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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. III. SECTIO XXI.

3. Ob nun wohl bereits neulich zur gnüge dargethan zuhaben glaube/ daß
hier keine sünde wider dem Heil. Geist habe begangen werden können/ wir ver-
stehen nun dieselbe nach der nunmehr von denen Theologis insgemein ange-
nommenen definitione Feurbornii, oder nach anderer erklärung/ und näherer
vergleichung/ mit dem exempel der Phariseer und ihres verhaltens gegen Chri-
stum. Dann so viel wird unläugbar seyen/ daß bey solcher sünde sich noth-
wendig müsse boßheit befinden/ hingegen ein irrendes gewissen dieselbe nicht bege-
hen könne. Wie ich auch das exempel Pauli aus 1. Tim. I, 13. angeführet/ bey
dem es nechst dem lästeren auch zu dem verfolgen gekommen war/ und der
doch damit sich jener unvergeblichen sünde nicht theilhafftig gemacht: wie auch
in dem vertrauen stehe/ das geliebter Bruder drüber wol keinen weitern scru-
pel
haben werde.

So ist doch 4. die angst des gewissens nicht bloß vergebens/ oder ohne
grund/ sondern wo wir in der furcht des HErrn und ohne affecten die sache/
wie sie an sich selbst ist/ ansehen/ so wüste ich vor GOtt nicht zu verantworten/
so wol da gegen die so genante Pietisten ein ungleiches urtheil gefället worden
(denn ob ich wol den tractat habe/ so lässet mir doch die zeit nicht leicht
zu/ einige schrifften/ die über etliche bogen sich erstrecken/ durchzulesen/ und hin-
gegen in dem durchblättern/ habe ich die stelle/ wo davon gehandelt wird/ nicht
finden können) als auch was theils in dem harten urtheil gegen J. Böhmens
bücher/ und woher dieselbe kommen sollen/ theils durch die hefftigkeit gegen dem
adversarium, gegen die liebe gesündiget worden. Jndem ersten konte es nicht
ohne vermessenheit abgehen/ indem ich nicht glaube/ daß geliebtem bruder die
gantze wahre bewantnüß und historie des Pietismi dermassen bekant hat seyn
können/ daß es müglich gewesen wäre/ das derselbe ein judicium dagegen/ da-
mit er vor GOttes trohne getrost bestehen könnte/ zusassen vermocht hätte.
Was das andere anlangt/ bekenne/ daß auch ein dergleichen hartes urtheil von
eines mannes schrifften/ deren man das wenigste gelesen/ von andern vernom-
men/ das seine reden zuverstehen schwer seyen/ und was einigen anstoß giebet
gantz anders gemeinet seye/ und der von andern/ an dero Christlichen wesen
man nicht eben zu zweiffeln wichtige ursachen hat/ aus ihrer eignen erfahrung/
als ein Lehrer/ in dessen schrifften GOtt viele krafft geleget habe/ gerühmet wird/
zufällen/ mir auch nicht müglich wäre/ von der vermessenheit und gefahr ihm
unrecht zuthun zubefreyen. Endlich was die schreibart gegen dem widersacher
anlangt/ sehe ich sie auch nicht an/ als der sanfftmuth des Geistes Christi ge-
mäß: noch würde mir zur entschuldigung seyn/ daß gegentheil durch seine här-
tigkeit dazu anlaß gegeben/ denn uns die regel immer vor augen schweben muß/
der nicht schalt/ da er gescholten ward. Also kan ich nicht anders erken-
nen/ als daß die angst des gewissens guten grund habe/ und deswegen von dem-

jenigen
Zzzzzz
ARTIC. III. SECTIO XXI.

3. Ob nun wohl bereits neulich zur gnuͤge dargethan zuhaben glaube/ daß
hier keine ſuͤnde wider dem Heil. Geiſt habe begangen werden koͤnnen/ wir ver-
ſtehen nun dieſelbe nach der nunmehr von denen Theologis insgemein ange-
nommenen definitione Feurbornii, oder nach anderer erklaͤrung/ und naͤherer
vergleichung/ mit dem exempel der Phariſeer und ihres verhaltens gegen Chri-
ſtum. Dann ſo viel wird unlaͤugbar ſeyen/ daß bey ſolcher ſuͤnde ſich noth-
wendig muͤſſe boßheit befinden/ hingegen ein irrendes gewiſſen dieſelbe nicht bege-
hen koͤnne. Wie ich auch das exempel Pauli aus 1. Tim. I, 13. angefuͤhret/ bey
dem es nechſt dem laͤſteren auch zu dem verfolgen gekommen war/ und der
doch damit ſich jener unvergeblichen ſuͤnde nicht theilhafftig gemacht: wie auch
in dem vertrauen ſtehe/ das geliebter Bruder druͤber wol keinen weitern ſcru-
pel
haben werde.

So iſt doch 4. die angſt des gewiſſens nicht bloß vergebens/ oder ohne
grund/ ſondern wo wir in der furcht des HErrn und ohne affecten die ſache/
wie ſie an ſich ſelbſt iſt/ anſehen/ ſo wuͤſte ich vor GOtt nicht zu verantworten/
ſo wol da gegen die ſo genante Pietiſten ein ungleiches urtheil gefaͤllet worden
(denn ob ich wol den tractat habe/ ſo laͤſſet mir doch die zeit nicht leicht
zu/ einige ſchrifften/ die uͤber etliche bogen ſich erſtrecken/ durchzuleſen/ und hin-
gegen in dem durchblaͤttern/ habe ich die ſtelle/ wo davon gehandelt wird/ nicht
finden koͤnnen) als auch was theils in dem harten urtheil gegen J. Boͤhmens
buͤcher/ und woher dieſelbe kommen ſollen/ theils durch die hefftigkeit gegen dem
adverſarium, gegen die liebe geſuͤndiget worden. Jndem erſten konte es nicht
ohne vermeſſenheit abgehen/ indem ich nicht glaube/ daß geliebtem bruder die
gantze wahre bewantnuͤß und hiſtorie des Pietiſmi dermaſſen bekant hat ſeyn
koͤnnen/ daß es muͤglich geweſen waͤre/ das derſelbe ein judicium dagegen/ da-
mit er vor GOttes trohne getroſt beſtehen koͤnnte/ zuſaſſen vermocht haͤtte.
Was das andere anlangt/ bekenne/ daß auch ein dergleichen hartes urtheil von
eines mannes ſchrifften/ deren man das wenigſte geleſen/ von andern vernom-
men/ das ſeine reden zuverſtehen ſchwer ſeyen/ und was einigen anſtoß giebet
gantz anders gemeinet ſeye/ und der von andern/ an dero Chriſtlichen weſen
man nicht eben zu zweiffeln wichtige urſachen hat/ aus ihrer eignen erfahrung/
als ein Lehrer/ in deſſen ſchrifften GOtt viele krafft geleget habe/ geruͤhmet wird/
zufaͤllen/ mir auch nicht muͤglich waͤre/ von der vermeſſenheit und gefahr ihm
unrecht zuthun zubefreyen. Endlich was die ſchreibart gegen dem widerſacher
anlangt/ ſehe ich ſie auch nicht an/ als der ſanfftmuth des Geiſtes Chriſti ge-
maͤß: noch wuͤrde mir zur entſchuldigung ſeyn/ daß gegentheil durch ſeine haͤr-
tigkeit dazu anlaß gegeben/ denn uns die regel immer vor augen ſchweben muß/
der nicht ſchalt/ da er geſcholten ward. Alſo kan ich nicht anders erken-
nen/ als daß die angſt des gewiſſens guten grund habe/ und deswegen von dem-

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Zzzzzz
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[913/0931] ARTIC. III. SECTIO XXI. 3. Ob nun wohl bereits neulich zur gnuͤge dargethan zuhaben glaube/ daß hier keine ſuͤnde wider dem Heil. Geiſt habe begangen werden koͤnnen/ wir ver- ſtehen nun dieſelbe nach der nunmehr von denen Theologis insgemein ange- nommenen definitione Feurbornii, oder nach anderer erklaͤrung/ und naͤherer vergleichung/ mit dem exempel der Phariſeer und ihres verhaltens gegen Chri- ſtum. Dann ſo viel wird unlaͤugbar ſeyen/ daß bey ſolcher ſuͤnde ſich noth- wendig muͤſſe boßheit befinden/ hingegen ein irrendes gewiſſen dieſelbe nicht bege- hen koͤnne. Wie ich auch das exempel Pauli aus 1. Tim. I, 13. angefuͤhret/ bey dem es nechſt dem laͤſteren auch zu dem verfolgen gekommen war/ und der doch damit ſich jener unvergeblichen ſuͤnde nicht theilhafftig gemacht: wie auch in dem vertrauen ſtehe/ das geliebter Bruder druͤber wol keinen weitern ſcru- pel haben werde. So iſt doch 4. die angſt des gewiſſens nicht bloß vergebens/ oder ohne grund/ ſondern wo wir in der furcht des HErrn und ohne affecten die ſache/ wie ſie an ſich ſelbſt iſt/ anſehen/ ſo wuͤſte ich vor GOtt nicht zu verantworten/ ſo wol da gegen die ſo genante Pietiſten ein ungleiches urtheil gefaͤllet worden (denn ob ich wol den tractat habe/ ſo laͤſſet mir doch die zeit nicht leicht zu/ einige ſchrifften/ die uͤber etliche bogen ſich erſtrecken/ durchzuleſen/ und hin- gegen in dem durchblaͤttern/ habe ich die ſtelle/ wo davon gehandelt wird/ nicht finden koͤnnen) als auch was theils in dem harten urtheil gegen J. Boͤhmens buͤcher/ und woher dieſelbe kommen ſollen/ theils durch die hefftigkeit gegen dem adverſarium, gegen die liebe geſuͤndiget worden. Jndem erſten konte es nicht ohne vermeſſenheit abgehen/ indem ich nicht glaube/ daß geliebtem bruder die gantze wahre bewantnuͤß und hiſtorie des Pietiſmi dermaſſen bekant hat ſeyn koͤnnen/ daß es muͤglich geweſen waͤre/ das derſelbe ein judicium dagegen/ da- mit er vor GOttes trohne getroſt beſtehen koͤnnte/ zuſaſſen vermocht haͤtte. Was das andere anlangt/ bekenne/ daß auch ein dergleichen hartes urtheil von eines mannes ſchrifften/ deren man das wenigſte geleſen/ von andern vernom- men/ das ſeine reden zuverſtehen ſchwer ſeyen/ und was einigen anſtoß giebet gantz anders gemeinet ſeye/ und der von andern/ an dero Chriſtlichen weſen man nicht eben zu zweiffeln wichtige urſachen hat/ aus ihrer eignen erfahrung/ als ein Lehrer/ in deſſen ſchrifften GOtt viele krafft geleget habe/ geruͤhmet wird/ zufaͤllen/ mir auch nicht muͤglich waͤre/ von der vermeſſenheit und gefahr ihm unrecht zuthun zubefreyen. Endlich was die ſchreibart gegen dem widerſacher anlangt/ ſehe ich ſie auch nicht an/ als der ſanfftmuth des Geiſtes Chriſti ge- maͤß: noch wuͤrde mir zur entſchuldigung ſeyn/ daß gegentheil durch ſeine haͤr- tigkeit dazu anlaß gegeben/ denn uns die regel immer vor augen ſchweben muß/ der nicht ſchalt/ da er geſcholten ward. Alſo kan ich nicht anders erken- nen/ als daß die angſt des gewiſſens guten grund habe/ und deswegen von dem- jenigen Zzzzzz

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 913. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/931>, abgerufen am 23.11.2024.