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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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sollen/ daß die hauptstücke deutlicher/ ordentlicher und mit geziehmender un-
tersch eidung waren vorgestellet worden. Wir wissen/ wie ein grosses daran
gelegen/ daß die articul von der rechtfertigung und von der heiligung in ih-
rer guten ordnung und unterscheid gehandelt/ und nicht unter einander mö-
gen vermischet werden. Nun zweiffele ich aus demjenigen/ wie mir sonsten
dessen sinn und glaube bekand ist/ nicht daran/ daß er die sach richtig fasse/
und in seiner seelen erkenne; Jch versichere aber denselben/ es wird schwer-
lich einer aus diesem mercklein diese materie nach genügen lernen/ oder wo
er sie verstehet/ sie in demselben nach nothdurfft befinden: so wird meines be-
haltens der zurechnung nirgend gedacht/ da er doch solche lehre/ weil sie in
verkehrten verstand gezogen wird/ darum nicht auszulassen/ sondern recht zu
erklähren ist. Weil auch die seele des glaubens nicht so wohl die begierde der
göttlichen gnade/ darvon unterschiedliche mahl gedacht zu werden mich erin-
nere/ als die annehmung derselbigen und feste zuversicht auf das versühn-
opffer unsers Heylandes Jesu Christi ist: So gestehe ich gern/ daß davon
nicht so nachdrücklich gehandelt wird/ wie es dieser haupt-punct an sich
selbst erforderte. Jch hätte auch billich zu verlangen/ daß deutlicher gehan-
delt würde/ ob und was der mensch vorhin/ ehe er das wort anhöret/ in sich
habe: und also ob das licht/ welches sich bey den gläubigen findet/ ein licht seye/
welches schon vor dem wort vorher bey ihnen gewesen seye/ indem diese ma-
teri
e sehr confus und dunckel hin und her nur berühret wird. So wirds auch
einem nicht wenigen anstoß geben/ was pag. 72. 82. und etwa anderwertlich
von der substantz und wesen gemeldet wird. Vielleicht sind wir in der sache
einig/ daß so wohl das gute als das böse in der seelen nicht nur der einbildung
nach/ sondern warhafftig und so fern wesendlich sich finde/ daß es ein wahres
wesen/ ein essentia, seye: wie ja ausser dem praedicamento substantiae, alle übri-
ge/ also alle habitus, potentiae u. s. f. rechte wesen und essentiae sind. Wozu
bedarffs aber einen dergleichen terminum, der aus der schul genommen ist/ sub-
stantz?
da doch warhafftig derselbe nachmahl in solcher materie die bedeutung
nicht kan haben/ welche er sonsten hat/ indessen aber viel wesens verursachen
wird bey denen/ welche auf die wort fleißiger sehen/ und solches zu thun niemahl
besser recht haben/ als wo man ihnen einen eingriff in ihre terminos thut/ welche
sie sich gleichsam appropriiret haben; welche gefahr nicht ist/ wo man bey den
worten der schrifft und der kirchen bleibet. Es hat die seele ihre substantz aus der
schöpffung/ da sie nun entweder aus GOtt wieder gebohren wird/ oder aber in
der bosheit immer weiter verhartet: ist jenes freylich etwas reals, eine gantz neue
art/ natur/ und also einiges wesen/ das aber mehr in einer änderung der substantz
zu einer andern art bestehet/ als daß solches eine neue substantz warhafftig
machte. Dergleichen dinge möchten sich nach fleißiger erwegung etwa mehr
finden/ wo sichs geben wird/ daß ohne einigen abbruch der warheit/ und dero
kräfftigsten vortrags/ zu erkäntnüß der wahren und heuchel-buß/ die nöthige

Dinge
Eee

ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XV.
ſollen/ daß die hauptſtuͤcke deutlicher/ ordentlicher und mit geziehmender un-
terſch eidung waren vorgeſtellet worden. Wir wiſſen/ wie ein groſſes daran
gelegen/ daß die articul von der rechtfertigung und von der heiligung in ih-
rer guten ordnung und unterſcheid gehandelt/ und nicht unter einander moͤ-
gen vermiſchet werden. Nun zweiffele ich aus demjenigen/ wie mir ſonſten
deſſen ſinn und glaube bekand iſt/ nicht daran/ daß er die ſach richtig faſſe/
und in ſeiner ſeelen erkenne; Jch verſichere aber denſelben/ es wird ſchwer-
lich einer aus dieſem mercklein dieſe materie nach genuͤgen lernen/ oder wo
er ſie verſtehet/ ſie in demſelben nach nothdurfft befinden: ſo wird meines be-
haltens der zurechnung nirgend gedacht/ da er doch ſolche lehre/ weil ſie in
verkehrten verſtand gezogen wird/ darum nicht auszulaſſen/ ſondern recht zu
erklaͤhren iſt. Weil auch die ſeele des glaubens nicht ſo wohl die begierde der
goͤttlichen gnade/ darvon unterſchiedliche mahl gedacht zu werden mich erin-
nere/ als die annehmung derſelbigen und feſte zuverſicht auf das verſuͤhn-
opffer unſers Heylandes Jeſu Chriſti iſt: So geſtehe ich gern/ daß davon
nicht ſo nachdruͤcklich gehandelt wird/ wie es dieſer haupt-punct an ſich
ſelbſt erforderte. Jch haͤtte auch billich zu verlangen/ daß deutlicher gehan-
delt wuͤrde/ ob und was der menſch vorhin/ ehe er das wort anhoͤret/ in ſich
habe: und alſo ob das licht/ welches ſich bey den glaͤubigen findet/ ein licht ſeye/
welches ſchon vor dem wort vorher bey ihnen geweſen ſeye/ indem dieſe ma-
teri
e ſehr confus und dunckel hin und her nur beruͤhret wird. So wirds auch
einem nicht wenigen anſtoß geben/ was pag. 72. 82. und etwa anderwertlich
von der ſubſtantz und weſen gemeldet wird. Vielleicht ſind wir in der ſache
einig/ daß ſo wohl das gute als das boͤſe in der ſeelen nicht nur der einbildung
nach/ ſondern warhafftig und ſo fern weſendlich ſich finde/ daß es ein wahres
weſen/ ein eſſentia, ſeye: wie ja auſſer dem prædicamento ſubſtantiæ, alle uͤbri-
ge/ alſo alle habitus, potentiæ u. ſ. f. rechte weſen und eſſentiæ ſind. Wozu
bedarffs aber einen dergleichen terminum, der aus der ſchul genommen iſt/ ſub-
ſtantz?
da doch warhafftig derſelbe nachmahl in ſolcher materie die bedeutung
nicht kan haben/ welche er ſonſten hat/ indeſſen aber viel weſens verurſachen
wird bey denen/ welche auf die wort fleißiger ſehen/ und ſolches zu thun niemahl
beſſer recht haben/ als wo man ihnen einen eingriff in ihre terminos thut/ welche
ſie ſich gleichſam appropriiret haben; welche gefahr nicht iſt/ wo man bey den
worten der ſchrifft und der kirchen bleibet. Es hat die ſeele ihre ſubſtantz aus der
ſchoͤpffung/ da ſie nun entweder aus GOtt wieder gebohren wird/ oder aber in
der bosheit immer weiter verhartet: iſt jenes freylich etwas reals, eine gantz neue
art/ natur/ und alſo einiges weſen/ das aber mehr in einer aͤnderung der ſubſtantz
zu einer andern art beſtehet/ als daß ſolches eine neue ſubſtantz warhafftig
machte. Dergleichen dinge moͤchten ſich nach fleißiger erwegung etwa mehr
finden/ wo ſichs geben wird/ daß ohne einigen abbruch der warheit/ und dero
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[401/0419] ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XV. ſollen/ daß die hauptſtuͤcke deutlicher/ ordentlicher und mit geziehmender un- terſch eidung waren vorgeſtellet worden. Wir wiſſen/ wie ein groſſes daran gelegen/ daß die articul von der rechtfertigung und von der heiligung in ih- rer guten ordnung und unterſcheid gehandelt/ und nicht unter einander moͤ- gen vermiſchet werden. Nun zweiffele ich aus demjenigen/ wie mir ſonſten deſſen ſinn und glaube bekand iſt/ nicht daran/ daß er die ſach richtig faſſe/ und in ſeiner ſeelen erkenne; Jch verſichere aber denſelben/ es wird ſchwer- lich einer aus dieſem mercklein dieſe materie nach genuͤgen lernen/ oder wo er ſie verſtehet/ ſie in demſelben nach nothdurfft befinden: ſo wird meines be- haltens der zurechnung nirgend gedacht/ da er doch ſolche lehre/ weil ſie in verkehrten verſtand gezogen wird/ darum nicht auszulaſſen/ ſondern recht zu erklaͤhren iſt. Weil auch die ſeele des glaubens nicht ſo wohl die begierde der goͤttlichen gnade/ darvon unterſchiedliche mahl gedacht zu werden mich erin- nere/ als die annehmung derſelbigen und feſte zuverſicht auf das verſuͤhn- opffer unſers Heylandes Jeſu Chriſti iſt: So geſtehe ich gern/ daß davon nicht ſo nachdruͤcklich gehandelt wird/ wie es dieſer haupt-punct an ſich ſelbſt erforderte. Jch haͤtte auch billich zu verlangen/ daß deutlicher gehan- delt wuͤrde/ ob und was der menſch vorhin/ ehe er das wort anhoͤret/ in ſich habe: und alſo ob das licht/ welches ſich bey den glaͤubigen findet/ ein licht ſeye/ welches ſchon vor dem wort vorher bey ihnen geweſen ſeye/ indem dieſe ma- terie ſehr confus und dunckel hin und her nur beruͤhret wird. So wirds auch einem nicht wenigen anſtoß geben/ was pag. 72. 82. und etwa anderwertlich von der ſubſtantz und weſen gemeldet wird. Vielleicht ſind wir in der ſache einig/ daß ſo wohl das gute als das boͤſe in der ſeelen nicht nur der einbildung nach/ ſondern warhafftig und ſo fern weſendlich ſich finde/ daß es ein wahres weſen/ ein eſſentia, ſeye: wie ja auſſer dem prædicamento ſubſtantiæ, alle uͤbri- ge/ alſo alle habitus, potentiæ u. ſ. f. rechte weſen und eſſentiæ ſind. Wozu bedarffs aber einen dergleichen terminum, der aus der ſchul genommen iſt/ ſub- ſtantz? da doch warhafftig derſelbe nachmahl in ſolcher materie die bedeutung nicht kan haben/ welche er ſonſten hat/ indeſſen aber viel weſens verurſachen wird bey denen/ welche auf die wort fleißiger ſehen/ und ſolches zu thun niemahl beſſer recht haben/ als wo man ihnen einen eingriff in ihre terminos thut/ welche ſie ſich gleichſam appropriiret haben; welche gefahr nicht iſt/ wo man bey den worten der ſchrifft und der kirchen bleibet. Es hat die ſeele ihre ſubſtantz aus der ſchoͤpffung/ da ſie nun entweder aus GOtt wieder gebohren wird/ oder aber in der bosheit immer weiter verhartet: iſt jenes freylich etwas reals, eine gantz neue art/ natur/ und alſo einiges weſen/ das aber mehr in einer aͤnderung der ſubſtantz zu einer andern art beſtehet/ als daß ſolches eine neue ſubſtantz warhafftig machte. Dergleichen dinge moͤchten ſich nach fleißiger erwegung etwa mehr finden/ wo ſichs geben wird/ daß ohne einigen abbruch der warheit/ und dero kraͤfftigſten vortrags/ zu erkaͤntnuͤß der wahren und heuchel-buß/ die noͤthige Dinge Eee

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/419>, abgerufen am 21.11.2024.