GOtt noch gönnet. Nun er gebe selbs an allen orten seinen kindern diese weißheit, die gewiß über alles menschliche vermögen gehet; die auch eine der fürnehmsten ga- ben dieser zeit ist, um welche wir zu beten haben.
17. Decembr. 1689.
SECTIO LIII. An einen christlichen prediger in seinem anliegen/ seinem amte nicht gnug zu thun/ und wegen seines orts ent- standener unruhe. Wie allezeit/ wo irrungen und trennun- gen in einer gemeinde zu entstehen anfangen/ die heftigkeit gegen die irrende parthey trenne/ allwo sanfftmuth und ge- dult alles zu rechte bringe.
JCh muß bezeugen, daß dessen an mich abgegebenes mir mehr betrübnüß als freude gemacht, nicht um meinet willen, sondern um geliebten Bruders willen, dessen kränckende ängstigung, nachdem sie natürlicher weise seine kräfften, so ich zu GOttes preise lange zeit erhalten zu werden verlange, verzeh- ret, auch nicht weniger ängstiget. Dahero ich von grund der seelen wünsche, daß GOtt solcher sorgen last erleichtern wolle. Jch sehe aber, es bestehe dasselbe in zwey stücken. 1. Jndem derselbe immer saget, Er thue nicht genug bey seiner ge- meinde. Nun will ich weder demselben noch jemand anders in dergleichen dingen flattiren, aber aus überschriebenen, und was sonsten höre von seiner treue, kan ich nicht leugnen, wie ich das geringste fundament solcher angst nicht sehe. Wir habens ja mit einem solchen vater zu thun, der unsre schwachheit, und wie weit sich die kräffte eines mannes erstrecken, allzuwol kennet, hingegen auch allzugütig ge- gen uns gesinnet ist, als daß er von uns fordern solte, was er uns nicht gegeben. Wie ich nun versichert bin, daß seine liebe seele in der steten begierde stehet, GOtt nach allen kräfften zu dienen, und sich ohne ausnahm ihm gantz aufzuopfern, auch mit vorsatz und willen keine gelegenheit dessen zu versäumen begehret: wessen ich hoffe, daß ihn sein gewissen vor GOttes angesicht überzeuget: so sehe ich nicht einen genugsamen grund zur sorglichen ängstigung; zwar ists freylich so, daß uns auch leid thun solle, daß wir nunmehr in solcher schwachheit stehen, in der wir nicht mehr auszurichten vermögen, weswegen wir uns auch dieses unvermögens und unwissenheit wegen mit kindlicher scham vor ihm demüthigen mögen: aber wir müs-
sen
o o o o 2
ARTIC. V. SECT. LIII.
GOtt noch goͤnnet. Nun er gebe ſelbs an allen orten ſeinen kindern dieſe weißheit, die gewiß uͤber alles menſchliche vermoͤgen gehet; die auch eine der fuͤrnehmſten ga- ben dieſer zeit iſt, um welche wir zu beten haben.
17. Decembr. 1689.
SECTIO LIII. An einen chriſtlichen prediger in ſeinem anliegen/ ſeinem amte nicht gnug zu thun/ und wegen ſeines orts ent- ſtandener unruhe. Wie allezeit/ wo irrungen und trennun- gen in einer gemeinde zu entſtehen anfangen/ die heftigkeit gegen die irrende parthey trenne/ allwo ſanfftmuth und ge- dult alles zu rechte bringe.
JCh muß bezeugen, daß deſſen an mich abgegebenes mir mehr betruͤbnuͤß als freude gemacht, nicht um meinet willen, ſondern um geliebten Bruders willen, deſſen kraͤnckende aͤngſtigung, nachdem ſie natuͤrlicher weiſe ſeine kraͤfften, ſo ich zu GOttes preiſe lange zeit erhalten zu werden verlange, verzeh- ret, auch nicht weniger aͤngſtiget. Dahero ich von grund der ſeelen wuͤnſche, daß GOtt ſolcher ſorgen laſt erleichtern wolle. Jch ſehe aber, es beſtehe daſſelbe in zwey ſtuͤcken. 1. Jndem derſelbe immer ſaget, Er thue nicht genug bey ſeiner ge- meinde. Nun will ich weder demſelben noch jemand anders in dergleichen dingen flattiren, aber aus uͤberſchriebenen, und was ſonſten hoͤre von ſeiner treue, kan ich nicht leugnen, wie ich das geringſte fundament ſolcher angſt nicht ſehe. Wir habens ja mit einem ſolchen vater zu thun, der unſre ſchwachheit, und wie weit ſich die kraͤffte eines mannes erſtrecken, allzuwol kennet, hingegen auch allzuguͤtig ge- gen uns geſinnet iſt, als daß er von uns fordern ſolte, was er uns nicht gegeben. Wie ich nun verſichert bin, daß ſeine liebe ſeele in der ſteten begierde ſtehet, GOtt nach allen kraͤfften zu dienen, und ſich ohne ausnahm ihm gantz aufzuopfern, auch mit vorſatz und willen keine gelegenheit deſſen zu verſaͤumen begehret: weſſen ich hoffe, daß ihn ſein gewiſſen vor GOttes angeſicht uͤberzeuget: ſo ſehe ich nicht einen genugſamen grund zur ſorglichen aͤngſtigung; zwar iſts freylich ſo, daß uns auch leid thun ſolle, daß wir nunmehr in ſolcher ſchwachheit ſtehen, in der wir nicht mehr auszurichten vermoͤgen, weswegen wir uns auch dieſes unvermoͤgens und unwiſſenheit wegen mit kindlicher ſcham voꝛ ihm demuͤthigen moͤgen: abeꝛ wiꝛ muͤſ-
ſen
o o o o 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0671"n="659"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">ARTIC. V. SECT. LIII.</hi></hi></fw><lb/>
GOtt noch goͤnnet. Nun er gebe ſelbs an allen orten ſeinen kindern dieſe weißheit,<lb/>
die gewiß uͤber alles menſchliche vermoͤgen gehet; die auch eine der fuͤrnehmſten ga-<lb/>
ben dieſer zeit iſt, um welche wir zu beten haben.</p><dateline><hirendition="#aq">17. Decembr. 1689.</hi></dateline></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">SECTIO</hi> LIII.</hi><lb/>
An einen chriſtlichen prediger in ſeinem anliegen/<lb/>ſeinem amte nicht gnug zu thun/ und wegen ſeines orts ent-<lb/>ſtandener unruhe. Wie allezeit/ wo irrungen und trennun-<lb/>
gen in einer gemeinde zu entſtehen anfangen/ die heftigkeit<lb/>
gegen die irrende parthey trenne/ allwo ſanfftmuth und ge-<lb/>
dult alles zu rechte bringe.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>Ch muß bezeugen, daß deſſen an mich abgegebenes mir mehr betruͤbnuͤß als<lb/>
freude gemacht, nicht um meinet willen, ſondern um geliebten Bruders<lb/>
willen, deſſen kraͤnckende aͤngſtigung, nachdem ſie natuͤrlicher weiſe ſeine<lb/>
kraͤfften, ſo ich zu GOttes preiſe lange zeit erhalten zu werden verlange, verzeh-<lb/>
ret, auch nicht weniger aͤngſtiget. Dahero ich von grund der ſeelen wuͤnſche, daß<lb/>
GOtt ſolcher ſorgen laſt erleichtern wolle. Jch ſehe aber, es beſtehe daſſelbe in zwey<lb/>ſtuͤcken. 1. Jndem derſelbe immer ſaget, <hirendition="#fr">Er thue nicht genug bey ſeiner ge-<lb/>
meinde.</hi> Nun will ich weder demſelben noch jemand anders in dergleichen dingen<lb/><hirendition="#aq">flattir</hi>en, aber aus uͤberſchriebenen, und was ſonſten hoͤre von ſeiner treue, kan ich<lb/>
nicht leugnen, wie ich das geringſte <hirendition="#aq">fundament</hi>ſolcher angſt nicht ſehe. Wir<lb/>
habens ja mit einem ſolchen vater zu thun, der unſre ſchwachheit, und wie weit ſich<lb/>
die kraͤffte eines mannes erſtrecken, allzuwol kennet, hingegen auch allzuguͤtig ge-<lb/>
gen uns geſinnet iſt, als daß er von uns fordern ſolte, was er uns nicht gegeben.<lb/>
Wie ich nun verſichert bin, daß ſeine liebe ſeele in der ſteten begierde ſtehet,<lb/>
GOtt nach allen kraͤfften zu dienen, und ſich ohne ausnahm ihm gantz aufzuopfern,<lb/>
auch mit vorſatz und willen keine gelegenheit deſſen zu verſaͤumen begehret: weſſen<lb/>
ich hoffe, daß ihn ſein gewiſſen vor GOttes angeſicht uͤberzeuget: ſo ſehe ich nicht<lb/>
einen genugſamen grund zur ſorglichen aͤngſtigung; zwar iſts freylich ſo, daß uns<lb/>
auch leid thun ſolle, daß wir nunmehr in ſolcher ſchwachheit ſtehen, in der wir nicht<lb/>
mehr auszurichten vermoͤgen, weswegen wir uns auch dieſes unvermoͤgens und<lb/>
unwiſſenheit wegen mit kindlicher ſcham voꝛ ihm demuͤthigen moͤgen: abeꝛ wiꝛ muͤſ-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">o o o o 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſen</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[659/0671]
ARTIC. V. SECT. LIII.
GOtt noch goͤnnet. Nun er gebe ſelbs an allen orten ſeinen kindern dieſe weißheit,
die gewiß uͤber alles menſchliche vermoͤgen gehet; die auch eine der fuͤrnehmſten ga-
ben dieſer zeit iſt, um welche wir zu beten haben.
17. Decembr. 1689.
SECTIO LIII.
An einen chriſtlichen prediger in ſeinem anliegen/
ſeinem amte nicht gnug zu thun/ und wegen ſeines orts ent-
ſtandener unruhe. Wie allezeit/ wo irrungen und trennun-
gen in einer gemeinde zu entſtehen anfangen/ die heftigkeit
gegen die irrende parthey trenne/ allwo ſanfftmuth und ge-
dult alles zu rechte bringe.
JCh muß bezeugen, daß deſſen an mich abgegebenes mir mehr betruͤbnuͤß als
freude gemacht, nicht um meinet willen, ſondern um geliebten Bruders
willen, deſſen kraͤnckende aͤngſtigung, nachdem ſie natuͤrlicher weiſe ſeine
kraͤfften, ſo ich zu GOttes preiſe lange zeit erhalten zu werden verlange, verzeh-
ret, auch nicht weniger aͤngſtiget. Dahero ich von grund der ſeelen wuͤnſche, daß
GOtt ſolcher ſorgen laſt erleichtern wolle. Jch ſehe aber, es beſtehe daſſelbe in zwey
ſtuͤcken. 1. Jndem derſelbe immer ſaget, Er thue nicht genug bey ſeiner ge-
meinde. Nun will ich weder demſelben noch jemand anders in dergleichen dingen
flattiren, aber aus uͤberſchriebenen, und was ſonſten hoͤre von ſeiner treue, kan ich
nicht leugnen, wie ich das geringſte fundament ſolcher angſt nicht ſehe. Wir
habens ja mit einem ſolchen vater zu thun, der unſre ſchwachheit, und wie weit ſich
die kraͤffte eines mannes erſtrecken, allzuwol kennet, hingegen auch allzuguͤtig ge-
gen uns geſinnet iſt, als daß er von uns fordern ſolte, was er uns nicht gegeben.
Wie ich nun verſichert bin, daß ſeine liebe ſeele in der ſteten begierde ſtehet,
GOtt nach allen kraͤfften zu dienen, und ſich ohne ausnahm ihm gantz aufzuopfern,
auch mit vorſatz und willen keine gelegenheit deſſen zu verſaͤumen begehret: weſſen
ich hoffe, daß ihn ſein gewiſſen vor GOttes angeſicht uͤberzeuget: ſo ſehe ich nicht
einen genugſamen grund zur ſorglichen aͤngſtigung; zwar iſts freylich ſo, daß uns
auch leid thun ſolle, daß wir nunmehr in ſolcher ſchwachheit ſtehen, in der wir nicht
mehr auszurichten vermoͤgen, weswegen wir uns auch dieſes unvermoͤgens und
unwiſſenheit wegen mit kindlicher ſcham voꝛ ihm demuͤthigen moͤgen: abeꝛ wiꝛ muͤſ-
ſen
o o o o 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/671>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.