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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
zwingen wollen: welches ohne das die stelle und gelegenheit nicht ist, dahin wir un-
sere eigene angelegenheiten zu bringen macht haben. Wird also mein Hochgl. Hr.
Superintendent bey sich leicht ermessen, daß solches nicht möge an den orten, wo
drüber zu richten seyn wird, recht gesprochen werden: vielmehr kan man die harte
reden, welche drüber auf der cantzel fallen sollen, anders nicht als einen mißbrauch
des heiligen amts achten. Am meisten aber betrübet mich, daß da sonsten das ver-
trauen zwischen lehrern und zuhörern die vornehmste beförderung der erbauung ist,
der bisherige mißverstand besorglich ein grosses von der frucht, welche dessen amt
bey der gemeine hätte bringen können und sollen, geschlagen haben mag. Denn ge-
wiß ists, so bald als die gemeinde von einem seelsorger auf diese gedancken gebracht
wird, daß er das seinige suche, u. aus begierde schätze zu samlen unvergnügsam seye,
so ists meist um die erbauung, welche sonst von ihm zu hoffen wäre, geschehen, und
wird er wenig mehr ausrichten. Uber dieses, so vielleicht aus dem vorigen herkommet,
habe auch gehöret, daß von der zeit, als die geforderte vermehrung der besoldung
nicht wollen gewilliget werden, nebens dem, was vor derselben sache urgiret wor-
den, auch sonsten die predigten meistentheils mit sehr harten terminis und invecti-
ven
ja gar schelt-worten (anders als in dem ersten halben jahr und drüber gesche-
hen) erfüllet gewesen, sonderlich aber allerley, auch ungegründete, particularia auf
die cantzel gebracht worden seyn. Welches wo es sich also verhalten solte, nicht we-
niger ein mißbrauch des amtes seyn würde. Hierzu kommet, daß mein hochgeehrter
Hr. Superint. ohne begrüssung des raths eine mauer um seinen hof, welche gleich-
wol derselbe bezahlen müßte, führen lassen, da doch dergleichen nicht anders als
communicato consilio geschehen solte, wie auch daß dem rath invocations sache,
ungewöhnliche formuln angemuthet werden wolten, da doch wiederum in unsern
landen in allen solchen dingen stäts dermassen auf das herkommen gesehen wird, daß
dasselbe auch den gemeinen constitutionibus, wo denselben nicht ausdrücklich de-
rogir
et werde, vorgezogen, und wo es zu der contradiction kommet, gewöhnlich auf
jenes gesprochen wird. Vorigen wird beygesetzet, daß mein hochgeehrter Hr. Super-
int.
die accidentia eigenmächtig erhöhe, und welche vordem in freyen willkühr ge-
standen, zu etwas gewisses determinire: nicht weniger daß dem ministerio Dioe-
cesiano
unterschiedliches wider das herkommen bisher aufgebürdet, sonderlich aber
zu einer kutschen, wider die ausdrückliche verordnung, eine collecte demselben auf-
erleget worden: zu geschweigen, worüber zwar schon bey lebzeiten des vorigen inspe-
ctoris
einige des adels sich beschweret, daß bey herumsendung der verordnungen
von dem boten so viel gefordert werde, daß es bey geringen gemeinden, wenn colle-
cten
gesamlet werden, leicht das meiste davon wegnehme, da doch bey dem Churfl.
amts-befehle dergleichen nicht geschehe. So sind noch andere gravamina, mit wel-
chen besorglich der adel zu seiner zeit, u. alsdenn mit mehr nachdruck, ausbrechen dörf-
te. Hiezu setze annoch dasjenige, welches zwar auch bereits zu zeiten des intecesso-
ris
angefangen haben solle, daß gemeinen leuten ihren kindern bey der heiligen tauffe
zwey namen zu geben nicht zugelassen werden wolle: da weder mein hochgeehrten

Hn.

Das ſiebende Capitel.
zwingen wollen: welches ohne das die ſtelle und gelegenheit nicht iſt, dahin wir un-
ſere eigene angelegenheiten zu bringen macht haben. Wird alſo mein Hochgl. Hr.
Superintendent bey ſich leicht ermeſſen, daß ſolches nicht moͤge an den orten, wo
druͤber zu richten ſeyn wird, recht geſprochen werden: vielmehr kan man die harte
reden, welche druͤber auf der cantzel fallen ſollen, anders nicht als einen mißbrauch
des heiligen amts achten. Am meiſten aber betruͤbet mich, daß da ſonſten das ver-
trauen zwiſchen lehrern und zuhoͤrern die vornehmſte befoͤrderung der erbauung iſt,
der bisherige mißverſtand beſorglich ein groſſes von der frucht, welche deſſen amt
bey der gemeine haͤtte bringen koͤnnen und ſollen, geſchlagen haben mag. Denn ge-
wiß iſts, ſo bald als die gemeinde von einem ſeelſorger auf dieſe gedancken gebracht
wird, daß er das ſeinige ſuche, u. aus begierde ſchaͤtze zu ſamlen unvergnuͤgſam ſeye,
ſo iſts meiſt um die erbauung, welche ſonſt von ihm zu hoffen waͤre, geſchehen, und
wird er wenig mehr ausrichten. Uber dieſes, ſo vielleicht aus dem vorigen herkom̃et,
habe auch gehoͤret, daß von der zeit, als die geforderte vermehrung der beſoldung
nicht wollen gewilliget werden, nebens dem, was vor derſelben ſache urgiret wor-
den, auch ſonſten die predigten meiſtentheils mit ſehr harten terminis und invecti-
ven
ja gar ſchelt-worten (anders als in dem erſten halben jahr und druͤber geſche-
hen) erfuͤllet geweſen, ſonderlich aber allerley, auch ungegruͤndete, particularia auf
die cantzel gebracht worden ſeyn. Welches wo es ſich alſo verhalten ſolte, nicht we-
niger ein mißbrauch des amtes ſeyn wuͤrde. Hierzu kom̃et, daß mein hochgeehrter
Hr. Superint. ohne begruͤſſung des raths eine mauer um ſeinen hof, welche gleich-
wol derſelbe bezahlen muͤßte, fuͤhren laſſen, da doch dergleichen nicht anders als
communicato conſilio geſchehen ſolte, wie auch daß dem ꝛath invocations ſache,
ungewoͤhnliche formuln angemuthet werden wolten, da doch wiederum in unſern
landen in allen ſolchen dingen ſtaͤts dermaſſen auf das herkom̃en geſehen wird, daß
daſſelbe auch den gemeinen conſtitutionibus, wo denſelben nicht ausdꝛuͤcklich de-
rogir
et werde, vorgezogen, und wo es zu der contradiction kom̃et, gewoͤhnlich auf
jenes geſprochen wird. Vorigen wird beygeſetzet, daß mein hochgeehꝛter Hr. Super-
int.
die accidentia eigenmaͤchtig erhoͤhe, und welche vordem in freyen willkuͤhr ge-
ſtanden, zu etwas gewiſſes determinire: nicht weniger daß dem miniſterio Diœ-
ceſiano
unterſchiedliches wider das herkom̃en bisher aufgebuͤrdet, ſonderlich aber
zu einer kutſchen, wider die ausdruͤckliche verordnung, eine collecte demſelben auf-
erleget worden: zu geſchweigen, woruͤber zwar ſchon bey lebzeiten des voꝛigen inſpe-
ctoris
einige des adels ſich beſchweret, daß bey herumſendung der verordnungen
von dem boten ſo viel gefordert werde, daß es bey geringen gemeinden, wenn colle-
cten
geſamlet werden, leicht das meiſte davon wegnehme, da doch bey dem Churfl.
amts-befehle dergleichen nicht geſchehe. So ſind noch andere gravamina, mit wel-
chen beſorglich der adel zu ſeiner zeit, u. alsdeñ mit mehr nachdruck, ausbrechen doͤrf-
te. Hiezu ſetze annoch dasjenige, welches zwar auch bereits zu zeiten des inteceſſo-
ris
angefangen haben ſolle, daß gemeinen leuten ihren kindeꝛn bey der heiligen tauffe
zwey namen zu geben nicht zugelaſſen werden wolle: da weder mein hochgeehrten

Hn.
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[616/0628] Das ſiebende Capitel. zwingen wollen: welches ohne das die ſtelle und gelegenheit nicht iſt, dahin wir un- ſere eigene angelegenheiten zu bringen macht haben. Wird alſo mein Hochgl. Hr. Superintendent bey ſich leicht ermeſſen, daß ſolches nicht moͤge an den orten, wo druͤber zu richten ſeyn wird, recht geſprochen werden: vielmehr kan man die harte reden, welche druͤber auf der cantzel fallen ſollen, anders nicht als einen mißbrauch des heiligen amts achten. Am meiſten aber betruͤbet mich, daß da ſonſten das ver- trauen zwiſchen lehrern und zuhoͤrern die vornehmſte befoͤrderung der erbauung iſt, der bisherige mißverſtand beſorglich ein groſſes von der frucht, welche deſſen amt bey der gemeine haͤtte bringen koͤnnen und ſollen, geſchlagen haben mag. Denn ge- wiß iſts, ſo bald als die gemeinde von einem ſeelſorger auf dieſe gedancken gebracht wird, daß er das ſeinige ſuche, u. aus begierde ſchaͤtze zu ſamlen unvergnuͤgſam ſeye, ſo iſts meiſt um die erbauung, welche ſonſt von ihm zu hoffen waͤre, geſchehen, und wird er wenig mehr ausrichten. Uber dieſes, ſo vielleicht aus dem vorigen herkom̃et, habe auch gehoͤret, daß von der zeit, als die geforderte vermehrung der beſoldung nicht wollen gewilliget werden, nebens dem, was vor derſelben ſache urgiret wor- den, auch ſonſten die predigten meiſtentheils mit ſehr harten terminis und invecti- ven ja gar ſchelt-worten (anders als in dem erſten halben jahr und druͤber geſche- hen) erfuͤllet geweſen, ſonderlich aber allerley, auch ungegruͤndete, particularia auf die cantzel gebracht worden ſeyn. Welches wo es ſich alſo verhalten ſolte, nicht we- niger ein mißbrauch des amtes ſeyn wuͤrde. Hierzu kom̃et, daß mein hochgeehrter Hr. Superint. ohne begruͤſſung des raths eine mauer um ſeinen hof, welche gleich- wol derſelbe bezahlen muͤßte, fuͤhren laſſen, da doch dergleichen nicht anders als communicato conſilio geſchehen ſolte, wie auch daß dem ꝛath invocations ſache, ungewoͤhnliche formuln angemuthet werden wolten, da doch wiederum in unſern landen in allen ſolchen dingen ſtaͤts dermaſſen auf das herkom̃en geſehen wird, daß daſſelbe auch den gemeinen conſtitutionibus, wo denſelben nicht ausdꝛuͤcklich de- rogiret werde, vorgezogen, und wo es zu der contradiction kom̃et, gewoͤhnlich auf jenes geſprochen wird. Vorigen wird beygeſetzet, daß mein hochgeehꝛter Hr. Super- int. die accidentia eigenmaͤchtig erhoͤhe, und welche vordem in freyen willkuͤhr ge- ſtanden, zu etwas gewiſſes determinire: nicht weniger daß dem miniſterio Diœ- ceſiano unterſchiedliches wider das herkom̃en bisher aufgebuͤrdet, ſonderlich aber zu einer kutſchen, wider die ausdruͤckliche verordnung, eine collecte demſelben auf- erleget worden: zu geſchweigen, woruͤber zwar ſchon bey lebzeiten des voꝛigen inſpe- ctoris einige des adels ſich beſchweret, daß bey herumſendung der verordnungen von dem boten ſo viel gefordert werde, daß es bey geringen gemeinden, wenn colle- cten geſamlet werden, leicht das meiſte davon wegnehme, da doch bey dem Churfl. amts-befehle dergleichen nicht geſchehe. So ſind noch andere gravamina, mit wel- chen beſorglich der adel zu ſeiner zeit, u. alsdeñ mit mehr nachdruck, ausbrechen doͤrf- te. Hiezu ſetze annoch dasjenige, welches zwar auch bereits zu zeiten des inteceſſo- ris angefangen haben ſolle, daß gemeinen leuten ihren kindeꝛn bey der heiligen tauffe zwey namen zu geben nicht zugelaſſen werden wolle: da weder mein hochgeehrten Hn.

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/628>, abgerufen am 21.11.2024.