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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
kantnüß obwol aus der heiligen schrifft, dennoch nicht durch die wirckung unsrer
vernunfft herkommen, sondern ein licht des heiligen Geistes seyn müsse, in dem der-
selbe durch seine wirckung aus dem wort, so ein licht ist, solchen stral in die seelen
derer, so mit demselben wort recht umgehen, und göttlichen wirckungen bey sich
platz lassen, einschiessen lässet: daher der wahre glaube, was die erkantnüß, bey-
fall und zuversicht anlangt, nach allen theilen gantz von dem mundglauben der un-
wiedergebornen unterschieden seye: weiter weil das gantze leben aus dem glauben
fliessen muß, daß dann auch dasselbe bey einem gläubigen eine stete wirckung des H.
Geistes seye. Woraus ferner folget, weil derselbe bey einem, welcher wahrhafftig
der sünden dienet, nicht wohnen, und das licht bey der herrschafft der finsternüß nicht
bleiben kan, daß denn bey einem, welcher in muthwilligen sünden lebet, weder glau-
be noch wahre christliche tugend sich finden könne, sondern allein eine buchstäbliche
wissenschafft aus menschlichen kräften und eine entweder gröbere oder subtilere heu-
cheley, damit der mensch andere betriegen will, oder wol sich selbst erst betrogen hat.
Wie nun diese wahrheit in GOttes wort, unsren symbolischen büchern, Luthero
(davon nur allein seine vorrede über die epistel an die Römer anführe.) und allen leh-
rern, die GOTT recht erkennen, gegründet ist, ja in ihrem rechten vortrag auch
nicht kan einiges irrthums überzeu get werden, wir wollen dann den grund der gan-
tzen religion umreissen, so ist sie doch vielen der beschwerlichste dorn in dem augen,
und so bald höret man nicht von dem Geist, dessen liecht und wirckungen, von dem
neuen menschen und dergleichen, so ist man mit der beschuldigung der Enthusiaste-
rey, Quackerey und so fort an stracks fertig. Gerade als dürffte der H. Geist mit
unsrer evangelischen religion nichts zu thun haben: wie ich weiß, daß ein prediger
sich nicht entblödete zu sagen, es wäre gefährlich von dem geist zu reden. Die an-
dere wahrheit, welche ihrer vielen so zu wider, ist diese, ob wol rechtschaffene
christen das gesetz oder die gebote Gottes nach der strenge, wie solche uns an sich selbs
verbinden/ in dieser schwachheit zu erfüllen oder zu halten nicht vermögen, daher
auch aus ihrem halten und wircken nicht selig werden können, so ich selbs mit eiffer
gegen die papisten behaupte, daß sie dennoch aus der gnade GOttes, so sie in der
wiedergeburt empfangen, seine gebote halten mit einem obwol unvollkommenen,
dennoch kindlichen und redlichen gehorsam, also daß der himmlische vater mit dem-
selben nach der güte des evangelii um Christi willen gedult träget, und was sie thun,
aus gnaden als ein halten mit wohlgefallen ansiehet, und dieses vermögen kinder
Gottes zu thun, auch können sie den namen der kinder Gottes nicht behalten, wenn
sie sich nicht solches haltens befleißigen. Dieser satz ist abermal in Gottes wort, in
den symbolischen bücheru, Luthero und unsern besten Theologis gegründet, daß auch
niemand denselben gantz directe verketzern darff, aber er thut ihrer vielen, die ihn
selbs lehren solten, in dem hertzen wehe. Wo denn ihn einige führen, mit denen man
bald zu recht zu kommen hofft, oder sie bald unterdrucken kan, so wird er stracks

ver-

Das ſiebende Capitel.
kantnuͤß obwol aus der heiligen ſchrifft, dennoch nicht durch die wirckung unſreꝛ
vernunfft herkommen, ſondern ein licht des heiligen Geiſtes ſeyn muͤſſe, in dem der-
ſelbe durch ſeine wirckung aus dem wort, ſo ein licht iſt, ſolchen ſtral in die ſeelen
derer, ſo mit demſelben wort recht umgehen, und goͤttlichen wirckungen bey ſich
platz laſſen, einſchieſſen laͤſſet: daher der wahre glaube, was die erkantnuͤß, bey-
fall und zuverſicht anlangt, nach allen theilen gantz von dem mundglauben der un-
wiedergebornen unterſchieden ſeye: weiter weil das gantze leben aus dem glauben
flieſſen muß, daß dann auch daſſelbe bey einem glaͤubigen eine ſtete wirckung des H.
Geiſtes ſeye. Woraus ferner folget, weil derſelbe bey einem, welcher wahrhafftig
der ſuͤnden dienet, nicht wohnen, und das licht bey der herrſchafft der finſternuͤß nicht
bleiben kan, daß denn bey einem, welcher in muthwilligen ſuͤnden lebet, weder glau-
be noch wahre chriſtliche tugend ſich finden koͤnne, ſondern allein eine buchſtaͤbliche
wiſſenſchafft aus menſchlichen kraͤften und eine entweder groͤbere oder ſubtilere heu-
cheley, damit der menſch andere betriegen will, oder wol ſich ſelbſt erſt betrogen hat.
Wie nun dieſe wahrheit in GOttes wort, unſren ſymboliſchen buͤchern, Luthero
(davon nur allein ſeine vorrede uͤber die epiſtel an die Roͤmeꝛ anfuͤhre.) und allen leh-
rern, die GOTT recht erkennen, gegruͤndet iſt, ja in ihrem rechten vortrag auch
nicht kan einiges irrthums uͤberzeu get werden, wir wollen dann den grund der gan-
tzen religion umreiſſen, ſo iſt ſie doch vielen der beſchwerlichſte dorn in dem augen,
und ſo bald hoͤret man nicht von dem Geiſt, deſſen liecht und wirckungen, von dem
neuen menſchen und dergleichen, ſo iſt man mit der beſchuldigung der Enthuſiaſte-
rey, Quackerey und ſo fort an ſtracks fertig. Gerade als duͤrffte der H. Geiſt mit
unſrer evangeliſchen religion nichts zu thun haben: wie ich weiß, daß ein prediger
ſich nicht entbloͤdete zu ſagen, es waͤre gefaͤhrlich von dem geiſt zu reden. Die an-
dere wahrheit, welche ihrer vielen ſo zu wider, iſt dieſe, ob wol rechtſchaffene
chriſten das geſetz odeꝛ die gebote Gottes nach der ſtrenge, wie ſolche uns an ſich ſelbs
verbinden/ in dieſer ſchwachheit zu erfuͤllen oder zu halten nicht vermoͤgen, daher
auch aus ihrem halten und wircken nicht ſelig werden koͤnnen, ſo ich ſelbs mit eiffer
gegen die papiſten behaupte, daß ſie dennoch aus der gnade GOttes, ſo ſie in der
wiedergeburt empfangen, ſeine gebote halten mit einem obwol unvollkommenen,
dennoch kindlichen und redlichen gehorſam, alſo daß der himmliſche vater mit dem-
ſelben nach der guͤte des evangelii um Chriſti willen gedult traͤget, und was ſie thun,
aus gnaden als ein halten mit wohlgefallen anſiehet, und dieſes vermoͤgen kinder
Gottes zu thun, auch koͤnnen ſie den namen der kinder Gottes nicht behalten, wenn
ſie ſich nicht ſolches haltens befleißigen. Dieſer ſatz iſt abermal in Gottes wort, in
den ſymboliſchen buͤcheꝛu, Lutheꝛo und unſeꝛn beſten Theologis gegꝛuͤndet, daß auch
niemand denſelben gantz directe verketzern darff, aber er thut ihrer vielen, die ihn
ſelbs lehren ſolten, in dem hertzen wehe. Wo denn ihn einige fuͤhren, mit denen man
bald zu recht zu kommen hofft, oder ſie bald unterdrucken kan, ſo wird er ſtracks

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[678/0690] Das ſiebende Capitel. kantnuͤß obwol aus der heiligen ſchrifft, dennoch nicht durch die wirckung unſreꝛ vernunfft herkommen, ſondern ein licht des heiligen Geiſtes ſeyn muͤſſe, in dem der- ſelbe durch ſeine wirckung aus dem wort, ſo ein licht iſt, ſolchen ſtral in die ſeelen derer, ſo mit demſelben wort recht umgehen, und goͤttlichen wirckungen bey ſich platz laſſen, einſchieſſen laͤſſet: daher der wahre glaube, was die erkantnuͤß, bey- fall und zuverſicht anlangt, nach allen theilen gantz von dem mundglauben der un- wiedergebornen unterſchieden ſeye: weiter weil das gantze leben aus dem glauben flieſſen muß, daß dann auch daſſelbe bey einem glaͤubigen eine ſtete wirckung des H. Geiſtes ſeye. Woraus ferner folget, weil derſelbe bey einem, welcher wahrhafftig der ſuͤnden dienet, nicht wohnen, und das licht bey der herrſchafft der finſternuͤß nicht bleiben kan, daß denn bey einem, welcher in muthwilligen ſuͤnden lebet, weder glau- be noch wahre chriſtliche tugend ſich finden koͤnne, ſondern allein eine buchſtaͤbliche wiſſenſchafft aus menſchlichen kraͤften und eine entweder groͤbere oder ſubtilere heu- cheley, damit der menſch andere betriegen will, oder wol ſich ſelbſt erſt betrogen hat. Wie nun dieſe wahrheit in GOttes wort, unſren ſymboliſchen buͤchern, Luthero (davon nur allein ſeine vorrede uͤber die epiſtel an die Roͤmeꝛ anfuͤhre.) und allen leh- rern, die GOTT recht erkennen, gegruͤndet iſt, ja in ihrem rechten vortrag auch nicht kan einiges irrthums uͤberzeu get werden, wir wollen dann den grund der gan- tzen religion umreiſſen, ſo iſt ſie doch vielen der beſchwerlichſte dorn in dem augen, und ſo bald hoͤret man nicht von dem Geiſt, deſſen liecht und wirckungen, von dem neuen menſchen und dergleichen, ſo iſt man mit der beſchuldigung der Enthuſiaſte- rey, Quackerey und ſo fort an ſtracks fertig. Gerade als duͤrffte der H. Geiſt mit unſrer evangeliſchen religion nichts zu thun haben: wie ich weiß, daß ein prediger ſich nicht entbloͤdete zu ſagen, es waͤre gefaͤhrlich von dem geiſt zu reden. Die an- dere wahrheit, welche ihrer vielen ſo zu wider, iſt dieſe, ob wol rechtſchaffene chriſten das geſetz odeꝛ die gebote Gottes nach der ſtrenge, wie ſolche uns an ſich ſelbs verbinden/ in dieſer ſchwachheit zu erfuͤllen oder zu halten nicht vermoͤgen, daher auch aus ihrem halten und wircken nicht ſelig werden koͤnnen, ſo ich ſelbs mit eiffer gegen die papiſten behaupte, daß ſie dennoch aus der gnade GOttes, ſo ſie in der wiedergeburt empfangen, ſeine gebote halten mit einem obwol unvollkommenen, dennoch kindlichen und redlichen gehorſam, alſo daß der himmliſche vater mit dem- ſelben nach der guͤte des evangelii um Chriſti willen gedult traͤget, und was ſie thun, aus gnaden als ein halten mit wohlgefallen anſiehet, und dieſes vermoͤgen kinder Gottes zu thun, auch koͤnnen ſie den namen der kinder Gottes nicht behalten, wenn ſie ſich nicht ſolches haltens befleißigen. Dieſer ſatz iſt abermal in Gottes wort, in den ſymboliſchen buͤcheꝛu, Lutheꝛo und unſeꝛn beſten Theologis gegꝛuͤndet, daß auch niemand denſelben gantz directe verketzern darff, aber er thut ihrer vielen, die ihn ſelbs lehren ſolten, in dem hertzen wehe. Wo denn ihn einige fuͤhren, mit denen man bald zu recht zu kommen hofft, oder ſie bald unterdrucken kan, ſo wird er ſtracks ver-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/690>, abgerufen am 22.11.2024.