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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VII.
fordert oder zu ihnen gehet/ darüber sich alle eher beschwehren) in das gewissen re-
den/ und um eine solche zeit/ da man sich etwa einer bessern disposition des ge-
müths versehen mag/ etwas fruchtbahrliches auszurichten vermögen. Wo diese
beyde pnncten nicht wären/ so riethe selbs lieber zu der abstellung des beichtstuls od'
einrichtung nach den gethanen vorschlag; Daher auch solches mittel vor das heil-
samste halte an den orten/ da jene incommoda, die ich angeführet/ auff andere
weise ihre abhelffliche maaß haben können. Es ist auch eben diejenige art/ welche
derselbe in Holland üblich zu seyen meldet/ in meinen eigenen Vaterland/ so dann
in Straßbnrg und an andern orten gebräuchlich/ daß deswegen/ wo man sie ein-
führen würde/ und denen oben bedeuteten difficultäten auff andere art abgeholffen
werden könte/ mit recht keine neuerung/ oder daß in unserer kirchen solches nirgend
angenommen wäre/ entgegen gehalten werden dörffe. Die angeführte ratio-
nes
sind auch von grosser wichtigkeit: daß so wohl der gottlosen boßheit nicht durch die
privat-absolution gestärcket/ als der Prediger gewissen geschohnet/ viel unziehm-
licher wahn von der absolution abgeleinet/ die absolution widerum auff die erste
art mit ablegung dessen/ was in den Papstum angeklebet worden/ gebracht/ den un-
geschickten und nicht verstandenen beichtformuln derwegen benommen/ und die
gläubige der beschwehrlichen nothwendigkeit der beicht (darüber ich selbs unter-
schiedliche mahl gute selen klagen hören) überhoben würden/ daß also sie mit meh-
rern zu bekräfftigen nicht nöthig habe. Weswegen mich solches hertzlich freuen
solte/ da vernehmen würde/ daß die sache in die übung gebracht würde/ in dem ich
hoffte/ daß solchen exempel etwa bald andere folget möchten an den orten/ wo man
der besondern beicht der singulorum nicht um der obgedachten ursachen willen nö-
thig hat. Jedoch bekenne ich/ daß auch mit dieser anstalt nur so viel gefruchtet
würde werden/ als jedes orts der Prediger treu und verständig ist. Dann bey
denen/ welche selbs die sache nicht gründlich verstehen/ oder denen es um die selen
der zuhörer nicht hertzlich zu thun ist (deren ich aller orten mehr als gut ist/ angetrof-
fen zu werden sorge/ ja versichert bin) wird es doch auch bey jener anstalt nicht besser
hergehen/ als es nunmehr gehet: aber bey allen dergleichen anstalten ist gnug/ wo
sie nur so viel ausrichten/ daß rechtschaffene diener CHRJSTJ/ die das ihrige
gern thun wollen/ solches zu thun gnugsam gelegenheit bekommen. So lang wir
ader noch alles in der vorigen unordnung haben/ sehe ich nicht/ wie ich mein gewis-
sen noch besser beruhigen kan/ als daß nicht nur in den predigten öffentlich mehr-
mahl/ wo die gelegenheit ergriffen werden kan/ die gemeinde erinnere/ wie die ab-
solution
allezeit von uns menschen/ die in die hertzen nicht sehen können/ gesprochen den
verstand nach conditionata seye/ wo die leute wie sie vorgeben bußfertig/ daher ihnen
nichts mehr gebe/ als zu ergreiffen der wahre lebendige glaube bey ihnen seye/ worauff
folge/ wo sie nicht mit auffrichtigen hertzen/ solche seyen wie ihre beicht lautet od' lau-
ten solte/ daß ist/ wo nicht reu und haß der sünde/ der wahre glaube/ und heilige vor-

satz
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ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VII.
fordert oder zu ihnen gehet/ daruͤber ſich alle eher beſchwehren) in das gewiſſen re-
den/ und um eine ſolche zeit/ da man ſich etwa einer beſſern diſpoſition des ge-
muͤths verſehen mag/ etwas fruchtbahrliches auszurichten vermoͤgen. Wo dieſe
beyde pnncten nicht waͤꝛen/ ſo riethe ſelbs lieber zu der abſtellung des beichtſtuls od’
einrichtung nach den gethanen vorſchlag; Daher auch ſolches mittel vor das heil-
ſamſte halte an den orten/ da jene incommoda, die ich angefuͤhret/ auff andere
weiſe ihre abhelffliche maaß haben koͤnnen. Es iſt auch eben diejenige art/ welche
derſelbe in Holland uͤblich zu ſeyen meldet/ in meinen eigenen Vaterland/ ſo dann
in Straßbnrg und an andern orten gebraͤuchlich/ daß deswegen/ wo man ſie ein-
fuͤhren wuͤrde/ und denen oben bedeuteten difficultaͤten auff andere art abgeholffen
werden koͤnte/ mit recht keine neuerung/ oder daß in unſerer kirchen ſolches nirgend
angenommen waͤre/ entgegen gehalten werden doͤrffe. Die angefuͤhrte ratio-
nes
ſind auch von gꝛoſſer wichtigkeit: daß ſo wohl der gottloſen boßheit nicht durch die
privat-abſolution geſtaͤrcket/ als der Prediger gewiſſen geſchohnet/ viel unziehm-
licher wahn von der abſolution abgeleinet/ die abſolution widerum auff die erſte
art mit ablegung deſſen/ was in den Papſtum angeklebet worden/ gebracht/ den un-
geſchickten und nicht verſtandenen beichtformuln derwegen benommen/ und die
glaͤubige der beſchwehrlichen nothwendigkeit der beicht (daruͤber ich ſelbs unter-
ſchiedliche mahl gute ſelen klagen hoͤren) uͤberhoben wuͤrden/ daß alſo ſie mit meh-
rern zu bekraͤfftigen nicht noͤthig habe. Weswegen mich ſolches hertzlich freuen
ſolte/ da vernehmen wuͤrde/ daß die ſache in die uͤbung gebracht wuͤrde/ in dem ich
hoffte/ daß ſolchen exempel etwa bald andere folget moͤchten an den orten/ wo man
der beſondern beicht der ſingulorum nicht um der obgedachten urſachen willen noͤ-
thig hat. Jedoch bekenne ich/ daß auch mit dieſer anſtalt nur ſo viel gefruchtet
wuͤrde werden/ als jedes orts der Prediger treu und verſtaͤndig iſt. Dann bey
denen/ welche ſelbs die ſache nicht gruͤndlich verſtehen/ oder denen es um die ſelen
der zuhoͤrer nicht hertzlich zu thun iſt (deren ich aller orten mehr als gut iſt/ angetrof-
fen zu werden ſorge/ ja verſichert bin) wird es doch auch bey jener anſtalt nicht beſſer
hergehen/ als es nunmehr gehet: aber bey allen dergleichen anſtalten iſt gnug/ wo
ſie nur ſo viel ausrichten/ daß rechtſchaffene diener CHRJSTJ/ die das ihrige
gern thun wollen/ ſolches zu thun gnugſam gelegenheit bekommen. So lang wir
ader noch alles in der vorigen unordnung haben/ ſehe ich nicht/ wie ich mein gewiſ-
ſen noch beſſer beruhigen kan/ als daß nicht nur in den predigten oͤffentlich mehr-
mahl/ wo die gelegenheit ergriffen werden kan/ die gemeinde erinnere/ wie die ab-
ſolution
allezeit von uns menſchen/ die in die hertzẽ nicht ſehen koͤñen/ geſpꝛochen den
verſtand nach conditionata ſeye/ wo die leute wie ſie vorgebẽ bußfertig/ daher ihnẽ
nichts mehr gebe/ als zu ergreiffen der wahre lebendige glaube bey ihnẽ ſeye/ worauff
folge/ wo ſie nicht mit auffrichtigen hertzen/ ſolche ſeyen wie ihre beicht lautet od’ lau-
ten ſolte/ daß iſt/ wo nicht reu und haß der ſuͤnde/ der wahre glaube/ und heilige vor-

ſatz
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[649/0667] ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VII. fordert oder zu ihnen gehet/ daruͤber ſich alle eher beſchwehren) in das gewiſſen re- den/ und um eine ſolche zeit/ da man ſich etwa einer beſſern diſpoſition des ge- muͤths verſehen mag/ etwas fruchtbahrliches auszurichten vermoͤgen. Wo dieſe beyde pnncten nicht waͤꝛen/ ſo riethe ſelbs lieber zu der abſtellung des beichtſtuls od’ einrichtung nach den gethanen vorſchlag; Daher auch ſolches mittel vor das heil- ſamſte halte an den orten/ da jene incommoda, die ich angefuͤhret/ auff andere weiſe ihre abhelffliche maaß haben koͤnnen. Es iſt auch eben diejenige art/ welche derſelbe in Holland uͤblich zu ſeyen meldet/ in meinen eigenen Vaterland/ ſo dann in Straßbnrg und an andern orten gebraͤuchlich/ daß deswegen/ wo man ſie ein- fuͤhren wuͤrde/ und denen oben bedeuteten difficultaͤten auff andere art abgeholffen werden koͤnte/ mit recht keine neuerung/ oder daß in unſerer kirchen ſolches nirgend angenommen waͤre/ entgegen gehalten werden doͤrffe. Die angefuͤhrte ratio- nes ſind auch von gꝛoſſer wichtigkeit: daß ſo wohl der gottloſen boßheit nicht durch die privat-abſolution geſtaͤrcket/ als der Prediger gewiſſen geſchohnet/ viel unziehm- licher wahn von der abſolution abgeleinet/ die abſolution widerum auff die erſte art mit ablegung deſſen/ was in den Papſtum angeklebet worden/ gebracht/ den un- geſchickten und nicht verſtandenen beichtformuln derwegen benommen/ und die glaͤubige der beſchwehrlichen nothwendigkeit der beicht (daruͤber ich ſelbs unter- ſchiedliche mahl gute ſelen klagen hoͤren) uͤberhoben wuͤrden/ daß alſo ſie mit meh- rern zu bekraͤfftigen nicht noͤthig habe. Weswegen mich ſolches hertzlich freuen ſolte/ da vernehmen wuͤrde/ daß die ſache in die uͤbung gebracht wuͤrde/ in dem ich hoffte/ daß ſolchen exempel etwa bald andere folget moͤchten an den orten/ wo man der beſondern beicht der ſingulorum nicht um der obgedachten urſachen willen noͤ- thig hat. Jedoch bekenne ich/ daß auch mit dieſer anſtalt nur ſo viel gefruchtet wuͤrde werden/ als jedes orts der Prediger treu und verſtaͤndig iſt. Dann bey denen/ welche ſelbs die ſache nicht gruͤndlich verſtehen/ oder denen es um die ſelen der zuhoͤrer nicht hertzlich zu thun iſt (deren ich aller orten mehr als gut iſt/ angetrof- fen zu werden ſorge/ ja verſichert bin) wird es doch auch bey jener anſtalt nicht beſſer hergehen/ als es nunmehr gehet: aber bey allen dergleichen anſtalten iſt gnug/ wo ſie nur ſo viel ausrichten/ daß rechtſchaffene diener CHRJSTJ/ die das ihrige gern thun wollen/ ſolches zu thun gnugſam gelegenheit bekommen. So lang wir ader noch alles in der vorigen unordnung haben/ ſehe ich nicht/ wie ich mein gewiſ- ſen noch beſſer beruhigen kan/ als daß nicht nur in den predigten oͤffentlich mehr- mahl/ wo die gelegenheit ergriffen werden kan/ die gemeinde erinnere/ wie die ab- ſolution allezeit von uns menſchen/ die in die hertzẽ nicht ſehen koͤñen/ geſpꝛochen den verſtand nach conditionata ſeye/ wo die leute wie ſie vorgebẽ bußfertig/ daher ihnẽ nichts mehr gebe/ als zu ergreiffen der wahre lebendige glaube bey ihnẽ ſeye/ worauff folge/ wo ſie nicht mit auffrichtigen hertzen/ ſolche ſeyen wie ihre beicht lautet od’ lau- ten ſolte/ daß iſt/ wo nicht reu und haß der ſuͤnde/ der wahre glaube/ und heilige vor- ſatz Nnnn

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/667>, abgerufen am 23.11.2024.