Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.Das siebende Capitel. Schwager solches selbst erkant/ also werdens noch ferner alle diejenige erkennen/die ohne passion die sach erwegen/ und gegen die schrifft halten werden. Jch schreibe alles pur lauter göttlicher gnade zu/ und wie alles gutes in uns vielmehr GOttes als unser eigen werck ist/ also gebühret uns von GOTT derohalben kein pflichtlohn/ sondern uns lieget vielmehr ob/ dem liebreichen Vater in dem himmel danck zu sagen/ wo er uns gewürdiget/ gutes in uns zu wircken. Jch erkenne gern/ daß der glaube von unserer seiten allein das mittel unsers heils seye: Jch erkenne a- ber diejenige sichere einbildung/ die ihm der grosse hauffe macht/ aus CHRJSTJ verdienst bey allen herrschenden fünden selig zu werden/ durchaus vor keinen glau- ben; sondern traum des sündlichen fleisches und gefährlichsten betrug des teufels. Hingegen habe ich aus GOTTES wort und unserm lieben Luthero gelernet/ daß der wahre glaube eine göttliche wirckung seye/ so den menschen gantz ändert und wiedergebieret/ daß er weder also gesinnet ist/ noch lebet/ wie andere natürliche menschen zu seyn und zu leben pflegen. Wo ich also sehe/ daß ein mensch annoch der alte natürliche mensch ist/ und lebet nach dessen lüsten/ suchet wissentlich seine ehre/ nutzen/ lust in seinem leben/ so bin ich versichert/ er stehe noch blosserdings in seiner alten geburt ausser dem glauben/ als der sich nicht den geist GOttes trei- ben lässet/ so den kindern GOttes zukommet/ sondern seinen alten adam und den fürsten dieser welt/ welcher sein werck hat in den kindern des unglaubens. Ferner daß gefahr solle seyn/ daß die leute pharisäisch oder aber melancholisch werden solten/ aus solcher lehre der gottseligkeit/ ist wiederum eine vergebene sorge. Es stehet ja dem pharisaismo nichts schnurstracker entgegen/ als diese lehr/ welche das inner- liche und das hertz vor GOTT und von GOTT geändert zu werden haben will/ welche nach des seligen Arnds andeuten uns erst recht den greuel unserer innerlichen verderbnüß vor augen stellet/ den sonsten die wenigsten erkennen: welche aber sich rechtschaffen anfangen zu untersuchen/ desselbigen erst bey sich mehr und mehr ge- wahr werden. Dahero vielmehr eine tägliche übung der demuth zu erkennen/ als hochmuth daraus zu sorgen ist. Was die melancholie anlangt/ so wird zwar diese lehr keines natürliche complexion eben verändern/ sodann läßt dieselbige nicht zu/ daß ein rechtschaffener Christ sich in den üppigen welt-freuden viel umsehe. Aber ich bin versichert/ daß kein kräfftigerer antrieb zu warer göttlicher freude gefun- den werden kan/ als eben der/ wo der mensch nunmehr sich in seiner seele überzeu- get befindet seines ungefärbten glaubens/ und also der gewiß erlangten seligkeit/ aus dem/ da ihm nun sein gewissen zeugnüß giebet/ daß er wahrhafftig nicht mehr der welt sondern seinem GOTT mit aufrichtigem hertzen diene/ und ferner dienen wolle. Zu geschweigen jetzt der süssen tröstung des Geistes/ welche zuweilen der lieb- reiche Vater seinen kindern in solchem stande/ wo er es ihnen nützlich findet/ zu schmecken
Das ſiebende Capitel. Schwager ſolches ſelbſt erkant/ alſo werdens noch ferner alle diejenige erkennen/die ohne paſſion die ſach erwegen/ und gegen die ſchrifft halten werden. Jch ſchreibe alles pur lauter goͤttlicher gnade zu/ und wie alles gutes in uns vielmehr GOttes als unſer eigen werck iſt/ alſo gebuͤhret uns von GOTT derohalben kein pflichtlohn/ ſondern uns lieget vielmehr ob/ dem liebreichen Vater in dem himmel danck zu ſagen/ wo er uns gewuͤrdiget/ gutes in uns zu wircken. Jch erkenne gern/ daß der glaube von unſerer ſeiten allein das mittel unſers heils ſeye: Jch erkenne a- ber diejenige ſichere einbildung/ die ihm der groſſe hauffe macht/ aus CHRJSTJ verdienſt bey allen herrſchenden fuͤnden ſelig zu werden/ durchaus vor keinen glau- ben; ſondern traum des ſuͤndlichen fleiſches und gefaͤhrlichſten betrug des teufels. Hingegen habe ich aus GOTTES wort und unſerm lieben Luthero gelernet/ daß der wahre glaube eine goͤttliche wirckung ſeye/ ſo den menſchen gantz aͤndert und wiedergebieret/ daß er weder alſo geſinnet iſt/ noch lebet/ wie andere natuͤrliche menſchen zu ſeyn und zu leben pflegen. Wo ich alſo ſehe/ daß ein menſch annoch der alte natuͤrliche menſch iſt/ und lebet nach deſſen luͤſten/ ſuchet wiſſentlich ſeine ehre/ nutzen/ luſt in ſeinem leben/ ſo bin ich verſichert/ er ſtehe noch bloſſerdings in ſeiner alten geburt auſſer dem glauben/ als der ſich nicht den geiſt GOttes trei- ben laͤſſet/ ſo den kindern GOttes zukommet/ ſondern ſeinen alten adam und den fuͤrſten dieſer welt/ welcher ſein werck hat in den kindern des unglaubens. Ferner daß gefahꝛ ſolle ſeyn/ daß die leute phariſaͤiſch oder aber melancholiſch werden ſolten/ aus ſolcher lehre der gottſeligkeit/ iſt wiederum eine vergebene ſorge. Es ſtehet ja dem phariſaiſmo nichts ſchnurſtracker entgegen/ als dieſe lehr/ welche das inner- liche und das hertz vor GOTT und von GOTT geaͤndert zu werden haben will/ welche nach des ſeligen Arnds andeuten uns erſt recht den greuel unſerer innerlichen verderbnuͤß vor augen ſtellet/ den ſonſten die wenigſten erkennen: welche aber ſich rechtſchaffen anfangen zu unterſuchen/ deſſelbigen erſt bey ſich mehr und mehr ge- wahr werden. Dahero vielmehr eine taͤgliche uͤbung der demuth zu erkennen/ als hochmuth daraus zu ſorgen iſt. Was die melancholie anlangt/ ſo wird zwar dieſe lehr keines natuͤrliche complexion eben veraͤndern/ ſodann laͤßt dieſelbige nicht zu/ daß ein rechtſchaffener Chriſt ſich in den uͤppigen welt-freuden viel umſehe. Abeꝛ ich bin veꝛſichert/ daß kein kraͤfftigerer antrieb zu warer goͤttlicher freude gefun- den werden kan/ als eben der/ wo der menſch nunmehr ſich in ſeiner ſeele uͤberzeu- get befindet ſeines ungefaͤrbten glaubens/ und alſo der gewiß erlangten ſeligkeit/ aus dem/ da ihm nun ſein gewiſſen zeugnuͤß giebet/ daß er wahrhafftig nicht mehr der welt ſondern ſeinem GOTT mit aufrichtigem hertzen diene/ und ferner dienen wolle. Zu geſchweigen jetzt der ſuͤſſen troͤſtung des Geiſtes/ welche zuweilen der lieb- reiche Vater ſeinen kindern in ſolchem ſtande/ wo er es ihnen nuͤtzlich findet/ zu ſchmecken
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Das ſiebende Capitel.
Schwager ſolches ſelbſt erkant/ alſo werdens noch ferner alle diejenige erkennen/
die ohne paſſion die ſach erwegen/ und gegen die ſchrifft halten werden. Jch
ſchreibe alles pur lauter goͤttlicher gnade zu/ und wie alles gutes in uns vielmehr
GOttes als unſer eigen werck iſt/ alſo gebuͤhret uns von GOTT derohalben kein
pflichtlohn/ ſondern uns lieget vielmehr ob/ dem liebreichen Vater in dem himmel
danck zu ſagen/ wo er uns gewuͤrdiget/ gutes in uns zu wircken. Jch erkenne gern/
daß der glaube von unſerer ſeiten allein das mittel unſers heils ſeye: Jch erkenne a-
ber diejenige ſichere einbildung/ die ihm der groſſe hauffe macht/ aus CHRJSTJ
verdienſt bey allen herrſchenden fuͤnden ſelig zu werden/ durchaus vor keinen glau-
ben; ſondern traum des ſuͤndlichen fleiſches und gefaͤhrlichſten betrug des teufels.
Hingegen habe ich aus GOTTES wort und unſerm lieben Luthero gelernet/ daß
der wahre glaube eine goͤttliche wirckung ſeye/ ſo den menſchen gantz aͤndert und
wiedergebieret/ daß er weder alſo geſinnet iſt/ noch lebet/ wie andere natuͤrliche
menſchen zu ſeyn und zu leben pflegen. Wo ich alſo ſehe/ daß ein menſch annoch
der alte natuͤrliche menſch iſt/ und lebet nach deſſen luͤſten/ ſuchet wiſſentlich ſeine
ehre/ nutzen/ luſt in ſeinem leben/ ſo bin ich verſichert/ er ſtehe noch bloſſerdings
in ſeiner alten geburt auſſer dem glauben/ als der ſich nicht den geiſt GOttes trei-
ben laͤſſet/ ſo den kindern GOttes zukommet/ ſondern ſeinen alten adam und den
fuͤrſten dieſer welt/ welcher ſein werck hat in den kindern des unglaubens. Ferner
daß gefahꝛ ſolle ſeyn/ daß die leute phariſaͤiſch oder aber melancholiſch werden ſolten/
aus ſolcher lehre der gottſeligkeit/ iſt wiederum eine vergebene ſorge. Es ſtehet ja
dem phariſaiſmo nichts ſchnurſtracker entgegen/ als dieſe lehr/ welche das inner-
liche und das hertz vor GOTT und von GOTT geaͤndert zu werden haben will/
welche nach des ſeligen Arnds andeuten uns erſt recht den greuel unſerer innerlichen
verderbnuͤß vor augen ſtellet/ den ſonſten die wenigſten erkennen: welche aber ſich
rechtſchaffen anfangen zu unterſuchen/ deſſelbigen erſt bey ſich mehr und mehr ge-
wahr werden. Dahero vielmehr eine taͤgliche uͤbung der demuth zu erkennen/ als
hochmuth daraus zu ſorgen iſt. Was die melancholie anlangt/ ſo wird zwar
dieſe lehr keines natuͤrliche complexion eben veraͤndern/ ſodann laͤßt dieſelbige
nicht zu/ daß ein rechtſchaffener Chriſt ſich in den uͤppigen welt-freuden viel umſehe.
Abeꝛ ich bin veꝛſichert/ daß kein kraͤfftigerer antrieb zu warer goͤttlicher freude gefun-
den werden kan/ als eben der/ wo der menſch nunmehr ſich in ſeiner ſeele uͤberzeu-
get befindet ſeines ungefaͤrbten glaubens/ und alſo der gewiß erlangten ſeligkeit/
aus dem/ da ihm nun ſein gewiſſen zeugnuͤß giebet/ daß er wahrhafftig nicht mehr
der welt ſondern ſeinem GOTT mit aufrichtigem hertzen diene/ und ferner dienen
wolle. Zu geſchweigen jetzt der ſuͤſſen troͤſtung des Geiſtes/ welche zuweilen der lieb-
reiche Vater ſeinen kindern in ſolchem ſtande/ wo er es ihnen nuͤtzlich findet/ zu
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/524>, abgerufen am 16.06.2024. |