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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
te sache wäre/ daß die von denen Consistoriis und Faculteten vorgeschlagene
mittel nicht zuverwerffen wären/ sondern wol nötig seyn möchten. Wann aber
das gegentheil/ daß sich nemlich nichts dessen/ wo man die sache unpartheyisch
untersuchet/ antreffen lasse/ ziemlich offenbahr/ und aus den actis zu ersehen ist/
so fället die gantze vorgeschriebene cur/ da die vorgegebene kranckheit verschwin-
det/ ja es solten solche remedia/ da man sie brauchen wolte/ leicht so viel unheil
verursachen/ als eine starcke einer schweren knanckheit zugemessene cur/ da man
sie einem gesunden leib appliciren wolte/ und eben dadurch erst eine kranckheit
herbey ziehen könte. Sonderlich fället damit das ienige hinweg/ was wegen
der so genanten Pietisten beforderung/ ob sie dazu zulassen oder auszuschliessen
seyen/ so dann die entziehung oder versagung der sonsten genossenen oder vertrö-
steten beneficiorum, vorgekommen ist: dann nach dem auff solche leute nichts
des jenigen gebracht worden/ was sie entweder irriger lehr/ oder anderer verun-
ruhigung der kirchen/ schuldig machte (massen alle unruhe und unwesen vielmehr
von denjenigen entstanden ist/ die durch verläumdungen und lästerungen so viel
wesens gemacht haben) so ist keine ursach/ daß man jemand/ weil er mit einem
solchen nahmen von spöttern belegt worden/ von demjenigen ausschliesse/ dazu
ihm sonsten die von GOtt verliehene gaben u. andere ursachen einiges recht und
zugang geben. Und wo einer dem pietismo absagen solle/ fragt sich billich/ was
denn dasjenige seye/ dem er absagen müsse? der pietet selbs/ auch so wohl sich
derselben in eigner person zubefleißigen/ als bey aller redlichen und ziemlichem
gelegenheit mit andern gern davon zu reden/ und sie dazu aufzumuntern/ wird ie
niemand absagen dörffen: dergleichen formliche collegia aber zu halten/ als biß
dahin gehalten worden waren/ bedarffs abermal nicht so wohl eines absagens/
als einer richtigen verordnung/ was E. Churfl. Durchl. in dero landen und auff
dero universität künfftig zugeben wolle oder nicht/ da alsdenn ieglicher ohne
das an dieselbe gehalten ist/ und der jenige/ der sich wiedersetzen wolte/ alsdenn
nicht so wohl wegen eines pietismi sondern ungehorsams sich der beforderung un-
fähig machen würde: wo aber jemand so weit gehen wolte/ zu zumuthen und zu
fordern/ daß man versprechen müste/ alle gelegenheit welche GOtt zeigen möch-
te/ seinen nechsten neben sich zuerbauen (welcher pflicht eine christliche Obrigkeit
einige regeln/ was die art anlangt/ vorzuschreiben vermag/ aber sie insgesammt
aufzuheben/ oder die Christen davon zu befreyen nicht macht hat) allerdings zu
versäumen/ und also dem hauptgesetz der liebe abzusagen/ so wäre solches begeh-
ren wieder GOtt/ und also dörffte sich niemand dazu verbinden/ ich will aber
auch nicht hoffen/ daß jemand so unverschämt seyn werde/ seine affecten sich so
weit treiben zu lassen/ dergleichen anzumuthen. Also bedarff es auch keine distin-
ction
unter den seductoribus und seductis, wo noch keine verführung gezeigt
werden mag/ nach dem sich noch kein irrthum hervor gethan/ oder hoffentlich her-
vor thun wird/ und wann auch in den collegiis nach der art des eiffers zu weit ge-

gan-

Das ſechſte Capitel.
te ſache waͤre/ daß die von denen Conſiſtoriis und Faculteten vorgeſchlagene
mittel nicht zuverwerffen waͤren/ ſondern wol noͤtig ſeyn moͤchten. Wann aber
das gegentheil/ daß ſich nemlich nichts deſſen/ wo man die ſache unpartheyiſch
unterſuchet/ antreffen laſſe/ ziemlich offenbahr/ und aus den actis zu erſehen iſt/
ſo faͤllet die gantze vorgeſchriebene cur/ da die vorgegebene kranckheit verſchwin-
det/ ja es ſolten ſolche remedia/ da man ſie brauchen wolte/ leicht ſo viel unheil
verurſachen/ als eine ſtarcke einer ſchweren knanckheit zugemeſſene cur/ da man
ſie einem geſunden leib appliciren wolte/ und eben dadurch erſt eine kranckheit
herbey ziehen koͤnte. Sonderlich faͤllet damit das ienige hinweg/ was wegen
der ſo genanten Pietiſten beforderung/ ob ſie dazu zulaſſen oder auszuſchlieſſen
ſeyen/ ſo dann die entziehung oder verſagung der ſonſten genoſſenen oder vertroͤ-
ſteten beneficiorum, vorgekommen iſt: dann nach dem auff ſolche leute nichts
des jenigen gebracht worden/ was ſie entweder irriger lehr/ oder anderer verun-
ruhigung der kirchen/ ſchuldig machte (maſſen alle unruhe und unweſen vielmehr
von denjenigen entſtanden iſt/ die durch verlaͤumdungen und laͤſterungen ſo viel
weſens gemacht haben) ſo iſt keine urſach/ daß man jemand/ weil er mit einem
ſolchen nahmen von ſpoͤttern belegt worden/ von demjenigen ausſchlieſſe/ dazu
ihm ſonſten die von GOtt verliehene gaben u. andere urſachen einiges recht und
zugang geben. Und wo einer dem pietiſmo abſagen ſolle/ fragt ſich billich/ was
denn dasjenige ſeye/ dem er abſagen muͤſſe? der pietet ſelbs/ auch ſo wohl ſich
derſelben in eigner perſon zubefleißigen/ als bey aller redlichen und ziemlichem
gelegenheit mit andern gern davon zu reden/ und ſie dazu aufzumuntern/ wird ie
niemand abſagen doͤrffen: dergleichen formliche collegia aber zu halten/ als biß
dahin gehalten worden waren/ bedarffs abermal nicht ſo wohl eines abſagens/
als einer richtigen verordnung/ was E. Churfl. Durchl. in dero landen und auff
dero univerſitaͤt kuͤnfftig zugeben wolle oder nicht/ da alsdenn ieglicher ohne
das an dieſelbe gehalten iſt/ und der jenige/ der ſich wiederſetzen wolte/ alsdenn
nicht ſo wohl wegen eines pietiſmi ſondern ungehorſams ſich der beforderung un-
faͤhig machen wuͤrde: wo aber jemand ſo weit gehen wolte/ zu zumuthen und zu
fordern/ daß man verſprechen muͤſte/ alle gelegenheit welche GOtt zeigen moͤch-
te/ ſeinen nechſten neben ſich zuerbauen (welcher pflicht eine chriſtliche Obrigkeit
einige regeln/ was die art anlangt/ vorzuſchreiben vermag/ aber ſie insgeſammt
aufzuheben/ oder die Chriſten davon zu befreyen nicht macht hat) allerdings zu
verſaͤumen/ und alſo dem hauptgeſetz der liebe abzuſagen/ ſo waͤre ſolches begeh-
ren wieder GOtt/ und alſo doͤrffte ſich niemand dazu verbinden/ ich will aber
auch nicht hoffen/ daß jemand ſo unverſchaͤmt ſeyn werde/ ſeine affecten ſich ſo
weit treiben zu laſſen/ dergleichen anzumuthen. Alſo bedarff es auch keine diſtin-
ction
unter den ſeductoribus und ſeductis, wo noch keine verfuͤhrung gezeigt
werden mag/ nach dem ſich noch kein irrthum hervor gethan/ oder hoffentlich her-
vor thun wird/ und wann auch in den collegiis nach der art des eiffers zu weit ge-

gan-
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[796/0814] Das ſechſte Capitel. te ſache waͤre/ daß die von denen Conſiſtoriis und Faculteten vorgeſchlagene mittel nicht zuverwerffen waͤren/ ſondern wol noͤtig ſeyn moͤchten. Wann aber das gegentheil/ daß ſich nemlich nichts deſſen/ wo man die ſache unpartheyiſch unterſuchet/ antreffen laſſe/ ziemlich offenbahr/ und aus den actis zu erſehen iſt/ ſo faͤllet die gantze vorgeſchriebene cur/ da die vorgegebene kranckheit verſchwin- det/ ja es ſolten ſolche remedia/ da man ſie brauchen wolte/ leicht ſo viel unheil verurſachen/ als eine ſtarcke einer ſchweren knanckheit zugemeſſene cur/ da man ſie einem geſunden leib appliciren wolte/ und eben dadurch erſt eine kranckheit herbey ziehen koͤnte. Sonderlich faͤllet damit das ienige hinweg/ was wegen der ſo genanten Pietiſten beforderung/ ob ſie dazu zulaſſen oder auszuſchlieſſen ſeyen/ ſo dann die entziehung oder verſagung der ſonſten genoſſenen oder vertroͤ- ſteten beneficiorum, vorgekommen iſt: dann nach dem auff ſolche leute nichts des jenigen gebracht worden/ was ſie entweder irriger lehr/ oder anderer verun- ruhigung der kirchen/ ſchuldig machte (maſſen alle unruhe und unweſen vielmehr von denjenigen entſtanden iſt/ die durch verlaͤumdungen und laͤſterungen ſo viel weſens gemacht haben) ſo iſt keine urſach/ daß man jemand/ weil er mit einem ſolchen nahmen von ſpoͤttern belegt worden/ von demjenigen ausſchlieſſe/ dazu ihm ſonſten die von GOtt verliehene gaben u. andere urſachen einiges recht und zugang geben. Und wo einer dem pietiſmo abſagen ſolle/ fragt ſich billich/ was denn dasjenige ſeye/ dem er abſagen muͤſſe? der pietet ſelbs/ auch ſo wohl ſich derſelben in eigner perſon zubefleißigen/ als bey aller redlichen und ziemlichem gelegenheit mit andern gern davon zu reden/ und ſie dazu aufzumuntern/ wird ie niemand abſagen doͤrffen: dergleichen formliche collegia aber zu halten/ als biß dahin gehalten worden waren/ bedarffs abermal nicht ſo wohl eines abſagens/ als einer richtigen verordnung/ was E. Churfl. Durchl. in dero landen und auff dero univerſitaͤt kuͤnfftig zugeben wolle oder nicht/ da alsdenn ieglicher ohne das an dieſelbe gehalten iſt/ und der jenige/ der ſich wiederſetzen wolte/ alsdenn nicht ſo wohl wegen eines pietiſmi ſondern ungehorſams ſich der beforderung un- faͤhig machen wuͤrde: wo aber jemand ſo weit gehen wolte/ zu zumuthen und zu fordern/ daß man verſprechen muͤſte/ alle gelegenheit welche GOtt zeigen moͤch- te/ ſeinen nechſten neben ſich zuerbauen (welcher pflicht eine chriſtliche Obrigkeit einige regeln/ was die art anlangt/ vorzuſchreiben vermag/ aber ſie insgeſammt aufzuheben/ oder die Chriſten davon zu befreyen nicht macht hat) allerdings zu verſaͤumen/ und alſo dem hauptgeſetz der liebe abzuſagen/ ſo waͤre ſolches begeh- ren wieder GOtt/ und alſo doͤrffte ſich niemand dazu verbinden/ ich will aber auch nicht hoffen/ daß jemand ſo unverſchaͤmt ſeyn werde/ ſeine affecten ſich ſo weit treiben zu laſſen/ dergleichen anzumuthen. Alſo bedarff es auch keine diſtin- ction unter den ſeductoribus und ſeductis, wo noch keine verfuͤhrung gezeigt werden mag/ nach dem ſich noch kein irrthum hervor gethan/ oder hoffentlich her- vor thun wird/ und wann auch in den collegiis nach der art des eiffers zu weit ge- gan-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 796. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/814>, abgerufen am 22.11.2024.