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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XX.
gesichte preiset, in denen doch nichts ist, das der göttlichen majestät, welche
sonsten in dergleichen offenbarungen hervorleuchtet, gemäß wäre, und
was dergleichen dinge sind, sondern auch in ein und andern harten reden,
die schwerlich oder wol gar nicht zu einem guten verstand können gebracht
werden. Vornemlich aber habe dieses an ihm gefunden, daß er, nicht
zwar (dessen er von einigen beschuldiget wird) leugnet, daß das einmal
gehabte heil wiederum verloren werden könte, aber dannoch, daß er davor
hält, bey den auserwehlten seye der glaube der massen ein ewiger glaube,
daß er nimmermehr vergehen, oder durch einige sünden verlohren werden
könte. Daher alle buß eines gewesten gläubigen bey ihm nicht eigentlich
ist eine wiederkehr zu dem glauben und der gnade GOTTES, sondern
nur eine erkäntnüß des jenigen, was man allezeit gehabt habe, und nur eine
weile bey sich nicht gewahr worden: Daß also nach ihm der glaube bey
den gefallenen gleichsam schläffet, nicht aber verlohren noch eines neu ge-
schenckten glaubens nöthig ist. Dieser irrthum stehet klar p. 147. 148. daß
ich solchen seinen worten nicht zu helffen weiß. 4. Jch messe aber bil-
lich die ursach dessen deme zu, daß der liebe mann scheinet in studiis weniger
erfahren gewesen zu seyn, daß er also aus unwissenheit, nicht aber boßheit o-
der eigendünckel und hartnäckigkeit, in diese meinung mag gerathen seyn,
vielleicht auch da er über einige Reformirte bücher, in denen er sonsten
das übrige evangelium von den gütern des heils gut angetroffen, gekom-
men, und sich deswegen darein verliebet, zugleich aber unvermercket die-
ses mit an sich gesogen. So habe auch einmal in händen gehabt, daß er
auf verordnung seiner obern einen revers von sich gegeben, da er 5. theses
darinnen er sich vorher verstossen, auf bessern unterricht revociret hatte: Jch
wüßte aber solche nicht mehr wol zu finden. 5. Deswegen ich darvor halte,
daß man deswegen weder des lieben mannes gedächtnüß beschimpffen, noch
seine arbeit insgesamt verwerffen solle. Da vielmehr billich ist, ihn derje-
nigen liebe geniessen zulassen, die wir den lieben alt-vätern erzeigen, dero
fast keiner sich finden wird, in deme wir nicht wol noch schwerere anstösse
antreffen möchten, ohnerachtet welcher wir gleichwol die gnade GOttes ih-
nen erzeiget in billichem werth achten, und die anklebende fehler als zeug-
nüssen menschlicher unvollkommenheit mit gedult an ihnen tragen, nicht
aber sie und ihre schrifften deßwegen gleichsam zu ewiger finsternüß ver,
dammen. 6. Achte ich es vor eine sonderliche güte GOTTes, welcher den
gottseligen Mart. Statium predigern zu Dantzig und einen treuen freund
Lutheri (wie sein Lutherus redivivus oder Christenthum Lutheri zu er-
kennen gibet) erwecket, daß dieser aus Praetorii arbeit seine schatz-kammer
der gläubigen
angerichtet und alles das in jenes tractätlein hin und wie-

der
o 3

ARTIC. I. SECTIO XX.
geſichte preiſet, in denen doch nichts iſt, das der goͤttlichen majeſtaͤt, welche
ſonſten in dergleichen offenbarungen hervorleuchtet, gemaͤß waͤre, und
was dergleichen dinge ſind, ſondern auch in ein und andern harten reden,
die ſchwerlich oder wol gar nicht zu einem guten verſtand koͤnnen gebracht
werden. Vornemlich aber habe dieſes an ihm gefunden, daß er, nicht
zwar (deſſen er von einigen beſchuldiget wird) leugnet, daß das einmal
gehabte heil wiederum verloren werden koͤnte, aber dannoch, daß er davor
haͤlt, bey den auserwehlten ſeye der glaube der maſſen ein ewiger glaube,
daß er nimmermehr vergehen, oder durch einige ſuͤnden verlohren werden
koͤnte. Daher alle buß eines geweſten glaͤubigen bey ihm nicht eigentlich
iſt eine wiederkehr zu dem glauben und der gnade GOTTES, ſondern
nur eine erkaͤntnuͤß des jenigen, was man allezeit gehabt habe, und nur eine
weile bey ſich nicht gewahr worden: Daß alſo nach ihm der glaube bey
den gefallenen gleichſam ſchlaͤffet, nicht aber verlohren noch eines neu ge-
ſchenckten glaubens noͤthig iſt. Dieſer irrthum ſtehet klar p. 147. 148. daß
ich ſolchen ſeinen worten nicht zu helffen weiß. 4. Jch meſſe aber bil-
lich die urſach deſſen deme zu, daß der liebe mann ſcheinet in ſtudiis weniger
erfahren geweſen zu ſeyn, daß er alſo aus unwiſſenheit, nicht aber boßheit o-
der eigenduͤnckel und hartnaͤckigkeit, in dieſe meinung mag gerathen ſeyn,
vielleicht auch da er uͤber einige Reformirte buͤcher, in denen er ſonſten
das uͤbrige evangelium von den guͤtern des heils gut angetroffen, gekom-
men, und ſich deswegen darein verliebet, zugleich aber unvermercket die-
ſes mit an ſich geſogen. So habe auch einmal in haͤnden gehabt, daß er
auf verordnung ſeiner obern einen revers von ſich gegeben, da er 5. theſes
darinnen er ſich vorher verſtoſſen, auf beſſern unterricht revociret hatte: Jch
wuͤßte aber ſolche nicht mehr wol zu finden. 5. Deswegen ich darvor halte,
daß man deswegen weder des lieben mannes gedaͤchtnuͤß beſchimpffen, noch
ſeine arbeit insgeſamt verwerffen ſolle. Da vielmehr billich iſt, ihn derje-
nigen liebe genieſſen zulaſſen, die wir den lieben alt-vaͤtern erzeigen, dero
faſt keiner ſich finden wird, in deme wir nicht wol noch ſchwerere anſtoͤſſe
antreffen moͤchten, ohnerachtet welcher wir gleichwol die gnade GOttes ih-
nen erzeiget in billichem werth achten, und die anklebende fehler als zeug-
nuͤſſen menſchlicher unvollkommenheit mit gedult an ihnen tragen, nicht
aber ſie und ihre ſchrifften deßwegen gleichſam zu ewiger finſternuͤß ver,
dammen. 6. Achte ich es vor eine ſonderliche guͤte GOTTes, welcher den
gottſeligen Mart. Statium predigern zu Dantzig und einen treuen freund
Lutheri (wie ſein Lutherus redivivus oder Chriſtenthum Lutheri zu er-
kennen gibet) erwecket, daß dieſer aus Prætorii arbeit ſeine ſchatz-kammer
der glaͤubigen
angerichtet und alles das in jenes tractaͤtlein hin und wie-

der
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[109/0121] ARTIC. I. SECTIO XX. geſichte preiſet, in denen doch nichts iſt, das der goͤttlichen majeſtaͤt, welche ſonſten in dergleichen offenbarungen hervorleuchtet, gemaͤß waͤre, und was dergleichen dinge ſind, ſondern auch in ein und andern harten reden, die ſchwerlich oder wol gar nicht zu einem guten verſtand koͤnnen gebracht werden. Vornemlich aber habe dieſes an ihm gefunden, daß er, nicht zwar (deſſen er von einigen beſchuldiget wird) leugnet, daß das einmal gehabte heil wiederum verloren werden koͤnte, aber dannoch, daß er davor haͤlt, bey den auserwehlten ſeye der glaube der maſſen ein ewiger glaube, daß er nimmermehr vergehen, oder durch einige ſuͤnden verlohren werden koͤnte. Daher alle buß eines geweſten glaͤubigen bey ihm nicht eigentlich iſt eine wiederkehr zu dem glauben und der gnade GOTTES, ſondern nur eine erkaͤntnuͤß des jenigen, was man allezeit gehabt habe, und nur eine weile bey ſich nicht gewahr worden: Daß alſo nach ihm der glaube bey den gefallenen gleichſam ſchlaͤffet, nicht aber verlohren noch eines neu ge- ſchenckten glaubens noͤthig iſt. Dieſer irrthum ſtehet klar p. 147. 148. daß ich ſolchen ſeinen worten nicht zu helffen weiß. 4. Jch meſſe aber bil- lich die urſach deſſen deme zu, daß der liebe mann ſcheinet in ſtudiis weniger erfahren geweſen zu ſeyn, daß er alſo aus unwiſſenheit, nicht aber boßheit o- der eigenduͤnckel und hartnaͤckigkeit, in dieſe meinung mag gerathen ſeyn, vielleicht auch da er uͤber einige Reformirte buͤcher, in denen er ſonſten das uͤbrige evangelium von den guͤtern des heils gut angetroffen, gekom- men, und ſich deswegen darein verliebet, zugleich aber unvermercket die- ſes mit an ſich geſogen. So habe auch einmal in haͤnden gehabt, daß er auf verordnung ſeiner obern einen revers von ſich gegeben, da er 5. theſes darinnen er ſich vorher verſtoſſen, auf beſſern unterricht revociret hatte: Jch wuͤßte aber ſolche nicht mehr wol zu finden. 5. Deswegen ich darvor halte, daß man deswegen weder des lieben mannes gedaͤchtnuͤß beſchimpffen, noch ſeine arbeit insgeſamt verwerffen ſolle. Da vielmehr billich iſt, ihn derje- nigen liebe genieſſen zulaſſen, die wir den lieben alt-vaͤtern erzeigen, dero faſt keiner ſich finden wird, in deme wir nicht wol noch ſchwerere anſtoͤſſe antreffen moͤchten, ohnerachtet welcher wir gleichwol die gnade GOttes ih- nen erzeiget in billichem werth achten, und die anklebende fehler als zeug- nuͤſſen menſchlicher unvollkommenheit mit gedult an ihnen tragen, nicht aber ſie und ihre ſchrifften deßwegen gleichſam zu ewiger finſternuͤß ver, dammen. 6. Achte ich es vor eine ſonderliche guͤte GOTTes, welcher den gottſeligen Mart. Statium predigern zu Dantzig und einen treuen freund Lutheri (wie ſein Lutherus redivivus oder Chriſtenthum Lutheri zu er- kennen gibet) erwecket, daß dieſer aus Prætorii arbeit ſeine ſchatz-kammer der glaͤubigen angerichtet und alles das in jenes tractaͤtlein hin und wie- der o 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/121>, abgerufen am 18.12.2024.