SECTIO XLVIII. An einen von der welt kräfftig abgezogen zu wer- den angefangenen/ aber über die schwierigkeit und schwachheit klagenden/ aufmunterung und anweisung.
WJe mir, was sowol von unsern geliebten Hn. M. Francken seiner person wegen als aus seinem eigenen munde gehöret, in Leipzig zu vernehmen angenehm gewesen, so kan versichern, daß mir nicht weniger angenehm gefallen, aus solchem briefe an mich die aufrichtigkeit und beständigkeit des gottse- ligen vorsatzes nicht mit der welt in ihrem wilden wüsten wesen fortzulauffen, son- dern nach den regeln des christenthums treulich einherzugehen, zu erkennen. Jch gratulire demselben also billich darüber, daß sich der himmlische Vater nach seiner grossen barmhertzigkeit seiner seele hertzlich angenommen, und nun erkennen hat lassen, was der zweck sey unsers gantzen lebens in dieser zeitlichkeit, nemlich uns we- der an der welt gütern oder ehre zu vergaffen, noch in derselben wollüsten unse- re freude zu suchen, sondern vielmehr unserm GOTT und schöpffer alles, was er uns an seel und leib gegeben hat, wiederum zu geben, und uns durch seinen geist ihm stäts ähnlicher machen zu lassen, bis sein bild vollkommen an uns leuchte. Daß aber derselbe klaget, wie schwer es ihm werde, und wie er sich so schwach in seinem anfange befinde, wundere ich mich nichts, noch darff derselbe sich wundern. Wir wissen, unsre natur ist aus der natürlichen verderbnüß bereits in sich zum bö- sen geneigt, und zu allem guten gantz ungeschickt, daher es unmöglich ist, daß es sie anders als sauer ankomme, sich zu demjenigen zu nöthigen, was ihrer zu- neigung gantz entgegen ist, und hingegen sich von demselben abzuziehen, wo- zu sie uns stäts antreibet. Wann dann zu solcher natürlichen verderbnüß noch kommet, daß die sündlichen lüste durch gewohnheit mehrer Jahre und durch der welt allgemeines exempel noch so viel mehr erstärcket sind, so ists unmöglich, daß es nicht ein gantz anderer Mensch zu werden eine überaus schwere sache solte seyn: Ja es ist solches ohne eine höhere krafft von oben, die uns durch das gött- liche wort wiedergebiehret, warhaftig unmöglich. Wann uns aber GOtt die gnade thut, welche er ihm gethan, die augen zur erkäntnüß unsers elends, der
welt
IV. Theil. n n n n
ARTIC. V. SECT. XLIIX.
SECTIO XLVIII. An einen von der welt kraͤfftig abgezogen zu wer- den angefangenen/ aber uͤber die ſchwierigkeit und ſchwachheit klagenden/ aufmunterung und anweiſung.
WJe mir, was ſowol von unſern geliebten Hn. M. Francken ſeiner perſon wegen als aus ſeinem eigenen munde gehoͤret, in Leipzig zu vernehmen angenehm geweſen, ſo kan verſichern, daß mir nicht weniger angenehm gefallen, aus ſolchem briefe an mich die aufrichtigkeit und beſtaͤndigkeit des gottſe- ligen vorſatzes nicht mit der welt in ihrem wilden wuͤſten weſen fortzulauffen, ſon- dern nach den regeln des chriſtenthums treulich einherzugehen, zu erkennen. Jch gratulire demſelben alſo billich daruͤber, daß ſich der himmliſche Vater nach ſeiner groſſen barmhertzigkeit ſeiner ſeele hertzlich angenommen, und nun erkennen hat laſſen, was der zweck ſey unſers gantzen lebens in dieſer zeitlichkeit, nemlich uns we- der an der welt guͤtern oder ehre zu vergaffen, noch in derſelben wolluͤſten unſe- re freude zu ſuchen, ſondern vielmehr unſerm GOTT und ſchoͤpffer alles, was er uns an ſeel und leib gegeben hat, wiederum zu geben, und uns durch ſeinen geiſt ihm ſtaͤts aͤhnlicher machen zu laſſen, bis ſein bild vollkommen an uns leuchte. Daß aber derſelbe klaget, wie ſchwer es ihm werde, und wie er ſich ſo ſchwach in ſeinem anfange befinde, wundere ich mich nichts, noch darff derſelbe ſich wundern. Wir wiſſen, unſre natur iſt aus der natuͤrlichen verderbnuͤß bereits in ſich zum boͤ- ſen geneigt, und zu allem guten gantz ungeſchickt, daher es unmoͤglich iſt, daß es ſie anders als ſauer ankomme, ſich zu demjenigen zu noͤthigen, was ihrer zu- neigung gantz entgegen iſt, und hingegen ſich von demſelben abzuziehen, wo- zu ſie uns ſtaͤts antreibet. Wann dann zu ſolcher natuͤrlichen verderbnuͤß noch kommet, daß die ſuͤndlichen luͤſte durch gewohnheit mehrer Jahre und durch der welt allgemeines exempel noch ſo viel mehr erſtaͤrcket ſind, ſo iſts unmoͤglich, daß es nicht ein gantz anderer Menſch zu werden eine uͤberaus ſchwere ſache ſolte ſeyn: Ja es iſt ſolches ohne eine hoͤhere krafft von oben, die uns durch das goͤtt- liche wort wiedergebiehret, warhaftig unmoͤglich. Wann uns aber GOtt die gnade thut, welche er ihm gethan, die augen zur erkaͤntnuͤß unſers elends, der
welt
IV. Theil. n n n n
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0661"n="649"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">ARTIC. V. SECT. XLIIX.</hi></hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">SECTIO</hi> XLVIII.</hi><lb/>
An einen von der welt kraͤfftig abgezogen zu wer-<lb/>
den angefangenen/ aber uͤber die ſchwierigkeit und<lb/>ſchwachheit klagenden/ aufmunterung<lb/>
und anweiſung.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>Je mir, was ſowol von unſern geliebten Hn. <hirendition="#aq">M.</hi> Francken ſeiner perſon<lb/>
wegen als aus ſeinem eigenen munde gehoͤret, in Leipzig zu vernehmen<lb/>
angenehm geweſen, ſo kan verſichern, daß mir nicht weniger angenehm<lb/>
gefallen, aus ſolchem briefe an mich die aufrichtigkeit und beſtaͤndigkeit des gottſe-<lb/>
ligen vorſatzes nicht mit der welt in ihrem wilden wuͤſten weſen fortzulauffen, ſon-<lb/>
dern nach den regeln des chriſtenthums treulich einherzugehen, zu erkennen. Jch<lb/><hirendition="#aq">gratuli</hi>re demſelben alſo billich daruͤber, daß ſich der himmliſche Vater nach ſeiner<lb/>
groſſen barmhertzigkeit ſeiner ſeele hertzlich angenommen, und nun erkennen hat<lb/>
laſſen, was der zweck ſey unſers gantzen lebens in dieſer zeitlichkeit, nemlich uns we-<lb/>
der an der welt guͤtern oder ehre zu vergaffen, noch in derſelben wolluͤſten unſe-<lb/>
re freude zu ſuchen, ſondern vielmehr unſerm GOTT und ſchoͤpffer alles, was er<lb/>
uns an ſeel und leib gegeben hat, wiederum zu geben, und uns durch ſeinen geiſt ihm<lb/>ſtaͤts aͤhnlicher machen zu laſſen, bis ſein bild vollkommen an uns leuchte. Daß<lb/>
aber derſelbe klaget, wie ſchwer es ihm werde, und wie er ſich ſo ſchwach in ſeinem<lb/>
anfange befinde, wundere ich mich nichts, noch darff derſelbe ſich wundern. Wir<lb/>
wiſſen, unſre natur iſt aus der natuͤrlichen verderbnuͤß bereits in ſich zum boͤ-<lb/>ſen geneigt, und zu allem guten gantz ungeſchickt, daher es unmoͤglich iſt, daß<lb/>
es ſie anders als ſauer ankomme, ſich zu demjenigen zu noͤthigen, was ihrer zu-<lb/>
neigung gantz entgegen iſt, und hingegen ſich von demſelben abzuziehen, wo-<lb/>
zu ſie uns ſtaͤts antreibet. Wann dann zu ſolcher natuͤrlichen verderbnuͤß noch<lb/>
kommet, daß die ſuͤndlichen luͤſte durch gewohnheit mehrer Jahre und durch der<lb/>
welt allgemeines exempel noch ſo viel mehr erſtaͤrcket ſind, ſo iſts unmoͤglich,<lb/>
daß es nicht ein gantz anderer Menſch zu werden eine uͤberaus ſchwere ſache<lb/>ſolte ſeyn: Ja es iſt ſolches ohne eine hoͤhere krafft von oben, die uns durch das goͤtt-<lb/>
liche wort wiedergebiehret, warhaftig unmoͤglich. Wann uns aber GOtt die<lb/>
gnade thut, welche er ihm gethan, die augen zur erkaͤntnuͤß unſers elends, der<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">IV.</hi> Theil. n n n n</fw><fwplace="bottom"type="catch">welt</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[649/0661]
ARTIC. V. SECT. XLIIX.
SECTIO XLVIII.
An einen von der welt kraͤfftig abgezogen zu wer-
den angefangenen/ aber uͤber die ſchwierigkeit und
ſchwachheit klagenden/ aufmunterung
und anweiſung.
WJe mir, was ſowol von unſern geliebten Hn. M. Francken ſeiner perſon
wegen als aus ſeinem eigenen munde gehoͤret, in Leipzig zu vernehmen
angenehm geweſen, ſo kan verſichern, daß mir nicht weniger angenehm
gefallen, aus ſolchem briefe an mich die aufrichtigkeit und beſtaͤndigkeit des gottſe-
ligen vorſatzes nicht mit der welt in ihrem wilden wuͤſten weſen fortzulauffen, ſon-
dern nach den regeln des chriſtenthums treulich einherzugehen, zu erkennen. Jch
gratulire demſelben alſo billich daruͤber, daß ſich der himmliſche Vater nach ſeiner
groſſen barmhertzigkeit ſeiner ſeele hertzlich angenommen, und nun erkennen hat
laſſen, was der zweck ſey unſers gantzen lebens in dieſer zeitlichkeit, nemlich uns we-
der an der welt guͤtern oder ehre zu vergaffen, noch in derſelben wolluͤſten unſe-
re freude zu ſuchen, ſondern vielmehr unſerm GOTT und ſchoͤpffer alles, was er
uns an ſeel und leib gegeben hat, wiederum zu geben, und uns durch ſeinen geiſt ihm
ſtaͤts aͤhnlicher machen zu laſſen, bis ſein bild vollkommen an uns leuchte. Daß
aber derſelbe klaget, wie ſchwer es ihm werde, und wie er ſich ſo ſchwach in ſeinem
anfange befinde, wundere ich mich nichts, noch darff derſelbe ſich wundern. Wir
wiſſen, unſre natur iſt aus der natuͤrlichen verderbnuͤß bereits in ſich zum boͤ-
ſen geneigt, und zu allem guten gantz ungeſchickt, daher es unmoͤglich iſt, daß
es ſie anders als ſauer ankomme, ſich zu demjenigen zu noͤthigen, was ihrer zu-
neigung gantz entgegen iſt, und hingegen ſich von demſelben abzuziehen, wo-
zu ſie uns ſtaͤts antreibet. Wann dann zu ſolcher natuͤrlichen verderbnuͤß noch
kommet, daß die ſuͤndlichen luͤſte durch gewohnheit mehrer Jahre und durch der
welt allgemeines exempel noch ſo viel mehr erſtaͤrcket ſind, ſo iſts unmoͤglich,
daß es nicht ein gantz anderer Menſch zu werden eine uͤberaus ſchwere ſache
ſolte ſeyn: Ja es iſt ſolches ohne eine hoͤhere krafft von oben, die uns durch das goͤtt-
liche wort wiedergebiehret, warhaftig unmoͤglich. Wann uns aber GOtt die
gnade thut, welche er ihm gethan, die augen zur erkaͤntnuͤß unſers elends, der
welt
IV. Theil. n n n n
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/661>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.