Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. II. SECTIO XXXIV. klagen zeigeten meistens an eine fühlung einer trägheit in dem guten/ son-derlich in der absonderlichen handelung mit den leuten: Jch aber finde bey mir nicht nur diese/ sondern gar eine untüchtigkeit/ daß ob ich schon es thun wolte/ und zuweilen versuche/ ich mich je länger je weniger geschickt dazu befinde/ daß es auch deswegen fast allerdings unterlassen muß: Und je län- ger je mehr gewahr werde/ daß alle meine verliehene gnade sich bloß zusam- men zeucht auf einige krafft vor offentlicher gemeinde zu reden/ den cate- chismum zu treiben/ und auf einige anliegen auf befragen zu antworten. Was ich aber selbst sonsten zu dem predigamt nöthig achte/ und worinnen die meiste frucht desselben zu suchen/ die privat erbauung in der application ad individua desjenigen was in genere gehandelt/ ist eine sache/ in wel- cher je länger je weniger nur sehe/ wo ich anfangen/ oder wie ichs machen solle: sonderlich/ weil ich gewahr werde/ wo ich es versuche/ daß dannoch nichts damit geschiehet/ oder ausgerichtet wird. Komme deswegen so offt in den zweiffel/ obs dann mir von GOtt nicht gegeben/ oder er mirs nicht geben wolle/ oder ob ich mein pfund nicht anwende. Dieses letzteren wol- te mich immer gern entschütten/ weil ich verlangen trage/ daß ichs thun könte; jenes erste will mit göttlicher gnade und treue nicht übereinkommen/ daher in stäter sorge und zweiffelmuth stehe. Weil ich weiß/ GOtt werde mich schwerlich dispensiren desjenigen/ was zu dem amt gehöret/ das er mir anvertrauet hat/ und doch keine kräfften dazu finde oder fühle. Nun wir wollen in beyderseits anligen und beklagter noth/ die vieles unter sich gemein hat/ aber die meine gefährlicher ist/ vor einander so viel brünstiger (oder weil es mir auch daran mangelen will/ ich nach müglicher einfalt) zu dem HErrn seufftzen. Den vornehmsten inhalt des briefs selbs betref- fend/ so erkenne gern/ daß/ wie etwa auch das vorige mal bedeutet/ der beicht-stuhl und der mißbrauch dessen was darinnen vorgehet/ wohl eines der grösten verderben in der kirchen seye. Es fället mir deswegen auch schwer auf das hertz/ wann ich gedencke/ daß gleichwol unser beichten und diese art der absolution (ein anders ist/ wo einem sonsten der sünde wegen geängstigeten/ oder welcher trost/ sonderlich auch welcher versöhnung mit der gemeinde bedarf/ diese wiederfähret/ welches unzweiffentlich göttli- chen ursprungs und einsetzung ist) keine eigentliche göttliche einsetzung/ sondern allein ein ritus Ecclesiasticus ist/ und wir sollen unsere gewissen da- mit so schrecklich martern. Jch leugne zwar nicht/ daß er aus sehr nützli- cher absicht eingeführet/ aus gleichen in unser Evangelischen kirchen beybe- halten worden/ auch zu sehr viel gutem gelegenheit geben kan/ wo alles in seiner richtigen ordnung stehet/ so dann deswegen und um anderer ursach willen dessen abstellung nicht zu rathen oder dazu zu helffen getraute: wo ich q q 2
ARTIC. II. SECTIO XXXIV. klagen zeigeten meiſtens an eine fuͤhlung einer traͤgheit in dem guten/ ſon-derlich in der abſonderlichen handelung mit den leuten: Jch aber finde bey mir nicht nur dieſe/ ſondern gar eine untuͤchtigkeit/ daß ob ich ſchon es thun wolte/ und zuweilen verſuche/ ich mich je laͤnger je weniger geſchickt dazu befinde/ daß es auch deswegen faſt allerdings unterlaſſen muß: Und je laͤn- ger je mehr gewahr werde/ daß alle meine verliehene gnade ſich bloß zuſam- men zeucht auf einige krafft vor offentlicher gemeinde zu reden/ den cate- chiſmum zu treiben/ und auf einige anliegen auf befragen zu antworten. Was ich aber ſelbſt ſonſten zu dem predigamt noͤthig achte/ und worinnen die meiſte frucht deſſelben zu ſuchen/ die privat erbauung in der application ad individua desjenigen was in genere gehandelt/ iſt eine ſache/ in wel- cher je laͤnger je weniger nur ſehe/ wo ich anfangen/ oder wie ichs machen ſolle: ſonderlich/ weil ich gewahr werde/ wo ich es verſuche/ daß dannoch nichts damit geſchiehet/ oder ausgerichtet wird. Komme deswegen ſo offt in den zweiffel/ obs dann mir von GOtt nicht gegeben/ oder er mirs nicht geben wolle/ oder ob ich mein pfund nicht anwende. Dieſes letzteren wol- te mich immer gern entſchuͤtten/ weil ich verlangen trage/ daß ichs thun koͤnte; jenes erſte will mit goͤttlicher gnade und treue nicht uͤbereinkommen/ daher in ſtaͤter ſorge und zweiffelmuth ſtehe. Weil ich weiß/ GOtt werde mich ſchwerlich diſpenſiren desjenigen/ was zu dem amt gehoͤret/ das er mir anvertrauet hat/ und doch keine kraͤfften dazu finde oder fuͤhle. Nun wir wollen in beyderſeits anligen und beklagter noth/ die vieles unter ſich gemein hat/ aber die meine gefaͤhrlicher iſt/ vor einander ſo viel bruͤnſtiger (oder weil es mir auch daran mangelen will/ ich nach muͤglicher einfalt) zu dem HErrn ſeufftzen. Den vornehmſten inhalt des briefs ſelbs betref- fend/ ſo erkenne gern/ daß/ wie etwa auch das vorige mal bedeutet/ der beicht-ſtuhl und der mißbrauch deſſen was darinnen vorgehet/ wohl eines der groͤſten verderben in der kirchen ſeye. Es faͤllet mir deswegen auch ſchwer auf das hertz/ wann ich gedencke/ daß gleichwol unſer beichten und dieſe art der abſolution (ein anders iſt/ wo einem ſonſten der ſuͤnde wegen geaͤngſtigeten/ oder welcher troſt/ ſonderlich auch welcher verſoͤhnung mit der gemeinde bedarf/ dieſe wiederfaͤhret/ welches unzweiffentlich goͤttli- chen urſprungs und einſetzung iſt) keine eigentliche goͤttliche einſetzung/ ſondern allein ein ritus Eccleſiaſticus iſt/ und wir ſollen unſere gewiſſen da- mit ſo ſchrecklich martern. Jch leugne zwar nicht/ daß er aus ſehr nuͤtzli- cher abſicht eingefuͤhret/ aus gleichen in unſer Evangeliſchen kirchen beybe- halten worden/ auch zu ſehr viel gutem gelegenheit geben kan/ wo alles in ſeiner richtigen ordnung ſtehet/ ſo dann deswegen und um anderer urſach willen deſſen abſtellung nicht zu rathen oder dazu zu helffen getraute: wo ich q q 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0319" n="307"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">ARTIC</hi>. II. <hi rendition="#g">SECTIO</hi> XXXIV.</hi></hi></fw><lb/> klagen zeigeten meiſtens an eine fuͤhlung einer traͤgheit in dem guten/ ſon-<lb/> derlich in der abſonderlichen handelung mit den leuten: Jch aber finde bey<lb/> mir nicht nur dieſe/ ſondern gar eine untuͤchtigkeit/ daß ob ich ſchon es thun<lb/> wolte/ und zuweilen verſuche/ ich mich je laͤnger je weniger geſchickt dazu<lb/> befinde/ daß es auch deswegen faſt allerdings unterlaſſen muß: Und je laͤn-<lb/> ger je mehr gewahr werde/ daß alle meine verliehene gnade ſich bloß zuſam-<lb/> men zeucht auf einige krafft vor offentlicher gemeinde zu reden/ den cate-<lb/> chiſmum zu treiben/ und auf einige anliegen auf befragen zu antworten.<lb/> Was ich aber ſelbſt ſonſten zu dem predigamt noͤthig achte/ und worinnen<lb/> die meiſte frucht deſſelben zu ſuchen/ die <hi rendition="#aq">privat</hi> erbauung in der <hi rendition="#aq">application<lb/> ad individua</hi> desjenigen was in <hi rendition="#aq">genere</hi> gehandelt/ iſt eine ſache/ in wel-<lb/> cher je laͤnger je weniger nur ſehe/ wo ich anfangen/ oder wie ichs machen<lb/> ſolle: ſonderlich/ weil ich gewahr werde/ wo ich es verſuche/ daß dannoch<lb/> nichts damit geſchiehet/ oder ausgerichtet wird. Komme deswegen ſo offt<lb/> in den zweiffel/ obs dann mir von GOtt nicht gegeben/ oder er mirs nicht<lb/> geben wolle/ oder ob ich mein pfund nicht anwende. Dieſes letzteren wol-<lb/> te mich immer gern entſchuͤtten/ weil ich verlangen trage/ daß ichs thun<lb/> koͤnte; jenes erſte will mit goͤttlicher gnade und treue nicht uͤbereinkommen/<lb/> daher in ſtaͤter ſorge und zweiffelmuth ſtehe. Weil ich weiß/ GOtt werde<lb/> mich ſchwerlich <hi rendition="#aq">diſpenſi</hi>ren desjenigen/ was zu dem amt gehoͤret/ das er<lb/> mir anvertrauet hat/ und doch keine kraͤfften dazu finde oder fuͤhle. Nun<lb/> wir wollen in beyderſeits anligen und beklagter noth/ die vieles unter ſich<lb/> gemein hat/ aber die meine gefaͤhrlicher iſt/ vor einander ſo viel bruͤnſtiger<lb/> (oder weil es mir auch daran mangelen will/ ich nach muͤglicher einfalt)<lb/> zu dem HErrn ſeufftzen. Den vornehmſten inhalt des briefs ſelbs betref-<lb/> fend/ ſo erkenne gern/ daß/ wie etwa auch das vorige mal bedeutet/ der<lb/> beicht-ſtuhl und der mißbrauch deſſen was darinnen vorgehet/ wohl eines<lb/> der groͤſten verderben in der kirchen ſeye. Es faͤllet mir deswegen auch<lb/> ſchwer auf das hertz/ wann ich gedencke/ daß gleichwol unſer beichten<lb/> und dieſe art der <hi rendition="#aq">abſolution</hi> (ein anders iſt/ wo einem ſonſten der ſuͤnde<lb/> wegen geaͤngſtigeten/ oder welcher troſt/ ſonderlich auch welcher verſoͤhnung<lb/> mit der gemeinde bedarf/ dieſe wiederfaͤhret/ welches unzweiffentlich goͤttli-<lb/> chen urſprungs und einſetzung iſt) keine eigentliche goͤttliche einſetzung/<lb/> ſondern allein ein <hi rendition="#aq">ritus Eccleſiaſticus</hi> iſt/ und wir ſollen unſere gewiſſen da-<lb/> mit ſo ſchrecklich martern. Jch leugne zwar nicht/ daß er aus ſehr nuͤtzli-<lb/> cher abſicht eingefuͤhret/ aus gleichen in unſer Evangeliſchen kirchen beybe-<lb/> halten worden/ auch zu ſehr viel gutem gelegenheit geben kan/ wo alles in<lb/> ſeiner richtigen ordnung ſtehet/ ſo dann deswegen und um anderer urſach<lb/> willen deſſen abſtellung nicht zu rathen oder dazu zu helffen getraute: wo<lb/> <fw place="bottom" type="sig">q q 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [307/0319]
ARTIC. II. SECTIO XXXIV.
klagen zeigeten meiſtens an eine fuͤhlung einer traͤgheit in dem guten/ ſon-
derlich in der abſonderlichen handelung mit den leuten: Jch aber finde bey
mir nicht nur dieſe/ ſondern gar eine untuͤchtigkeit/ daß ob ich ſchon es thun
wolte/ und zuweilen verſuche/ ich mich je laͤnger je weniger geſchickt dazu
befinde/ daß es auch deswegen faſt allerdings unterlaſſen muß: Und je laͤn-
ger je mehr gewahr werde/ daß alle meine verliehene gnade ſich bloß zuſam-
men zeucht auf einige krafft vor offentlicher gemeinde zu reden/ den cate-
chiſmum zu treiben/ und auf einige anliegen auf befragen zu antworten.
Was ich aber ſelbſt ſonſten zu dem predigamt noͤthig achte/ und worinnen
die meiſte frucht deſſelben zu ſuchen/ die privat erbauung in der application
ad individua desjenigen was in genere gehandelt/ iſt eine ſache/ in wel-
cher je laͤnger je weniger nur ſehe/ wo ich anfangen/ oder wie ichs machen
ſolle: ſonderlich/ weil ich gewahr werde/ wo ich es verſuche/ daß dannoch
nichts damit geſchiehet/ oder ausgerichtet wird. Komme deswegen ſo offt
in den zweiffel/ obs dann mir von GOtt nicht gegeben/ oder er mirs nicht
geben wolle/ oder ob ich mein pfund nicht anwende. Dieſes letzteren wol-
te mich immer gern entſchuͤtten/ weil ich verlangen trage/ daß ichs thun
koͤnte; jenes erſte will mit goͤttlicher gnade und treue nicht uͤbereinkommen/
daher in ſtaͤter ſorge und zweiffelmuth ſtehe. Weil ich weiß/ GOtt werde
mich ſchwerlich diſpenſiren desjenigen/ was zu dem amt gehoͤret/ das er
mir anvertrauet hat/ und doch keine kraͤfften dazu finde oder fuͤhle. Nun
wir wollen in beyderſeits anligen und beklagter noth/ die vieles unter ſich
gemein hat/ aber die meine gefaͤhrlicher iſt/ vor einander ſo viel bruͤnſtiger
(oder weil es mir auch daran mangelen will/ ich nach muͤglicher einfalt)
zu dem HErrn ſeufftzen. Den vornehmſten inhalt des briefs ſelbs betref-
fend/ ſo erkenne gern/ daß/ wie etwa auch das vorige mal bedeutet/ der
beicht-ſtuhl und der mißbrauch deſſen was darinnen vorgehet/ wohl eines
der groͤſten verderben in der kirchen ſeye. Es faͤllet mir deswegen auch
ſchwer auf das hertz/ wann ich gedencke/ daß gleichwol unſer beichten
und dieſe art der abſolution (ein anders iſt/ wo einem ſonſten der ſuͤnde
wegen geaͤngſtigeten/ oder welcher troſt/ ſonderlich auch welcher verſoͤhnung
mit der gemeinde bedarf/ dieſe wiederfaͤhret/ welches unzweiffentlich goͤttli-
chen urſprungs und einſetzung iſt) keine eigentliche goͤttliche einſetzung/
ſondern allein ein ritus Eccleſiaſticus iſt/ und wir ſollen unſere gewiſſen da-
mit ſo ſchrecklich martern. Jch leugne zwar nicht/ daß er aus ſehr nuͤtzli-
cher abſicht eingefuͤhret/ aus gleichen in unſer Evangeliſchen kirchen beybe-
halten worden/ auch zu ſehr viel gutem gelegenheit geben kan/ wo alles in
ſeiner richtigen ordnung ſtehet/ ſo dann deswegen und um anderer urſach
willen deſſen abſtellung nicht zu rathen oder dazu zu helffen getraute: wo
ich
q q 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/319 |
Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/319>, abgerufen am 16.02.2025. |