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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXVIII.
schiehet/ wo man mit eyffriger anruffung GOttes einen versicul nach den andern
vornimmet/ und in aller einfalt nachsinnet/ was der einfältigste und klare wort
verstand seye/ ferner was vor lehren oder lebens regeln aus jeglichen zu ziehen seyen/
so dann wie wirs in unserer seelen finden/ was wir darinnen lesen/ wann wir uns
darnach prüffen. Wer auff diese weise in der schrifft mächtig wird/ ist tüchtiger
zu dem werck des HErrn/ als wer viel andere bücher gelesen hätte: Die ich gleich-
wol anch sonsten nicht verachte/ sondern in unterschiedlichen stücken derselben nu-
tzen erkenne. Vor andern wolte sonderlich rathen unsers lieben Lutheri güldene
kirchen Postill/ so dann was von seinen Tomis, die vor etlichen jahren um ein we-
nigs geld zu bekommen gewest/ an hand zu bringen ist. Lütkemans und Scriveri
wie auch D. Müllers schrifften mögen auch zu vielen nutzen gebraucht werden: der
theoreticorum und exegeticorum dißmal eben nicht zu gedencken. 1685.

SECTIO XXVIII.

Was bey den äusserst verderbten zeiten unsere
pflicht und hoffnung seye.

DJe in dem ersten brieffe enthaltene wehmütige klagen sind wichtig und ge-
recht. Wie dann freylich der allgemeine verfall grösser/ als daß wir leicht
in dessen beklagung zu viel thun könten. Lasset uns aber dahin trachten/ daß
das ansehen solches verderbens uns nicht so wol träge mache/ und wir aus der sorge/
daß sich dennoch nichts ausrichten lasse/ stang und stab hinwerffen/ welches offt den
besten gemüthern begegnet/ aber eine heimliche versuchung ist/ und aus einen un-
glauben entstehet/ als vielmehr/ daß wir uns dadurch bewegen lassen/ desto ange-
legenlicher zu den HErrn um hülff zu seuffzen/ und daß unsrige desto fleißiger und
vorsichtiger zu thun. Es wird je der HErr noch in gnaden drein sehen/ und auffs
wenigste/ nach den seine gerichte werden vorbey seyn/ eine solche hülffe schaffen/ wel-
che wir vorher nicht eben sehen können/ um derselben willen aber ihn demütig zu
preisen/ und seine wunder danckbar zu rühmen ursach haben werden. Hiezu thun
frommer Christen unabläßige seuffzen und gebete derer/ die weil sie daß verlangte
gehör in der welt nicht finden/ zu dem jenigen/ der gewiß höret/ sich desto ernstlicher
wenden/ daß allermeiste/ und erlangen nicht nur ihnen sondern auch andern viele
gnade. Ach daß wir uns solches mittels eyffriger gebrauchten/ und mit zujam-
men gesetzter gewalt bey demselben eindrüngen/ der solche gewalt so hertzlich liebet/ u.
aus uns nutzlichen ursachen dazu will von uns genöthiget werden/ was er zwahr ohne
das viel williger ist uns zugeben/ als wir es zusuchen. Gleichwol wollen wir auch/
ob schon unsers unvermögens und der elenden zeiten bewußt/ nicht müde werden in
unsern amt mit ernst anzuhalten: richten wir nichts aus/ damit vergnügt/ daß wir

gleich-
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ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXVIII.
ſchiehet/ wo man mit eyffriger anruffung GOttes einen verſicul nach den andern
vornimmet/ und in aller einfalt nachſinnet/ was der einfaͤltigſte und klare wort
verſtand ſeye/ ferner was vor lehren oder lebens regeln aus jeglichen zu ziehen ſeyen/
ſo dann wie wirs in unſerer ſeelen finden/ was wir darinnen leſen/ wann wir uns
darnach pruͤffen. Wer auff dieſe weiſe in der ſchrifft maͤchtig wird/ iſt tuͤchtigeꝛ
zu dem werck des HErrn/ als wer viel andeꝛe buͤcher geleſen haͤtte: Die ich gleich-
wol anch ſonſten nicht verachte/ ſondern in unterſchiedlichen ſtuͤcken derſelben nu-
tzen erkenne. Vor andern wolte ſonderlich rathen unſers lieben Lutheri guͤldene
kirchen Poſtill/ ſo dann was von ſeinen Tomis, die vor etlichen jahꝛen um ein we-
nigs geld zu bekommen geweſt/ an hand zu bringen iſt. Luͤtkemans und Scriveri
wie auch D. Muͤllers ſchrifften moͤgen auch zu vielen nutzen gebraucht werden: der
theoreticorum und exegeticorum dißmal eben nicht zu gedencken. 1685.

SECTIO XXVIII.

Was bey den aͤuſſerſt verderbten zeiten unſere
pflicht und hoffnung ſeye.

DJe in dem erſten brieffe enthaltene wehmuͤtige klagen ſind wichtig und ge-
recht. Wie dann freylich der allgemeine verfall groͤſſer/ als daß wir leicht
in deſſen beklagung zu viel thun koͤnten. Laſſet uns aber dahin trachten/ daß
das anſehen ſolches verderbens uns nicht ſo wol traͤge mache/ und wir aus der ſorge/
daß ſich dennoch nichts ausrichten laſſe/ ſtang und ſtab hinwerffen/ welches offt den
beſten gemuͤthern begegnet/ aber eine heimliche verſuchung iſt/ und aus einen un-
glauben entſtehet/ als vielmehr/ daß wir uns dadurch bewegen laſſen/ deſto ange-
legenlicher zu den HErrn um huͤlff zu ſeuffzen/ und daß unſrige deſto fleißiger und
vorſichtiger zu thun. Es wird je der HErr noch in gnaden drein ſehen/ und auffs
wenigſte/ nach den ſeine gerichte werden vorbey ſeyn/ eine ſolche huͤlffe ſchaffen/ wel-
che wir vorher nicht eben ſehen koͤnnen/ um derſelben willen aber ihn demuͤtig zu
preiſen/ und ſeine wunder danckbar zu ruͤhmen urſach haben werden. Hiezu thun
frommer Chriſten unablaͤßige ſeuffzen und gebete derer/ die weil ſie daß verlangte
gehoͤr in der welt nicht finden/ zu dem jenigen/ der gewiß hoͤret/ ſich deſto ernſtlicher
wenden/ daß allermeiſte/ und eꝛlangen nicht nur ihnen ſondern auch andern viele
gnade. Ach daß wir uns ſolches mittels eyffriger gebrauchten/ und mit zujam-
men geſetzter gewalt bey demſelben eindruͤngen/ der ſolche gewalt ſo hertzlich liebet/ u.
aus uns nutzlichẽ urſachen dazu will von uns genoͤthiget werden/ was er zwahr ohne
das viel williger iſt uns zugeben/ als wir es zuſuchen. Gleichwol wollen wir auch/
ob ſchon unſers unvermoͤgens und der elenden zeiten bewußt/ nicht muͤde werden in
unſern amt mit ernſt anzuhalten: richten wir nichts aus/ damit vergnuͤgt/ daß wir

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[605/0623] ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXVIII. ſchiehet/ wo man mit eyffriger anruffung GOttes einen verſicul nach den andern vornimmet/ und in aller einfalt nachſinnet/ was der einfaͤltigſte und klare wort verſtand ſeye/ ferner was vor lehren oder lebens regeln aus jeglichen zu ziehen ſeyen/ ſo dann wie wirs in unſerer ſeelen finden/ was wir darinnen leſen/ wann wir uns darnach pruͤffen. Wer auff dieſe weiſe in der ſchrifft maͤchtig wird/ iſt tuͤchtigeꝛ zu dem werck des HErrn/ als wer viel andeꝛe buͤcher geleſen haͤtte: Die ich gleich- wol anch ſonſten nicht verachte/ ſondern in unterſchiedlichen ſtuͤcken derſelben nu- tzen erkenne. Vor andern wolte ſonderlich rathen unſers lieben Lutheri guͤldene kirchen Poſtill/ ſo dann was von ſeinen Tomis, die vor etlichen jahꝛen um ein we- nigs geld zu bekommen geweſt/ an hand zu bringen iſt. Luͤtkemans und Scriveri wie auch D. Muͤllers ſchrifften moͤgen auch zu vielen nutzen gebraucht werden: der theoreticorum und exegeticorum dißmal eben nicht zu gedencken. 1685. SECTIO XXVIII. Was bey den aͤuſſerſt verderbten zeiten unſere pflicht und hoffnung ſeye. DJe in dem erſten brieffe enthaltene wehmuͤtige klagen ſind wichtig und ge- recht. Wie dann freylich der allgemeine verfall groͤſſer/ als daß wir leicht in deſſen beklagung zu viel thun koͤnten. Laſſet uns aber dahin trachten/ daß das anſehen ſolches verderbens uns nicht ſo wol traͤge mache/ und wir aus der ſorge/ daß ſich dennoch nichts ausrichten laſſe/ ſtang und ſtab hinwerffen/ welches offt den beſten gemuͤthern begegnet/ aber eine heimliche verſuchung iſt/ und aus einen un- glauben entſtehet/ als vielmehr/ daß wir uns dadurch bewegen laſſen/ deſto ange- legenlicher zu den HErrn um huͤlff zu ſeuffzen/ und daß unſrige deſto fleißiger und vorſichtiger zu thun. Es wird je der HErr noch in gnaden drein ſehen/ und auffs wenigſte/ nach den ſeine gerichte werden vorbey ſeyn/ eine ſolche huͤlffe ſchaffen/ wel- che wir vorher nicht eben ſehen koͤnnen/ um derſelben willen aber ihn demuͤtig zu preiſen/ und ſeine wunder danckbar zu ruͤhmen urſach haben werden. Hiezu thun frommer Chriſten unablaͤßige ſeuffzen und gebete derer/ die weil ſie daß verlangte gehoͤr in der welt nicht finden/ zu dem jenigen/ der gewiß hoͤret/ ſich deſto ernſtlicher wenden/ daß allermeiſte/ und eꝛlangen nicht nur ihnen ſondern auch andern viele gnade. Ach daß wir uns ſolches mittels eyffriger gebrauchten/ und mit zujam- men geſetzter gewalt bey demſelben eindruͤngen/ der ſolche gewalt ſo hertzlich liebet/ u. aus uns nutzlichẽ urſachen dazu will von uns genoͤthiget werden/ was er zwahr ohne das viel williger iſt uns zugeben/ als wir es zuſuchen. Gleichwol wollen wir auch/ ob ſchon unſers unvermoͤgens und der elenden zeiten bewußt/ nicht muͤde werden in unſern amt mit ernſt anzuhalten: richten wir nichts aus/ damit vergnuͤgt/ daß wir gleich- Gggg 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/623>, abgerufen am 23.11.2024.