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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
etwas leben solte lassen/ warum hätte dann/ da es des HErrn will wäre/ mich
vor denjenigen zu fürchten/ die mir nicht mehr als die andern feinde thun
können? Aber 1. ich finde zu einem solchen sonderbaren werck der nöthigen
besserung der kirchen bey mir durchaus die nöthige stücke nicht: Jch will nicht
sagen von dem mangel der erudition und dergleichen natürlichen verstandes
gaben/ sondern vornehmlich mangelts mir an der nöthigen klugheit und weiß-
heit/ welchen gebrechen ich auch so gar in denen absonderlichen amts- verrich-
tungen bey mir finde/ daß ich offt mich selbs meiner schäme/ wie so gar keinen
rath nicht finden kan; Was solte es dann seyn/ wo ich mich eines höhern an-
massen solte? sonderlich mangelt mirs an der krafft des geistes von oben/ die
leider sehr schwach/ und die natürliche furcht auch in geringem schwer über-
windet/ nimmermehr aber gnugsam ist/ sich dessen zu unterfangen/ welches ei-
nen rechten helden muth erforderte. Dahero mangelts mir eben aus diesen
zeugnüssen an dem göttlichen beruff. Und bin ich derjenige nicht/ weder der dem
HErrn ein hauß zu bauen (ob ich wol gute intention hätte) noch durch ihn
Jsrael heyl wiederfahren zu lassen/ von GOtt gewürdiget ist/ sondern solte ich
mich ein mehrers/ als wozu mich der HErr treiben solte (dem ich freylich er-
kenne/ mich niemal entziehen zu dörffen) unternehmen/ würde ich GOtt versu-
chen/ selbs drüber wohlverdienter weise zu schanden werden/ und mehr schaden
als nutzen thun. Wie dann/ wo Joseph und Azarias (Maccab. 5/ 56. 62.)
auch eines wagen wolten/ dazu sie der HErr nicht verordnet/ ihre vermessen-
heit mehr schädlich als nützlich war. Jch erinnere mich vielmahl und von meh-
rern jahren nicht ohne allmalige bewegung in catal. testium verit. n. 438.
p. 849,
von D. Andrea Prole der Augustiner provincial gelesen zu haben/ daß
er den brüdern offt vorgestellet/ wie die Christenheit einer grossen und starcken
reformation nöthig hätte/ mit vorstellung des verderbens in der lehr/ darauf
jene ihm zugesprochen: Qvare ipse non inciperet reformationem, ac erro-
ribus sese opponeret:
Darauf er aber geantwortet: Videtis, fratres, me
esse aetate grandaevum, corpore & viribus debilem: & agnosco, me non
esse praeditum tanta doctrina, industria & eloquentia, qvantam haec
res postulat. Sed excitabit Dominus Heroem aetate, viribus, industria
& doctrina, ingenio, eloquentia praestantem, qui reformationem inci-
piet, erroribusqve sese opponet; ei Deus animum dabit, ut magnati-
bus contradicere ausit; & ipsius ministerium salutare Dei beneficio com-
perietis.
Jch kan von mir nicht sagen/ daß eben so alt und von leibes kräfften
abgekommen/ ob zwar doch mein natürliches ende mir näher achte: aber wie
schwach die krafft des Geistes bey mir seye/ fühle ich wohl/ und werden es
andere an mir gewahr; Daher es nicht seyn kan/ daß ich von GOtt zu et-

was

Das ſiebende Capitel.
etwas leben ſolte laſſen/ warum haͤtte dann/ da es des HErrn will waͤre/ mich
vor denjenigen zu fuͤrchten/ die mir nicht mehr als die andern feinde thun
koͤnnen? Aber 1. ich finde zu einem ſolchen ſonderbaren werck der noͤthigen
beſſerung der kirchen bey mir durchaus die noͤthige ſtuͤcke nicht: Jch will nicht
ſagen von dem mangel der erudition und dergleichen natuͤrlichen verſtandes
gaben/ ſondern vornehmlich mangelts mir an der noͤthigen klugheit und weiß-
heit/ welchen gebrechen ich auch ſo gar in denen abſonderlichen amts- verrich-
tungen bey mir finde/ daß ich offt mich ſelbs meiner ſchaͤme/ wie ſo gar keinen
rath nicht finden kan; Was ſolte es dann ſeyn/ wo ich mich eines hoͤhern an-
maſſen ſolte? ſonderlich mangelt mirs an der krafft des geiſtes von oben/ die
leider ſehr ſchwach/ und die natuͤrliche furcht auch in geringem ſchwer uͤber-
windet/ nimmermehr aber gnugſam iſt/ ſich deſſen zu unterfangen/ welches ei-
nen rechten helden muth erforderte. Dahero mangelts mir eben aus dieſen
zeugnuͤſſen an dem goͤttlichen beruff. Und bin ich derjenige nicht/ weder der dem
HErrn ein hauß zu bauen (ob ich wol gute intention haͤtte) noch durch ihn
Jſrael heyl wiederfahren zu laſſen/ von GOtt gewuͤrdiget iſt/ ſondern ſolte ich
mich ein mehrers/ als wozu mich der HErr treiben ſolte (dem ich freylich er-
kenne/ mich niemal entziehen zu doͤrffen) unternehmen/ wuͤrde ich GOtt verſu-
chen/ ſelbs druͤber wohlverdienter weiſe zu ſchanden werden/ und mehr ſchaden
als nutzen thun. Wie dann/ wo Joſeph und Azarias (Maccab. 5/ 56. 62.)
auch eines wagen wolten/ dazu ſie der HErr nicht verordnet/ ihre vermeſſen-
heit mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich war. Jch erinnere mich vielmahl und von meh-
rern jahren nicht ohne allmalige bewegung in catal. teſtium verit. n. 438.
p. 849,
von D. Andrea Prole der Auguſtiner provincial geleſen zu haben/ daß
er den bruͤdern offt vorgeſtellet/ wie die Chriſtenheit einer groſſen und ſtarcken
reformation noͤthig haͤtte/ mit vorſtellung des verderbens in der lehr/ darauf
jene ihm zugeſprochen: Qvare ipſe non inciperet reformationem, ac erro-
ribus ſeſe opponeret:
Darauf er aber geantwortet: Videtis, fratres, me
eſſe ætate grandævum, corpore & viribus debilem: & agnoſco, me non
eſſe præditum tanta doctrina, induſtria & eloquentia, qvantam hæc
res poſtulat. Sed excitabit Dominus Heroem ætate, viribus, induſtria
& doctrina, ingenio, eloquentia præſtantem, qui reformationem inci-
piet, erroribusqve ſeſe opponet; ei Deus animum dabit, ut magnati-
bus contradicere auſit; & ipſius miniſterium ſalutare Dei beneficio com-
perietis.
Jch kan von mir nicht ſagen/ daß eben ſo alt und von leibes kraͤfften
abgekommen/ ob zwar doch mein natuͤrliches ende mir naͤher achte: aber wie
ſchwach die krafft des Geiſtes bey mir ſeye/ fuͤhle ich wohl/ und werden es
andere an mir gewahr; Daher es nicht ſeyn kan/ daß ich von GOtt zu et-

was
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[204/0216] Das ſiebende Capitel. etwas leben ſolte laſſen/ warum haͤtte dann/ da es des HErrn will waͤre/ mich vor denjenigen zu fuͤrchten/ die mir nicht mehr als die andern feinde thun koͤnnen? Aber 1. ich finde zu einem ſolchen ſonderbaren werck der noͤthigen beſſerung der kirchen bey mir durchaus die noͤthige ſtuͤcke nicht: Jch will nicht ſagen von dem mangel der erudition und dergleichen natuͤrlichen verſtandes gaben/ ſondern vornehmlich mangelts mir an der noͤthigen klugheit und weiß- heit/ welchen gebrechen ich auch ſo gar in denen abſonderlichen amts- verrich- tungen bey mir finde/ daß ich offt mich ſelbs meiner ſchaͤme/ wie ſo gar keinen rath nicht finden kan; Was ſolte es dann ſeyn/ wo ich mich eines hoͤhern an- maſſen ſolte? ſonderlich mangelt mirs an der krafft des geiſtes von oben/ die leider ſehr ſchwach/ und die natuͤrliche furcht auch in geringem ſchwer uͤber- windet/ nimmermehr aber gnugſam iſt/ ſich deſſen zu unterfangen/ welches ei- nen rechten helden muth erforderte. Dahero mangelts mir eben aus dieſen zeugnuͤſſen an dem goͤttlichen beruff. Und bin ich derjenige nicht/ weder der dem HErrn ein hauß zu bauen (ob ich wol gute intention haͤtte) noch durch ihn Jſrael heyl wiederfahren zu laſſen/ von GOtt gewuͤrdiget iſt/ ſondern ſolte ich mich ein mehrers/ als wozu mich der HErr treiben ſolte (dem ich freylich er- kenne/ mich niemal entziehen zu doͤrffen) unternehmen/ wuͤrde ich GOtt verſu- chen/ ſelbs druͤber wohlverdienter weiſe zu ſchanden werden/ und mehr ſchaden als nutzen thun. Wie dann/ wo Joſeph und Azarias (Maccab. 5/ 56. 62.) auch eines wagen wolten/ dazu ſie der HErr nicht verordnet/ ihre vermeſſen- heit mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich war. Jch erinnere mich vielmahl und von meh- rern jahren nicht ohne allmalige bewegung in catal. teſtium verit. n. 438. p. 849, von D. Andrea Prole der Auguſtiner provincial geleſen zu haben/ daß er den bruͤdern offt vorgeſtellet/ wie die Chriſtenheit einer groſſen und ſtarcken reformation noͤthig haͤtte/ mit vorſtellung des verderbens in der lehr/ darauf jene ihm zugeſprochen: Qvare ipſe non inciperet reformationem, ac erro- ribus ſeſe opponeret: Darauf er aber geantwortet: Videtis, fratres, me eſſe ætate grandævum, corpore & viribus debilem: & agnoſco, me non eſſe præditum tanta doctrina, induſtria & eloquentia, qvantam hæc res poſtulat. Sed excitabit Dominus Heroem ætate, viribus, induſtria & doctrina, ingenio, eloquentia præſtantem, qui reformationem inci- piet, erroribusqve ſeſe opponet; ei Deus animum dabit, ut magnati- bus contradicere auſit; & ipſius miniſterium ſalutare Dei beneficio com- perietis. Jch kan von mir nicht ſagen/ daß eben ſo alt und von leibes kraͤfften abgekommen/ ob zwar doch mein natuͤrliches ende mir naͤher achte: aber wie ſchwach die krafft des Geiſtes bey mir ſeye/ fuͤhle ich wohl/ und werden es andere an mir gewahr; Daher es nicht ſeyn kan/ daß ich von GOtt zu et- was

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/216>, abgerufen am 23.11.2024.