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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
selbs. Daher hat GOtt unserer schwachheit/ wenn es uns sauer wird/ auf sein blosses
wort bey scheinender unmöglichkeit zu trauen/ und die sorgen auszuschlagen/ zuhülf-
kommende eine stelle zeiget/ wo wir zwar zu mehrer arbeit angewiesen/ aber jener
sorge befreyet werden/ ist gewiß dessen heilsamer rath nicht zu verachten. Daher
im geringsten nicht sehe/ wie die heilige schrifft diesem vornehmen entgegen seyn sol-
te/ welche vielmehr die liebe des nechsten uns hertzlich recommendirende zeiget/ daß
wir alle gelegenheiten, wo wir dieselbe mehr üben können/ uns sollen lieb seyn lassen.
Der andere scrupel kommet nicht so wol aus der sache selbs/ als einigen umständon
her/ und zwar sonderlich diesen dreyen/ wegen der besorglich allzuvielen arbeit/ we-
gen des Sonntags balbirens/ und wegen der verfolgung der so genanten beinha-
sen. Jch finde aber wiederum denselbigen nicht kräfftig genug/ die resolution
umzustossen; das erste stück desselben anlangend/ stehets ja in eines jeden belieben/
seine arbeit/ wo und wie es ihm belieblig/ mehr einzuziehen/ und ist solches leichter/
als sie weiter zu erstrecken. Sonderlich aber das andere betreffend/ stehets bey
uns/ ob wir uns GOttes gebot von heiligung des Sabbats wollen mehr als unsern
profit lassen angelegen seyn/ so wird aber ein Christliches gemüth jenes diesem gern
vorziehen. Es ist zwar wahr/ weil allezeit derjenigen viele sind/ die das gewissen
eben nicht lassen die regel ihres lebens seyn/ daß diejenige/ welche Sonntags von ei-
nem abgewiesen werden/ in ermanglung obrigkeitlicher verordnung leicht bey an-
dern bedienet zu werden gelegenheit finden/ aber damit gehet allein ein stück des nu-
tzens ab/ welchen zu entrathen wir uns nicht schwerer sollen ankommen lassen/ als
wir uns nicht beschweren/ andere dinge fahren zu lassen/ die das gewissen beschwer-
ten. So hoffe auch derselbe solte durch die kunst seiner chirurgiae bald dahin
kommen/ daß er seine arbeit mehr in solcher sache, da ohne das an den nechsten mehr
liebeswerck darinnen erzeiget werden/ als in dem bartbutzen suchen dörffte/ und al-
so den verlust in diesem nicht so hoch zu achten habe. Jetzo nicht zu sagen/ ob hoff-
nung seye/ daß durch der Obrigkeit autorität auch solches ärgernüß gehoben/ oder
die hertzen der leute/ so damit den feyertag entheiligen/ von den predigern zur er-
käntnüß und abstellung gebracht werden möchten. Was das dritte betrifft/ kan
ich davon keinen verlangten bericht geben/ in deme der gesell/ so von NN. hier war/
bereits von hier weg/ und ich keinen andern kenne/ auch weil ich stracks antworten
sollen/ nicht weit nachfragen kan. Es seye aber wie ihm wolle/ wo er einmal in
dem collegio daselbs seyn wird/ hat er alsdann doch die freyheit/ was er wider sein
gewissen zu seyn befindet (wie ich selbs an jenen vertreiben anstehe/ wie es sich mit
der liebe reime) von sich abzulehnen. So wird alsdann GOtt/ wann es darzu
kommen würde/ selbs wege zeigen/ wie man solcher gefahr entgehen/ und sich ent-
schuldigen möge/ sonderlich da man gute freunde zur seite hat/ welche mit rath bey-
stehen können: insgesamt aber solle sothane künfftige sorge in einem umstand die sache
solbst nicht zurück treiben. Wie dann wo keine andere ursachen/ als die überschrie-

bene

Das ſiebende Capitel.
ſelbs. Daher hat GOtt unſereꝛ ſchwachheit/ wenn es uns ſauer wird/ auf ſein bloſſes
wort bey ſcheinender unmoͤglichkeit zu trauen/ und die ſorgen auszuſchlagen/ zuhuͤlf-
kommende eine ſtelle zeiget/ wo wir zwar zu mehrer arbeit angewieſen/ aber jener
ſorge befreyet werden/ iſt gewiß deſſen heilſamer rath nicht zu verachten. Daher
im geringſten nicht ſehe/ wie die heilige ſchrifft dieſem vornehmen entgegen ſeyn ſol-
te/ welche vielmehr die liebe des nechſten uns hertzlich recommendirende zeiget/ daß
wir alle gelegenheiten, wo wir dieſelbe mehr uͤben koͤnnen/ uns ſollen lieb ſeyn laſſen.
Der andere ſcrupel kommet nicht ſo wol aus der ſache ſelbs/ als einigen umſtaͤndon
her/ und zwar ſonderlich dieſen dreyen/ wegen der beſorglich allzuvielen arbeit/ we-
gen des Sonntags balbirens/ und wegen der verfolgung der ſo genanten beinha-
ſen. Jch finde aber wiederum denſelbigen nicht kraͤfftig genug/ die reſolution
umzuſtoſſen; das erſte ſtuͤck deſſelben anlangend/ ſtehets ja in eines jeden belieben/
ſeine arbeit/ wo und wie es ihm belieblig/ mehr einzuziehen/ und iſt ſolches leichter/
als ſie weiter zu erſtrecken. Sonderlich aber das andere betreffend/ ſtehets bey
uns/ ob wir uns GOttes gebot von heiligung des Sabbats wollen mehr als unſern
profit laſſen angelegen ſeyn/ ſo wird aber ein Chriſtliches gemuͤth jenes dieſem gern
vorziehen. Es iſt zwar wahr/ weil allezeit derjenigen viele ſind/ die das gewiſſen
eben nicht laſſen die regel ihres lebens ſeyn/ daß diejenige/ welche Sonntags von ei-
nem abgewieſen werden/ in ermanglung obrigkeitlicher verordnung leicht bey an-
dern bedienet zu werden gelegenheit finden/ aber damit gehet allein ein ſtuͤck des nu-
tzens ab/ welchen zu entrathen wir uns nicht ſchwerer ſollen ankommen laſſen/ als
wir uns nicht beſchweren/ andere dinge fahren zu laſſen/ die das gewiſſen beſchwer-
ten. So hoffe auch derſelbe ſolte durch die kunſt ſeiner chirurgiæ bald dahin
kommen/ daß er ſeine arbeit mehr in ſolcher ſache, da ohne das an den nechſten mehr
liebeswerck darinnen erzeiget werden/ als in dem bartbutzen ſuchen doͤrffte/ und al-
ſo den verluſt in dieſem nicht ſo hoch zu achten habe. Jetzo nicht zu ſagen/ ob hoff-
nung ſeye/ daß durch der Obrigkeit autoritaͤt auch ſolches aͤrgernuͤß gehoben/ oder
die hertzen der leute/ ſo damit den feyertag entheiligen/ von den predigern zur er-
kaͤntnuͤß und abſtellung gebracht werden moͤchten. Was das dritte betrifft/ kan
ich davon keinen verlangten bericht geben/ in deme der geſell/ ſo von NN. hier war/
bereits von hier weg/ und ich keinen andern kenne/ auch weil ich ſtracks antworten
ſollen/ nicht weit nachfragen kan. Es ſeye aber wie ihm wolle/ wo er einmal in
dem collegio daſelbs ſeyn wird/ hat er alsdann doch die freyheit/ was er wider ſein
gewiſſen zu ſeyn befindet (wie ich ſelbs an jenen vertreiben anſtehe/ wie es ſich mit
der liebe reime) von ſich abzulehnen. So wird alsdann GOtt/ wann es darzu
kommen wuͤrde/ ſelbs wege zeigen/ wie man ſolcher gefahr entgehen/ und ſich ent-
ſchuldigen moͤge/ ſonderlich da man gute freunde zur ſeite hat/ welche mit rath bey-
ſtehen koͤnnen: insgeſamt abeꝛ ſolle ſothane kuͤnfftige ſoꝛge in einem umſtand die ſache
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bene
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[396/0408] Das ſiebende Capitel. ſelbs. Daher hat GOtt unſereꝛ ſchwachheit/ wenn es uns ſauer wird/ auf ſein bloſſes wort bey ſcheinender unmoͤglichkeit zu trauen/ und die ſorgen auszuſchlagen/ zuhuͤlf- kommende eine ſtelle zeiget/ wo wir zwar zu mehrer arbeit angewieſen/ aber jener ſorge befreyet werden/ iſt gewiß deſſen heilſamer rath nicht zu verachten. Daher im geringſten nicht ſehe/ wie die heilige ſchrifft dieſem vornehmen entgegen ſeyn ſol- te/ welche vielmehr die liebe des nechſten uns hertzlich recommendirende zeiget/ daß wir alle gelegenheiten, wo wir dieſelbe mehr uͤben koͤnnen/ uns ſollen lieb ſeyn laſſen. Der andere ſcrupel kommet nicht ſo wol aus der ſache ſelbs/ als einigen umſtaͤndon her/ und zwar ſonderlich dieſen dreyen/ wegen der beſorglich allzuvielen arbeit/ we- gen des Sonntags balbirens/ und wegen der verfolgung der ſo genanten beinha- ſen. Jch finde aber wiederum denſelbigen nicht kraͤfftig genug/ die reſolution umzuſtoſſen; das erſte ſtuͤck deſſelben anlangend/ ſtehets ja in eines jeden belieben/ ſeine arbeit/ wo und wie es ihm belieblig/ mehr einzuziehen/ und iſt ſolches leichter/ als ſie weiter zu erſtrecken. Sonderlich aber das andere betreffend/ ſtehets bey uns/ ob wir uns GOttes gebot von heiligung des Sabbats wollen mehr als unſern profit laſſen angelegen ſeyn/ ſo wird aber ein Chriſtliches gemuͤth jenes dieſem gern vorziehen. Es iſt zwar wahr/ weil allezeit derjenigen viele ſind/ die das gewiſſen eben nicht laſſen die regel ihres lebens ſeyn/ daß diejenige/ welche Sonntags von ei- nem abgewieſen werden/ in ermanglung obrigkeitlicher verordnung leicht bey an- dern bedienet zu werden gelegenheit finden/ aber damit gehet allein ein ſtuͤck des nu- tzens ab/ welchen zu entrathen wir uns nicht ſchwerer ſollen ankommen laſſen/ als wir uns nicht beſchweren/ andere dinge fahren zu laſſen/ die das gewiſſen beſchwer- ten. So hoffe auch derſelbe ſolte durch die kunſt ſeiner chirurgiæ bald dahin kommen/ daß er ſeine arbeit mehr in ſolcher ſache, da ohne das an den nechſten mehr liebeswerck darinnen erzeiget werden/ als in dem bartbutzen ſuchen doͤrffte/ und al- ſo den verluſt in dieſem nicht ſo hoch zu achten habe. Jetzo nicht zu ſagen/ ob hoff- nung ſeye/ daß durch der Obrigkeit autoritaͤt auch ſolches aͤrgernuͤß gehoben/ oder die hertzen der leute/ ſo damit den feyertag entheiligen/ von den predigern zur er- kaͤntnuͤß und abſtellung gebracht werden moͤchten. Was das dritte betrifft/ kan ich davon keinen verlangten bericht geben/ in deme der geſell/ ſo von NN. hier war/ bereits von hier weg/ und ich keinen andern kenne/ auch weil ich ſtracks antworten ſollen/ nicht weit nachfragen kan. Es ſeye aber wie ihm wolle/ wo er einmal in dem collegio daſelbs ſeyn wird/ hat er alsdann doch die freyheit/ was er wider ſein gewiſſen zu ſeyn befindet (wie ich ſelbs an jenen vertreiben anſtehe/ wie es ſich mit der liebe reime) von ſich abzulehnen. So wird alsdann GOtt/ wann es darzu kommen wuͤrde/ ſelbs wege zeigen/ wie man ſolcher gefahr entgehen/ und ſich ent- ſchuldigen moͤge/ ſonderlich da man gute freunde zur ſeite hat/ welche mit rath bey- ſtehen koͤnnen: insgeſamt abeꝛ ſolle ſothane kuͤnfftige ſoꝛge in einem umſtand die ſache ſolbſt nicht zuruͤck treiben. Wie dann wo keine andere urſachen/ als die uͤberſchrie- bene

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/408>, abgerufen am 21.11.2024.