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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
Päpstisch/ Socinianisch oder Arminianisch lehre? Das können wir nicht sagen.
Dann ob schon diese irrig lehren/ daß Christi gesetz und Mosis gesetz unterschieden/
und also von jenem auch ein gesetz gegeben sey/ und Herr Stenger eben dergleichen
lehret/ ists doch im verstand nicht einerley. Jener meynung ist/ es sey das alte ge-
setz Mosis nicht vollkommen genug gewesen/ also habe Christus solches müssen voll-
kommener machen/ und einen genauern gehorsam von uns fordern/ als Moses ge-
fordert. Aber nach Herrn Stengers meynung ist vielmehr die strenge des gese-
tzes Mosis durch CHristum gemildert worden. Welches so grossen unterscheidt
zwischen beyderley meynung machet/ daß sie einander vielmehr grade entgegen ste-
hen: So gar kommen sie nicht überein. Daß wir deswegen den Autorem eini-
ges Consensus nicht verdächtig halten. Wofern aber von der arth zureden selbs
gefragt wird/ ob man nehmlich die gnade des Evangelii/ nach welcher GOTT
der HErr um CHristi willen unsern unvollkommenen gehorsam will in gnaden an-
nehmen und damit zufrieden seyn/ das gesetz Christi nennen solle/ halten wir solches
nicht schrifftmäßig zu seyn. Wir gestehen gern/ daß Christus freylich ein gesetz ge-
ber seye/ in deme der GOTT/ welcher das gesetz gegeben/ ist der Dreyeinige Gott:
Aber sein gesetz ist eben das gesetz seines dieners Mosis; Hingegen/ daß der Herr
in den tagen seines fleisches/ und bey angetretenem seinem Mitler-Amt einiges ge-
setz/ es seye nun solches strenger oder gelinder als das Mosaische gewesen/ gegeben
habe/ finden wir nirgend. Dann wo der HERR seiner gebote meldung thut/
sinds lauter gebote/ die eben seine gebote durch Mosen gegeben sind/ von Christo a-
ber der nicht nur das Evangelium/ sondern auch vieles/ das des gesetzes war/ pre-
digen muste/ wiederholet und erklähret worden. Also daß wir nirgend etwas lesen/
da im vorgebenden verstand CHristi und Mosis gesetz einander entgegen gesetzet
würden. Wann also Herr Stenger sagt: Daß CHristus die muthwillige sün-
den nur verbothen habe/ so fraget sichs/ ob er solches gethan habe/ durch ein neu ge-
setz oder durch das Evangelium? Durch dieses kans nicht geschehen seyn/ denn
dasselbe ist keine lehre von geboten oder wercken/ sondern von dem glauben und
gnadenreicher vergebung der sünden/ wie in unsern Symbolischen büchern gnug
ausgeführet ist: Durch ein neu gesetz kans wiederum nicht geschehen seyn/ dann
weil das gesetz der unwandelbahre wille GOttes ist/ ändert sich solcher nicht/ und
kan nicht recht oder gut werden/ was einmahl in göttlichem gesetz unrecht und sünde
gewesen. Daher wäre diese exclusiva nur die muthmillige sünde also zuver-
stehen/ entweder/ daß Christi gesetz die menschliche fehler erlaube/ oder/ daß es sie
nicht erlaube/ oder mit andern worten zugeben/ daß Christi gesetz das Mosaische
gesetz in absicht des verbots solcher menschlichen fehler anffhebe oder kräfftig lasse
bleiben. Wird dieses letzte ergriffen/ so ist die krafft der exclusivae geschwächt:
Jn dem also die schwacheit sünden gleich so wohl als die muthwillige verboten blei-
ben. Wehlet man aber das erste/ streitets gedachter massen wider göttliche ge-

rech

Das ſechſte Capitel.
Paͤpſtiſch/ Socinianiſch oder Arminianiſch lehre? Das koͤnnen wir nicht ſagen.
Dann ob ſchon dieſe irrig lehren/ daß Chriſti geſetz und Moſis geſetz unterſchieden/
und alſo von jenem auch ein geſetz gegeben ſey/ und Herr Stenger eben dergleichen
lehret/ iſts doch im verſtand nicht einerley. Jener meynung iſt/ es ſey das alte ge-
ſetz Moſis nicht vollkommen genug geweſen/ alſo habe Chriſtus ſolches muͤſſen voll-
kommener machen/ und einen genauern gehorſam von uns fordern/ als Moſes ge-
fordert. Aber nach Herrn Stengers meynung iſt vielmehr die ſtrenge des geſe-
tzes Moſis durch CHriſtum gemildert worden. Welches ſo groſſen unterſcheidt
zwiſchen beyderley meynung machet/ daß ſie einander vielmehr grade entgegen ſte-
hen: So gar kommen ſie nicht uͤberein. Daß wir deswegen den Autorem eini-
ges Conſenſus nicht verdaͤchtig halten. Wofern aber von der arth zureden ſelbs
gefragt wird/ ob man nehmlich die gnade des Evangelii/ nach welcher GOTT
der HErr um CHriſti willen unſern unvollkommenen gehorſam will in gnaden an-
nehmen und damit zufrieden ſeyn/ das geſetz Chriſti nennen ſolle/ halten wir ſolches
nicht ſchrifftmaͤßig zu ſeyn. Wir geſtehen gern/ daß Chriſtus freylich ein geſetz ge-
ber ſeye/ in deme der GOTT/ welcher das geſetz gegeben/ iſt der Dreyeinige Gott:
Aber ſein geſetz iſt eben das geſetz ſeines dieners Moſis; Hingegen/ daß der Herr
in den tagen ſeines fleiſches/ und bey angetretenem ſeinem Mitler-Amt einiges ge-
ſetz/ es ſeye nun ſolches ſtrenger oder gelinder als das Moſaiſche geweſen/ gegeben
habe/ finden wir nirgend. Dann wo der HERR ſeiner gebote meldung thut/
ſinds lauter gebote/ die eben ſeine gebote durch Moſen gegeben ſind/ von Chriſto a-
ber der nicht nur das Evangelium/ ſondern auch vieles/ das des geſetzes war/ pre-
digen muſte/ wiederholet und erklaͤhret worden. Alſo daß wir nirgend etwas leſen/
da im vorgebenden verſtand CHriſti und Moſis geſetz einander entgegen geſetzet
wuͤrden. Wann alſo Herr Stenger ſagt: Daß CHriſtus die muthwillige ſuͤn-
den nur verbothen habe/ ſo fraget ſichs/ ob er ſolches gethan habe/ durch ein neu ge-
ſetz oder durch das Evangelium? Durch dieſes kans nicht geſchehen ſeyn/ denn
daſſelbe iſt keine lehre von geboten oder wercken/ ſondern von dem glauben und
gnadenreicher vergebung der ſuͤnden/ wie in unſern Symboliſchen buͤchern gnug
ausgefuͤhret iſt: Durch ein neu geſetz kans wiederum nicht geſchehen ſeyn/ dann
weil das geſetz der unwandelbahre wille GOttes iſt/ aͤndert ſich ſolcher nicht/ und
kan nicht recht oder gut werden/ was einmahl in goͤttlichem geſetz unrecht und ſuͤnde
geweſen. Daher waͤre dieſe excluſiva nur die muthmillige ſuͤnde alſo zuver-
ſtehen/ entweder/ daß Chriſti geſetz die menſchliche fehler erlaube/ oder/ daß es ſie
nicht erlaube/ oder mit andern worten zugeben/ daß Chriſti geſetz das Moſaiſche
geſetz in abſicht des verbots ſolcher menſchlichen fehler anffhebe oder kraͤfftig laſſe
bleiben. Wird dieſes letzte ergriffen/ ſo iſt die krafft der excluſivæ geſchwaͤcht:
Jn dem alſo die ſchwacheit ſuͤnden gleich ſo wohl als die muthwillige verboten blei-
ben. Wehlet man aber das erſte/ ſtreitets gedachter maſſen wider goͤttliche ge-

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[42/0060] Das ſechſte Capitel. Paͤpſtiſch/ Socinianiſch oder Arminianiſch lehre? Das koͤnnen wir nicht ſagen. Dann ob ſchon dieſe irrig lehren/ daß Chriſti geſetz und Moſis geſetz unterſchieden/ und alſo von jenem auch ein geſetz gegeben ſey/ und Herr Stenger eben dergleichen lehret/ iſts doch im verſtand nicht einerley. Jener meynung iſt/ es ſey das alte ge- ſetz Moſis nicht vollkommen genug geweſen/ alſo habe Chriſtus ſolches muͤſſen voll- kommener machen/ und einen genauern gehorſam von uns fordern/ als Moſes ge- fordert. Aber nach Herrn Stengers meynung iſt vielmehr die ſtrenge des geſe- tzes Moſis durch CHriſtum gemildert worden. Welches ſo groſſen unterſcheidt zwiſchen beyderley meynung machet/ daß ſie einander vielmehr grade entgegen ſte- hen: So gar kommen ſie nicht uͤberein. Daß wir deswegen den Autorem eini- ges Conſenſus nicht verdaͤchtig halten. Wofern aber von der arth zureden ſelbs gefragt wird/ ob man nehmlich die gnade des Evangelii/ nach welcher GOTT der HErr um CHriſti willen unſern unvollkommenen gehorſam will in gnaden an- nehmen und damit zufrieden ſeyn/ das geſetz Chriſti nennen ſolle/ halten wir ſolches nicht ſchrifftmaͤßig zu ſeyn. Wir geſtehen gern/ daß Chriſtus freylich ein geſetz ge- ber ſeye/ in deme der GOTT/ welcher das geſetz gegeben/ iſt der Dreyeinige Gott: Aber ſein geſetz iſt eben das geſetz ſeines dieners Moſis; Hingegen/ daß der Herr in den tagen ſeines fleiſches/ und bey angetretenem ſeinem Mitler-Amt einiges ge- ſetz/ es ſeye nun ſolches ſtrenger oder gelinder als das Moſaiſche geweſen/ gegeben habe/ finden wir nirgend. Dann wo der HERR ſeiner gebote meldung thut/ ſinds lauter gebote/ die eben ſeine gebote durch Moſen gegeben ſind/ von Chriſto a- ber der nicht nur das Evangelium/ ſondern auch vieles/ das des geſetzes war/ pre- digen muſte/ wiederholet und erklaͤhret worden. Alſo daß wir nirgend etwas leſen/ da im vorgebenden verſtand CHriſti und Moſis geſetz einander entgegen geſetzet wuͤrden. Wann alſo Herr Stenger ſagt: Daß CHriſtus die muthwillige ſuͤn- den nur verbothen habe/ ſo fraget ſichs/ ob er ſolches gethan habe/ durch ein neu ge- ſetz oder durch das Evangelium? Durch dieſes kans nicht geſchehen ſeyn/ denn daſſelbe iſt keine lehre von geboten oder wercken/ ſondern von dem glauben und gnadenreicher vergebung der ſuͤnden/ wie in unſern Symboliſchen buͤchern gnug ausgefuͤhret iſt: Durch ein neu geſetz kans wiederum nicht geſchehen ſeyn/ dann weil das geſetz der unwandelbahre wille GOttes iſt/ aͤndert ſich ſolcher nicht/ und kan nicht recht oder gut werden/ was einmahl in goͤttlichem geſetz unrecht und ſuͤnde geweſen. Daher waͤre dieſe excluſiva nur die muthmillige ſuͤnde alſo zuver- ſtehen/ entweder/ daß Chriſti geſetz die menſchliche fehler erlaube/ oder/ daß es ſie nicht erlaube/ oder mit andern worten zugeben/ daß Chriſti geſetz das Moſaiſche geſetz in abſicht des verbots ſolcher menſchlichen fehler anffhebe oder kraͤfftig laſſe bleiben. Wird dieſes letzte ergriffen/ ſo iſt die krafft der excluſivæ geſchwaͤcht: Jn dem alſo die ſchwacheit ſuͤnden gleich ſo wohl als die muthwillige verboten blei- ben. Wehlet man aber das erſte/ ſtreitets gedachter maſſen wider goͤttliche ge- rech

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/60>, abgerufen am 26.11.2024.