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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
haben? Nun er ist der HErr/ er thue was ihm gefällt. Er kan ja nichts anders als das
beste thun.-Es tröstet mich auch dieses nicht wenig/ daß ich sehe/ wie der HErr son-
derlich bey einigen schulen anfängt etwas zu erwecken/ die nach dem rechtschaffenen
grunde trachten: ob er vielleicht eine bessere welt allgemach bey der jugend will berei-
ten.-Wann ich an alle diese dinge gedencke/ gemahnets mich recht an die zeiten ge-
rade vor Christi geburt/ da derjenigen viel waren/ die auf die erlösung zu Jerusalem
warteten. Ach daß es denn bald recht an dem abend liecht würde! Zach. 14. Was letz-
lich den locum Luc. 17/ 3. anlangt/ so weiß den sinn der frage noch nicht recht/ ich ver-
muthe aber/ es seye die meinung/ ob die wort/ so er sich bessert/ exclusive zu erkennen
oder nicht? Wo dieses ist/ so wären meine gedancken in diesen thesibus. 1. Wer
mit unrecht beleidiget ist/ muß niemaln keine rache gegen seinen beleidiger in seinem
hertzen haben/ vielweniger eine solche üben/ noch auch gegen ihn beten/ sondern viel-
mehr vor ihn beten/ daß ihn GOtt zur buß bringen/ und seine sünden vergeben wolle.
Also ist die vergebung bereits in dem hertzen/ indem er weder vor sich eine rache behält/
noch sie von GOtt suchet; es erkenne der andere sein unrecht/ oder erkenne es nicht.
Wo der beleidiger sein unrecht erkennet/ und abbittet/ so ist der beleidigte schuldig/ sei-
ne vergebung selbs gegen ihn u. gegen andere zu bezeigen/ die nun eine mögliche verge-
bung ist/ u. die göttl. vergebung mit sich führet. Matth. 18/ 18. das ist/ Gott lässet solche
vergebung auch vor seinem gericht gültig seyn/ weil derjenige der beleidiget worden/
es nach lässet: wie ein richter die schuld/ so der creditor erlässet/ auch richterlich auf-
hebt/ u. den schuldner absolviret. Dann es war in der beleidigung zweyerley/ 1. das
jus des offensi, welchem vor göttl. gerechtigkeit eine satisfaction oder straffe des
beleidigers gebühret. 2. Die beleidigung GOttes/ diese kan der beleidigte nicht
nachlassen/ sondern dero vergebung ist allein in GOttes macht; jene sucht sie
aber mit vorbitte um seine buß/ dieselbe zu befördern. Jst sie nun erlangt/ so fällt
zwar auch das erste/ es hat aber GOtt dem beleidigten noch so viel vorbehalten/
daß der beleidiger schuldig seyn solle/ diesen zu versöhnen/ oder doch solches zu su-
chen. Erlangt er es/ so gilt solches/ gleichwie Gott auch seiner diener absolution
rathibi
ret. Jst der beleidigte unchristlich/ und will die vergebung nicht ertheilen/ so
gibt sie GOtt gleichwol/ weil jene durch seine unbillige verweigerung schon sein recht
vor GOttes gericht verlohren hat. 3. Erkennet der beleidigte sein unrecht nicht/
sondern fähret fort/ so bleibet der beleidigte Christ in steter bereitschafft zu verge-
ben/ und bittet von Gott/ daß es dazu kommen möge. Aber er kan es ihm noch
nicht möglich cum effectu und also/ daß es vor GOtt gültig seye/ vergeben: Denn
weil Göttl. gerechtigkeit sowol als er selbs violiret ist/ so mag er mit seiner verge-
bung dieser ihr recht nicht schwächen: sondern ob er wol sehnlich wünschte/ daß es
möchte demselben vergeben werden/ und er also in einem dessen tüchtigen stande ste-
hen/ so darff er doch sich so wenig unterstehen/ wider GOttes willen die sünde dem
dazu ungeschickten zu vergeben/ als ein prediger solches wissentlich nicht thun darf.
Dahero wo die unbußfertigkeit bleibet/ so bleibet demselben vor GOttes gericht die
straffe sowol gleichsam wegen Gottes/ als wegen des beleidigten nechsten. Wider
diese gerechtigkeit dörffen wir nichts wollen/ begehren oder thun. Sondern müssens

als-

Das ſiebende Capitel.
haben? Nun er iſt der HErr/ er thue was ihm gefaͤllt. Er kan ja nichts anders als das
beſte thun.-Es troͤſtet mich auch dieſes nicht wenig/ daß ich ſehe/ wie der HErr ſon-
derlich bey einigen ſchulen anfaͤngt etwas zu erwecken/ die nach dem rechtſchaffenen
grunde trachten: ob er vielleicht eine beſſere welt allgemach bey der jugend will berei-
ten.-Wann ich an alle dieſe dinge gedencke/ gemahnets mich recht an die zeiten ge-
rade vor Chriſti gebuꝛt/ da derjenigen viel waren/ die auf die erloͤſung zu Jeruſalem
warteten. Ach daß es denn bald recht an dem abend liecht wuͤrde! Zach. 14. Was letz-
lich den locum Luc. 17/ 3. anlangt/ ſo weiß den ſinn der frage noch nicht recht/ ich ver-
muthe aber/ es ſeye die meinung/ ob die wort/ ſo er ſich beſſert/ excluſive zu erkennen
oder nicht? Wo dieſes iſt/ ſo waͤren meine gedancken in dieſen theſibus. 1. Wer
mit unrecht beleidiget iſt/ muß niemaln keine rache gegen ſeinen beleidiger in ſeinem
hertzen haben/ vielweniger eine ſolche uͤben/ noch auch gegen ihn beten/ ſondern viel-
mehr vor ihn beten/ daß ihn GOtt zur buß bringen/ und ſeine ſuͤnden vergeben wolle.
Alſo iſt die veꝛgebung bereits in dem hertzen/ indem er wedeꝛ vor ſich eine ꝛache behaͤlt/
noch ſie von GOtt ſuchet; es erkenne der andere ſein unrecht/ oder erkenne es nicht.
Wo der beleidiger ſein unrecht erkennet/ und abbittet/ ſo iſt der beleidigte ſchuldig/ ſei-
ne vergebung ſelbs gegen ihn u. gegen andere zu bezeigen/ die nun eine moͤgliche verge-
bung iſt/ u. die goͤttl. vergebung mit ſich fuͤhꝛet. Matth. 18/ 18. das iſt/ Gott laͤſſet ſolche
vergebung auch vor ſeinem gericht guͤltig ſeyn/ weil derjenige der beleidiget worden/
es nach laͤſſet: wie ein richter die ſchuld/ ſo der creditor erlaͤſſet/ auch richterlich auf-
hebt/ u. den ſchuldner abſolviret. Dann es war in der beleidigung zweyerley/ 1. das
jus des offenſi, welchem vor goͤttl. gerechtigkeit eine ſatisfaction oder ſtraffe des
beleidigers gebuͤhret. 2. Die beleidigung GOttes/ dieſe kan der beleidigte nicht
nachlaſſen/ ſondern dero vergebung iſt allein in GOttes macht; jene ſucht ſie
aber mit vorbitte um ſeine buß/ dieſelbe zu befoͤrdern. Jſt ſie nun erlangt/ ſo faͤllt
zwar auch das erſte/ es hat aber GOtt dem beleidigten noch ſo viel vorbehalten/
daß der beleidiger ſchuldig ſeyn ſolle/ dieſen zu verſoͤhnen/ oder doch ſolches zu ſu-
chen. Erlangt er es/ ſo gilt ſolches/ gleichwie Gott auch ſeiner diener abſolution
rathibi
ret. Jſt der beleidigte unchriſtlich/ und will die vergebung nicht ertheilen/ ſo
gibt ſie GOtt gleichwol/ weil jene durch ſeine unbillige verweigerung ſchon ſein recht
vor GOttes gericht verlohren hat. 3. Erkennet der beleidigte ſein unrecht nicht/
ſondern faͤhret fort/ ſo bleibet der beleidigte Chriſt in ſteter bereitſchafft zu verge-
ben/ und bittet von Gott/ daß es dazu kommen moͤge. Aber er kan es ihm noch
nicht moͤglich cum effectu und alſo/ daß es vor GOtt guͤltig ſeye/ vergeben: Denn
weil Goͤttl. gerechtigkeit ſowol als er ſelbs violiret iſt/ ſo mag er mit ſeiner verge-
bung dieſer ihr recht nicht ſchwaͤchen: ſondern ob er wol ſehnlich wuͤnſchte/ daß es
moͤchte demſelben vergeben werden/ und er alſo in einem deſſen tuͤchtigen ſtande ſte-
hen/ ſo darff er doch ſich ſo wenig unterſtehen/ wider GOttes willen die ſuͤnde dem
dazu ungeſchickten zu vergeben/ als ein prediger ſolches wiſſentlich nicht thun darf.
Dahero wo die unbußfertigkeit bleibet/ ſo bleibet demſelben vor GOttes gericht die
ſtraffe ſowol gleichſam wegen Gottes/ als wegen des beleidigten nechſten. Wider
dieſe gerechtigkeit doͤrffen wir nichts wollen/ begehren oder thun. Sondern muͤſſens

als-
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[438/0450] Das ſiebende Capitel. haben? Nun er iſt der HErr/ er thue was ihm gefaͤllt. Er kan ja nichts anders als das beſte thun.-Es troͤſtet mich auch dieſes nicht wenig/ daß ich ſehe/ wie der HErr ſon- derlich bey einigen ſchulen anfaͤngt etwas zu erwecken/ die nach dem rechtſchaffenen grunde trachten: ob er vielleicht eine beſſere welt allgemach bey der jugend will berei- ten.-Wann ich an alle dieſe dinge gedencke/ gemahnets mich recht an die zeiten ge- rade vor Chriſti gebuꝛt/ da derjenigen viel waren/ die auf die erloͤſung zu Jeruſalem warteten. Ach daß es denn bald recht an dem abend liecht wuͤrde! Zach. 14. Was letz- lich den locum Luc. 17/ 3. anlangt/ ſo weiß den ſinn der frage noch nicht recht/ ich ver- muthe aber/ es ſeye die meinung/ ob die wort/ ſo er ſich beſſert/ excluſive zu erkennen oder nicht? Wo dieſes iſt/ ſo waͤren meine gedancken in dieſen theſibus. 1. Wer mit unrecht beleidiget iſt/ muß niemaln keine rache gegen ſeinen beleidiger in ſeinem hertzen haben/ vielweniger eine ſolche uͤben/ noch auch gegen ihn beten/ ſondern viel- mehr vor ihn beten/ daß ihn GOtt zur buß bringen/ und ſeine ſuͤnden vergeben wolle. Alſo iſt die veꝛgebung bereits in dem hertzen/ indem er wedeꝛ vor ſich eine ꝛache behaͤlt/ noch ſie von GOtt ſuchet; es erkenne der andere ſein unrecht/ oder erkenne es nicht. Wo der beleidiger ſein unrecht erkennet/ und abbittet/ ſo iſt der beleidigte ſchuldig/ ſei- ne vergebung ſelbs gegen ihn u. gegen andere zu bezeigen/ die nun eine moͤgliche verge- bung iſt/ u. die goͤttl. vergebung mit ſich fuͤhꝛet. Matth. 18/ 18. das iſt/ Gott laͤſſet ſolche vergebung auch vor ſeinem gericht guͤltig ſeyn/ weil derjenige der beleidiget worden/ es nach laͤſſet: wie ein richter die ſchuld/ ſo der creditor erlaͤſſet/ auch richterlich auf- hebt/ u. den ſchuldner abſolviret. Dann es war in der beleidigung zweyerley/ 1. das jus des offenſi, welchem vor goͤttl. gerechtigkeit eine ſatisfaction oder ſtraffe des beleidigers gebuͤhret. 2. Die beleidigung GOttes/ dieſe kan der beleidigte nicht nachlaſſen/ ſondern dero vergebung iſt allein in GOttes macht; jene ſucht ſie aber mit vorbitte um ſeine buß/ dieſelbe zu befoͤrdern. Jſt ſie nun erlangt/ ſo faͤllt zwar auch das erſte/ es hat aber GOtt dem beleidigten noch ſo viel vorbehalten/ daß der beleidiger ſchuldig ſeyn ſolle/ dieſen zu verſoͤhnen/ oder doch ſolches zu ſu- chen. Erlangt er es/ ſo gilt ſolches/ gleichwie Gott auch ſeiner diener abſolution rathibiret. Jſt der beleidigte unchriſtlich/ und will die vergebung nicht ertheilen/ ſo gibt ſie GOtt gleichwol/ weil jene durch ſeine unbillige verweigerung ſchon ſein recht vor GOttes gericht verlohren hat. 3. Erkennet der beleidigte ſein unrecht nicht/ ſondern faͤhret fort/ ſo bleibet der beleidigte Chriſt in ſteter bereitſchafft zu verge- ben/ und bittet von Gott/ daß es dazu kommen moͤge. Aber er kan es ihm noch nicht moͤglich cum effectu und alſo/ daß es vor GOtt guͤltig ſeye/ vergeben: Denn weil Goͤttl. gerechtigkeit ſowol als er ſelbs violiret iſt/ ſo mag er mit ſeiner verge- bung dieſer ihr recht nicht ſchwaͤchen: ſondern ob er wol ſehnlich wuͤnſchte/ daß es moͤchte demſelben vergeben werden/ und er alſo in einem deſſen tuͤchtigen ſtande ſte- hen/ ſo darff er doch ſich ſo wenig unterſtehen/ wider GOttes willen die ſuͤnde dem dazu ungeſchickten zu vergeben/ als ein prediger ſolches wiſſentlich nicht thun darf. Dahero wo die unbußfertigkeit bleibet/ ſo bleibet demſelben vor GOttes gericht die ſtraffe ſowol gleichſam wegen Gottes/ als wegen des beleidigten nechſten. Wider dieſe gerechtigkeit doͤrffen wir nichts wollen/ begehren oder thun. Sondern muͤſſens als-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/450>, abgerufen am 19.05.2024.