-
fahren, daß nicht alles gold ist was gleisset, noch redlichkeit was man davon vorgibt,
er gibt mir auch die gnade, daß ich mich solches nicht lasse befremden, sondern mich
erinnere, was David längsten gesprochen Ps. 118, 8 9. wessen wir uns zu versehen
haben Es ist mir lieb, daß die irrungen in dem ministerio N. sich wieder geleget
haben, ob zwar nicht weiß, ob zu hoffen, daß unter leuten, die in der that nicht alle ei-
nen zweck warhafftig haben, vermöge eine rechte beständige einigkeit immer erhal-
ten werden. Jndessen ist doch gut, wenn es noch eusserlich zusammen hält und das
ärgernüß der öffentlichen trennung nicht noch schwerer wird: wiewol doch sorge,
daß einmal diejenige, so nicht rechtschaffen vor GOtt sind, andere welchen es um
diesen lauterlich zu thun ist, wider ihren danck an vielen orten ausstossen, und da
man sich von ihnen nicht trennen will, sich selbst trennen werden. Von einigen gu-
ten freunden an solchem ort hätte in etlichen stücken mehrere vorsichtigkeit gewün-
schet: Es ist aber der name des friedens bey den christlichen gemüthern so werth

und
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ARTIC. V. SECT. LXI.
fe ernde erwachſen mache bey ihrer vielen. Und bin ich gewiß, wo dieſe wahrheit,
welche darinnen aus GOttes wort kraͤfftig behauptet wird, in viele hertzen tief ein-
dringen ſolte, ſo wuͤrde bald unſrem ſo genanten geiſtlichen ſtand, durch deſſen beſ-
ſerung aber auch in kurtzen der gantzen wahren kirchen kraͤfftiglich gerathen wer-
den: dahingegen jetzt, wie bey den zuhoͤrern dieſes eine urſach iſt des verderbens,
daß ſie die bloſſe buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß vor den wahren glauben halten, und dar-
aus ſelig weꝛden wollen, alſo dieſer irrthum und mißbꝛauch gꝛoſſen theils auch dar-
aus entſtehet, daß ſo viele prediger das licht des H. Geiſtes ſo wenig achten, daß ſie
kaum daran gedencken, noch ihnen daſſelbe noͤthig zu ſeyn glaͤuben, und alſo wie ſie
faſt allein aus dem natuͤrlichen licht goͤttliche dinge handeln, ſie weder recht ſelbſt in
eigner erfahrung verſtehen, noch andern mit gnugſamen grunde beyzubringen ver-
moͤgen. Nun GOtt wird ſich ſeiner kirchen in der that erbarmen, und ſein licht
aus der finſternuͤß und in die finſternuͤß wieder heller hervor ſcheinen und durch-
leuchten laſſen, ob zwar vielleicht mit vorhergehender ſtarcker widerſetzung der fin-
ſternuͤß, ſo aber die oberhand nicht allezeit behalten muß. Was anlangt meinen
widerſacher N. N, habe deſſen bogen geſehen, werde aber weder denſelben noch ſo
er noch etwas weiters heraus geben ſolte wuͤrdigen, ferner eine feder dargegen an-
zuſetzen, wie ich bey dem vorigen ſcripto noͤthig erachtet, nachdem die damaligen
anklagen gifftiger und doch ſcheinbarer geweſen ſind, als daß ſie mit bloſſer verach-
tung haͤtte koͤnnen abweiſen. Jch habe GOtt mehrere jahr vor ſeine ſeele ernſtlich
gebeten, ſo zu thun auch noch nicht unterlaſſe, obwol leider finde, noch zur zeit wenig
vor ihn erhalten zu haben, wie es dann eine ſchwere ſach iſt, ein ſolches gemuͤth zu er-
weichen. Daß andre hinter ihm geſteckt, und ihn animiret haben, hat er N. N., als
ihm ſolcher vorhaltung thun muſte, bekant. Vielleicht ſind aber auch einige, welche
ihn mehr zuꝛuͤck halten koͤnnen und ſollen, und ſolches, ob ſie wol wollen deſſen ſchein
haben, nicht mit aufrichtiger liebe gethan. Der HErr hat mich manches laſſen er-
fahꝛen, daß nicht alles gold iſt was gleiſſet, noch ꝛedlichkeit was man davon voꝛgibt,
er gibt mir auch die gnade, daß ich mich ſolches nicht laſſe befremden, ſondern mich
erinnere, was David laͤngſten geſprochen Pſ. 118, 8 9. weſſen wir uns zu verſehen
haben Es iſt mir lieb, daß die irrungen in dem miniſterio N. ſich wiedeꝛ geleget
haben, ob zwar nicht weiß, ob zu hoffen, daß unter leuten, die in der that nicht alle ei-
nen zweck warhafftig haben, vermoͤge eine rechte beſtaͤndige einigkeit immer erhal-
ten werden. Jndeſſen iſt doch gut, wenn es noch euſſerlich zuſammen haͤlt und das
aͤrgernuͤß der oͤffentlichen trennung nicht noch ſchwerer wird: wiewol doch ſorge,
daß einmal diejenige, ſo nicht rechtſchaffen vor GOtt ſind, andere welchen es um
dieſen lauterlich zu thun iſt, wider ihren danck an vielen orten ausſtoſſen, und da
man ſich von ihnen nicht trennen will, ſich ſelbſt trennen werden. Von einigen gu-
ten freunden an ſolchem ort haͤtte in etlichen ſtuͤcken mehrere vorſichtigkeit gewuͤn-
ſchet: Es iſt aber der name des friedens bey den chriſtlichen gemuͤthern ſo werth

und
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[683/0695] ARTIC. V. SECT. LXI. fe ernde erwachſen mache bey ihrer vielen. Und bin ich gewiß, wo dieſe wahrheit, welche darinnen aus GOttes wort kraͤfftig behauptet wird, in viele hertzen tief ein- dringen ſolte, ſo wuͤrde bald unſrem ſo genanten geiſtlichen ſtand, durch deſſen beſ- ſerung aber auch in kurtzen der gantzen wahren kirchen kraͤfftiglich gerathen wer- den: dahingegen jetzt, wie bey den zuhoͤrern dieſes eine urſach iſt des verderbens, daß ſie die bloſſe buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß vor den wahren glauben halten, und dar- aus ſelig weꝛden wollen, alſo dieſer irrthum und mißbꝛauch gꝛoſſen theils auch dar- aus entſtehet, daß ſo viele prediger das licht des H. Geiſtes ſo wenig achten, daß ſie kaum daran gedencken, noch ihnen daſſelbe noͤthig zu ſeyn glaͤuben, und alſo wie ſie faſt allein aus dem natuͤrlichen licht goͤttliche dinge handeln, ſie weder recht ſelbſt in eigner erfahrung verſtehen, noch andern mit gnugſamen grunde beyzubringen ver- moͤgen. Nun GOtt wird ſich ſeiner kirchen in der that erbarmen, und ſein licht aus der finſternuͤß und in die finſternuͤß wieder heller hervor ſcheinen und durch- leuchten laſſen, ob zwar vielleicht mit vorhergehender ſtarcker widerſetzung der fin- ſternuͤß, ſo aber die oberhand nicht allezeit behalten muß. Was anlangt meinen widerſacher N. N, habe deſſen bogen geſehen, werde aber weder denſelben noch ſo er noch etwas weiters heraus geben ſolte wuͤrdigen, ferner eine feder dargegen an- zuſetzen, wie ich bey dem vorigen ſcripto noͤthig erachtet, nachdem die damaligen anklagen gifftiger und doch ſcheinbarer geweſen ſind, als daß ſie mit bloſſer verach- tung haͤtte koͤnnen abweiſen. Jch habe GOtt mehrere jahr vor ſeine ſeele ernſtlich gebeten, ſo zu thun auch noch nicht unterlaſſe, obwol leider finde, noch zur zeit wenig vor ihn erhalten zu haben, wie es dann eine ſchwere ſach iſt, ein ſolches gemuͤth zu er- weichen. Daß andre hinter ihm geſteckt, und ihn animiret haben, hat er N. N., als ihm ſolcher vorhaltung thun muſte, bekant. Vielleicht ſind aber auch einige, welche ihn mehr zuꝛuͤck halten koͤnnen und ſollen, und ſolches, ob ſie wol wollen deſſen ſchein haben, nicht mit aufrichtiger liebe gethan. Der HErr hat mich manches laſſen er- fahꝛen, daß nicht alles gold iſt was gleiſſet, noch ꝛedlichkeit was man davon voꝛgibt, er gibt mir auch die gnade, daß ich mich ſolches nicht laſſe befremden, ſondern mich erinnere, was David laͤngſten geſprochen Pſ. 118, 8 9. weſſen wir uns zu verſehen haben Es iſt mir lieb, daß die irrungen in dem miniſterio N. ſich wiedeꝛ geleget haben, ob zwar nicht weiß, ob zu hoffen, daß unter leuten, die in der that nicht alle ei- nen zweck warhafftig haben, vermoͤge eine rechte beſtaͤndige einigkeit immer erhal- ten werden. Jndeſſen iſt doch gut, wenn es noch euſſerlich zuſammen haͤlt und das aͤrgernuͤß der oͤffentlichen trennung nicht noch ſchwerer wird: wiewol doch ſorge, daß einmal diejenige, ſo nicht rechtſchaffen vor GOtt ſind, andere welchen es um dieſen lauterlich zu thun iſt, wider ihren danck an vielen orten ausſtoſſen, und da man ſich von ihnen nicht trennen will, ſich ſelbſt trennen werden. Von einigen gu- ten freunden an ſolchem ort haͤtte in etlichen ſtuͤcken mehrere vorſichtigkeit gewuͤn- ſchet: Es iſt aber der name des friedens bey den chriſtlichen gemuͤthern ſo werth und r r r r 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/695>, abgerufen am 23.11.2024.