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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
welche krafft derjenigen wahrheit, so viel von GOttes wahrheit bey jeglicher
versamlung annoch übrig seyn mag, bey einer mehr, bey der andern weniger,
das fundament ihres glaubens in Christo dem gecreutzigten und auferstan-
denen, aus dem sie allein ihr heyl haben, geleget, ihrem GOTT in ihrer
einfalt dieneten, sich seiner leitung nicht widersetzten, und also in dem wenigen
oder mehrern pfund, so sie empfangen, treu würden: Jndessen entweder
von den übrigen irrthumen ihrer kirche wenig wissen, noch sich derselben an-
nehmen, oder wo sie denselben aus mangel bessern unterrichts beypflichten,
auch dero ihnen verborgener fehler, wie anderer ihnen unbekanter sünden,
vergebung von dem liebreichesten vater in dem himmel erlangen. Dahero
wir die wahre allgemeine kirche, ausser welcher freylich kein heil seyn kan,
nicht allein in einem gewissen coetu und eusserlichen gefaßten corpore zu su-
chen haben, als die da bestehet in der anzahl derer, welche mit dem göttlichen
liecht des wahren, einfältigen, lebendigen, ob wol in dem maaß der erkänt-
nüß und deß liechts unterschiedenen, glaubens begnadet, daher wahrhaffti-
ge glieder des geistlichen leibes CHRJSTJ sind. Und dermassen glau-
be ich auch. Daher, ob ich wol meinem GOTT inniglich dancke, der mich
in der eusserlichen gemeinschafft der evangelischen kirchen hat lassen geboh-
ren und erzogen werden, als von welcher ich in meiner seelen versichert bin,
daß deroselben und also unsere lehr dem einfältigen göttlichen wort gemäß,
und nicht in einigem articul falsch seye, als der ich solche lehre nicht coeca o-
bedientia
von meinen praeceptoribus gefasset, sondern nach der gnade
GOttes, die mir gegeben, aus der schrifft allezeit geprüfet habe und noch
prüfe: Weswegen wo von einer heut zu tage sichtbaren wahren kirche ge-
fraget wird, ich keine andere, als die unserige zu nennen vermag, als der
ich die übrige alle, nach dero lehre, aus meinem gewissen mit sehr schwe-
ren irrthumen beflecket zu seyn erkenne, und offentlich beseufftze: So werde
doch nimmermehr dahin kommen, daß ich sagen wolte, unsere evangelische
kirche seye also die wahre kirche, daß ausser dero eusserlichen gemeinschafft o-
der ohne punctliche billigung aller und jeder unserer lehrstücke niemand selig
werden könte, als der ich freylich wol weiß, daß GOTT einige seiner kinder
bey andern selbs in der lehre verderbten gemeinden übrig habe, die gleich
wie sie mit uns in dem grund völlig übereinkommen, also in einer gemein-
schafft des geistes stehen, nur daß GOTT seine heilige und uns zu be-
greiffen annoch allzu hohe ursachen hat, warum ers mit den kirchen
noch in den seligen stand nicht kommen lässet, daß solche innerliche ge-
meinschafft des geistes auch zu eusserlicher vereinigung, zu aller so viel
hertzlicher freude und erbauung, gelange. Worinnen gleichwol, wie
in der gesamten regierung seiner kirchen, eine grosse tieffe des reich-

thums

Das ſiebende Capitel.
welche krafft derjenigen wahrheit, ſo viel von GOttes wahrheit bey jeglicher
verſamlung annoch uͤbrig ſeyn mag, bey einer mehr, bey der andern weniger,
das fundament ihres glaubens in Chriſto dem gecreutzigten und auferſtan-
denen, aus dem ſie allein ihr heyl haben, geleget, ihrem GOTT in ihrer
einfalt dieneten, ſich ſeiner leitung nicht widerſetzten, und alſo in dem wenigen
oder mehrern pfund, ſo ſie empfangen, treu wuͤrden: Jndeſſen entweder
von den uͤbrigen irrthumen ihrer kirche wenig wiſſen, noch ſich derſelben an-
nehmen, oder wo ſie denſelben aus mangel beſſern unterrichts beypflichten,
auch dero ihnen verborgener fehler, wie anderer ihnen unbekanter ſuͤnden,
vergebung von dem liebreicheſten vater in dem himmel erlangen. Dahero
wir die wahre allgemeine kirche, auſſer welcher freylich kein heil ſeyn kan,
nicht allein in einem gewiſſen cœtu und euſſerlichen gefaßten corpore zu ſu-
chen haben, als die da beſtehet in der anzahl derer, welche mit dem goͤttlichen
liecht des wahren, einfaͤltigen, lebendigen, ob wol in dem maaß der erkaͤnt-
nuͤß und deß liechts unterſchiedenen, glaubens begnadet, daher wahrhaffti-
ge glieder des geiſtlichen leibes CHRJSTJ ſind. Und dermaſſen glau-
be ich auch. Daher, ob ich wol meinem GOTT inniglich dancke, der mich
in der euſſerlichen gemeinſchafft der evangeliſchen kirchen hat laſſen geboh-
ren und erzogen werden, als von welcher ich in meiner ſeelen verſichert bin,
daß deroſelben und alſo unſere lehr dem einfaͤltigen goͤttlichen wort gemaͤß,
und nicht in einigem articul falſch ſeye, als der ich ſolche lehre nicht cœca o-
bedientia
von meinen præceptoribus gefaſſet, ſondern nach der gnade
GOttes, die mir gegeben, aus der ſchrifft allezeit gepruͤfet habe und noch
pruͤfe: Weswegen wo von einer heut zu tage ſichtbaren wahren kirche ge-
fraget wird, ich keine andere, als die unſerige zu nennen vermag, als der
ich die uͤbrige alle, nach dero lehre, aus meinem gewiſſen mit ſehr ſchwe-
ren irrthumen beflecket zu ſeyn erkenne, und offentlich beſeufftze: So werde
doch nimmermehr dahin kommen, daß ich ſagen wolte, unſere evangeliſche
kirche ſeye alſo die wahre kirche, daß auſſer dero euſſerlichen gemeinſchafft o-
der ohne punctliche billigung aller und jeder unſerer lehrſtuͤcke niemand ſelig
werden koͤnte, als der ich freylich wol weiß, daß GOTT einige ſeiner kinder
bey andern ſelbs in der lehre verderbten gemeinden uͤbrig habe, die gleich
wie ſie mit uns in dem grund voͤllig uͤbereinkommen, alſo in einer gemein-
ſchafft des geiſtes ſtehen, nur daß GOTT ſeine heilige und uns zu be-
greiffen annoch allzu hohe urſachen hat, warum ers mit den kirchen
noch in den ſeligen ſtand nicht kommen laͤſſet, daß ſolche innerliche ge-
meinſchafft des geiſtes auch zu euſſerlicher vereinigung, zu aller ſo viel
hertzlicher freude und erbauung, gelange. Worinnen gleichwol, wie
in der geſamten regierung ſeiner kirchen, eine groſſe tieffe des reich-

thums
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[148/0160] Das ſiebende Capitel. welche krafft derjenigen wahrheit, ſo viel von GOttes wahrheit bey jeglicher verſamlung annoch uͤbrig ſeyn mag, bey einer mehr, bey der andern weniger, das fundament ihres glaubens in Chriſto dem gecreutzigten und auferſtan- denen, aus dem ſie allein ihr heyl haben, geleget, ihrem GOTT in ihrer einfalt dieneten, ſich ſeiner leitung nicht widerſetzten, und alſo in dem wenigen oder mehrern pfund, ſo ſie empfangen, treu wuͤrden: Jndeſſen entweder von den uͤbrigen irrthumen ihrer kirche wenig wiſſen, noch ſich derſelben an- nehmen, oder wo ſie denſelben aus mangel beſſern unterrichts beypflichten, auch dero ihnen verborgener fehler, wie anderer ihnen unbekanter ſuͤnden, vergebung von dem liebreicheſten vater in dem himmel erlangen. Dahero wir die wahre allgemeine kirche, auſſer welcher freylich kein heil ſeyn kan, nicht allein in einem gewiſſen cœtu und euſſerlichen gefaßten corpore zu ſu- chen haben, als die da beſtehet in der anzahl derer, welche mit dem goͤttlichen liecht des wahren, einfaͤltigen, lebendigen, ob wol in dem maaß der erkaͤnt- nuͤß und deß liechts unterſchiedenen, glaubens begnadet, daher wahrhaffti- ge glieder des geiſtlichen leibes CHRJSTJ ſind. Und dermaſſen glau- be ich auch. Daher, ob ich wol meinem GOTT inniglich dancke, der mich in der euſſerlichen gemeinſchafft der evangeliſchen kirchen hat laſſen geboh- ren und erzogen werden, als von welcher ich in meiner ſeelen verſichert bin, daß deroſelben und alſo unſere lehr dem einfaͤltigen goͤttlichen wort gemaͤß, und nicht in einigem articul falſch ſeye, als der ich ſolche lehre nicht cœca o- bedientia von meinen præceptoribus gefaſſet, ſondern nach der gnade GOttes, die mir gegeben, aus der ſchrifft allezeit gepruͤfet habe und noch pruͤfe: Weswegen wo von einer heut zu tage ſichtbaren wahren kirche ge- fraget wird, ich keine andere, als die unſerige zu nennen vermag, als der ich die uͤbrige alle, nach dero lehre, aus meinem gewiſſen mit ſehr ſchwe- ren irrthumen beflecket zu ſeyn erkenne, und offentlich beſeufftze: So werde doch nimmermehr dahin kommen, daß ich ſagen wolte, unſere evangeliſche kirche ſeye alſo die wahre kirche, daß auſſer dero euſſerlichen gemeinſchafft o- der ohne punctliche billigung aller und jeder unſerer lehrſtuͤcke niemand ſelig werden koͤnte, als der ich freylich wol weiß, daß GOTT einige ſeiner kinder bey andern ſelbs in der lehre verderbten gemeinden uͤbrig habe, die gleich wie ſie mit uns in dem grund voͤllig uͤbereinkommen, alſo in einer gemein- ſchafft des geiſtes ſtehen, nur daß GOTT ſeine heilige und uns zu be- greiffen annoch allzu hohe urſachen hat, warum ers mit den kirchen noch in den ſeligen ſtand nicht kommen laͤſſet, daß ſolche innerliche ge- meinſchafft des geiſtes auch zu euſſerlicher vereinigung, zu aller ſo viel hertzlicher freude und erbauung, gelange. Worinnen gleichwol, wie in der geſamten regierung ſeiner kirchen, eine groſſe tieffe des reich- thums

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/160>, abgerufen am 23.11.2024.