Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII. argwohn Herrn Stengern mit recht nicht graviren; Als welcher sich gantz hellund deutlich der grausamen Calvinischen lehr von dem blossen rathschluß/ darzu solcher satz gehöret/ entgegen gesetzt. Nicht nur da er p. 319. austrücklich setzt/ daß wenig Christen selig werden/ kömt nicht daher/ als ob sie GOTT nicht alle wolle seelig haben: sondern auch da er pag. 314. die jenige verkehrte lehrer schilt/ die da wehnen/ GOttes wort sey nur bey etlichen/ und nur zu weilen kräfftig. Welches er pag. 206. 207. mit ernst treibet/ und solchen einwurff/ da man zu erhaltung des glaubens ohne die predigt des Evangelii meine/ daß es liege an einer sonderbahren heimlichen gnade GOttes/ eine gottlose rede und meinung nennet. Daraus gnugsam erhellet/ daß er nicht rede von dem vorge- henden willen GOttes/ mit welchem freylich er aller menschen heil will/ sondern von dem nachfolgenden/ nach welchem er aus gerechtem gericht allein sich der jeni- gen erbarmet/ und zur seeligkeit würcklich bringet/ welche solche seine barmhertzig- keit nicht von sich stossen/ oder sich derselben unfähig machen. Daher auch an beyden orthen der mittel oder ordnung gedacht wird/ nach welcher solche erbar- mung sich richte. 3. Solte es gleichfalls eine harte und irrige lehre scheinen/ wann pag. 107. würck-
ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII. argwohn Herrn Stengern mit recht nicht graviren; Als welcher ſich gantz hellund deutlich der grauſamen Calviniſchen lehr von dem bloſſen rathſchluß/ darzu ſolcher ſatz gehoͤret/ entgegen geſetzt. Nicht nur da er p. 319. austruͤcklich ſetzt/ daß wenig Chriſten ſelig werden/ koͤmt nicht daher/ als ob ſie GOTT nicht alle wolle ſeelig haben: ſondern auch da er pag. 314. die jenige verkehrte lehrer ſchilt/ die da wehnen/ GOttes wort ſey nur bey etlichen/ und nur zu weilen kraͤfftig. Welches er pag. 206. 207. mit ernſt treibet/ und ſolchen einwurff/ da man zu erhaltung des glaubens ohne die predigt des Evangelii meine/ daß es liege an einer ſonderbahren heimlichen gnade GOttes/ eine gottloſe rede und meinung nennet. Daraus gnugſam erhellet/ daß er nicht rede von dem vorge- henden willen GOttes/ mit welchem freylich er aller menſchen heil will/ ſondern von dem nachfolgenden/ nach welchem er aus gerechtem gericht allein ſich der jeni- gen erbarmet/ und zur ſeeligkeit wuͤrcklich bringet/ welche ſolche ſeine barmhertzig- keit nicht von ſich ſtoſſen/ oder ſich derſelben unfaͤhig machen. Daher auch an beyden orthen der mittel oder ordnung gedacht wird/ nach welcher ſolche erbar- mung ſich richte. 3. Solte es gleichfalls eine harte und irrige lehre ſcheinen/ wann pag. 107. wuͤrck-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0041" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.</hi></fw><lb/> argwohn Herrn Stengern mit recht nicht <hi rendition="#aq">gravi</hi>ren; Als welcher ſich gantz hell<lb/> und deutlich der grauſamen Calviniſchen lehr von dem bloſſen rathſchluß/ darzu<lb/> ſolcher ſatz gehoͤret/ entgegen geſetzt. Nicht nur da er <hi rendition="#aq">p. 319.</hi> austruͤcklich ſetzt/ daß<lb/> wenig Chriſten ſelig werden/ <hi rendition="#fr">koͤmt nicht daher/ als ob ſie GOTT nicht alle<lb/> wolle ſeelig haben:</hi> ſondern auch da er <hi rendition="#aq">pag. 314.</hi> die jenige <hi rendition="#fr">verkehrte lehrer</hi><lb/> ſchilt/ <hi rendition="#fr">die da wehnen/ GOttes wort ſey nur bey etlichen/ und nur zu weilen<lb/> kraͤfftig.</hi> Welches er <hi rendition="#aq">pag. 206. 207.</hi> mit ernſt treibet/ und ſolchen einwurff/ da<lb/> man zu erhaltung des glaubens ohne die predigt des Evangelii meine/ <hi rendition="#fr">daß es liege<lb/> an einer ſonderbahren heimlichen gnade GOttes/ eine gottloſe rede und<lb/> meinung nennet.</hi> Daraus gnugſam erhellet/ daß er nicht rede von dem vorge-<lb/> henden willen GOttes/ mit welchem freylich er aller menſchen heil will/ ſondern<lb/> von dem nachfolgenden/ nach welchem er aus gerechtem gericht allein ſich der jeni-<lb/> gen erbarmet/ und zur ſeeligkeit wuͤrcklich bringet/ welche ſolche ſeine barmhertzig-<lb/> keit nicht von ſich ſtoſſen/ oder ſich derſelben unfaͤhig machen. Daher auch an<lb/> beyden orthen der mittel oder ordnung gedacht wird/ nach welcher ſolche erbar-<lb/> mung ſich richte.</p><lb/> <p>3. Solte es gleichfalls eine harte und irrige lehre ſcheinen/ wann <hi rendition="#aq">pag. 107.</hi><lb/> geſagt wird: <hi rendition="#fr">Kein menſch werde verdamt um der ſunde willen.</hi> Jn dem ja<lb/> GOttes zorn wider die ſuͤnde entbrennet/ und wir allezeit geſtehen muͤſſen/ daß<lb/> wir mit der ſuͤnde zeitliche und ewige ſtraffe wohl verſchulden. <hi rendition="#fr">Pſa. 90/ 8. 9. Das<lb/> macht dein zorn/ daß wir ſo vergehen/ und dein grimm/ daß wir ſo ploͤtz-<lb/> lich dahin muͤſſen. Denn unſere miſſethat ſtelleſtu fuͤr dich: Unſere uner-<lb/> kante ſuͤnde ins liecht vor deinem angeſicht.</hi> So iſt <hi rendition="#fr">der todt</hi> (und alſo alles/ was<lb/> die Schrift unter dem namen des todes zu verſtehen pflegt/ darunter der andere oder<lb/> verdamnuͤß tod freylich auch begriffen/ ja wegen des gegenſatzes des ewigen lebens<lb/> vornemlich hie mit zu faſſen iſt) <hi rendition="#fr">der ſuͤnden ſold. Rom. 6/ 23.</hi> Wo aber die ſache<lb/> und auch art zureden recht angeſehen wird/ werden wir finden/ daß dieſelbe nicht<lb/> wider die Schrifft/ oder unſere uͤbrige rechtglaubige lehre ſtreiten. <hi rendition="#fr">Marc. 16.</hi> wird<lb/> nicht geſagt; Wer da einige andere ſuͤnde/ ſo groß ſie ſey und wolle/ gethan hat/<lb/> ſondern <hi rendition="#fr">wer nicht glaubet/ der wird verdamt. Joh. 16/ 8. 9.</hi> Wird deßwe-<lb/> gen von Chriſto allein der unglaube/ daß die welt nicht an ihn glaube/ die ſuͤnde ge-<lb/> nennet. Sonderlich ſchoͤn aber wirds gezeuget <hi rendition="#fr">Johan. 3/ 36. Wer dem Sohn<lb/> nicht glaͤubet/ der wird das leben nicht ſehen/ ſondern der zorn GOttes<lb/> bleibet uͤber ihm.</hi> Hie wird geredet von dem zorn GOttes/ wel<supplied>ch</supplied> er alle zeitliche<lb/> und ewige ſtraffe nach ſich zeucht/ und von allen ſuͤnden verdienet wird/ ja deßwe-<lb/> gen uͤber allen menſchen iſt/ aber er bleibet nicht uͤber allen/ und bringet alſo nicht<lb/> wuͤrcklich das gericht uͤber alle/ ſondern er bleibet alleine uͤber denen die nicht glau-<lb/> ben: Denn von den jenigen/ welche glauben/ weichet er um ihres glaubens wil-<lb/> len: Alſo daß die jenige urſache/ warum der zorn GOttes endlich den menſchen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wuͤrck-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0041]
ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
argwohn Herrn Stengern mit recht nicht graviren; Als welcher ſich gantz hell
und deutlich der grauſamen Calviniſchen lehr von dem bloſſen rathſchluß/ darzu
ſolcher ſatz gehoͤret/ entgegen geſetzt. Nicht nur da er p. 319. austruͤcklich ſetzt/ daß
wenig Chriſten ſelig werden/ koͤmt nicht daher/ als ob ſie GOTT nicht alle
wolle ſeelig haben: ſondern auch da er pag. 314. die jenige verkehrte lehrer
ſchilt/ die da wehnen/ GOttes wort ſey nur bey etlichen/ und nur zu weilen
kraͤfftig. Welches er pag. 206. 207. mit ernſt treibet/ und ſolchen einwurff/ da
man zu erhaltung des glaubens ohne die predigt des Evangelii meine/ daß es liege
an einer ſonderbahren heimlichen gnade GOttes/ eine gottloſe rede und
meinung nennet. Daraus gnugſam erhellet/ daß er nicht rede von dem vorge-
henden willen GOttes/ mit welchem freylich er aller menſchen heil will/ ſondern
von dem nachfolgenden/ nach welchem er aus gerechtem gericht allein ſich der jeni-
gen erbarmet/ und zur ſeeligkeit wuͤrcklich bringet/ welche ſolche ſeine barmhertzig-
keit nicht von ſich ſtoſſen/ oder ſich derſelben unfaͤhig machen. Daher auch an
beyden orthen der mittel oder ordnung gedacht wird/ nach welcher ſolche erbar-
mung ſich richte.
3. Solte es gleichfalls eine harte und irrige lehre ſcheinen/ wann pag. 107.
geſagt wird: Kein menſch werde verdamt um der ſunde willen. Jn dem ja
GOttes zorn wider die ſuͤnde entbrennet/ und wir allezeit geſtehen muͤſſen/ daß
wir mit der ſuͤnde zeitliche und ewige ſtraffe wohl verſchulden. Pſa. 90/ 8. 9. Das
macht dein zorn/ daß wir ſo vergehen/ und dein grimm/ daß wir ſo ploͤtz-
lich dahin muͤſſen. Denn unſere miſſethat ſtelleſtu fuͤr dich: Unſere uner-
kante ſuͤnde ins liecht vor deinem angeſicht. So iſt der todt (und alſo alles/ was
die Schrift unter dem namen des todes zu verſtehen pflegt/ darunter der andere oder
verdamnuͤß tod freylich auch begriffen/ ja wegen des gegenſatzes des ewigen lebens
vornemlich hie mit zu faſſen iſt) der ſuͤnden ſold. Rom. 6/ 23. Wo aber die ſache
und auch art zureden recht angeſehen wird/ werden wir finden/ daß dieſelbe nicht
wider die Schrifft/ oder unſere uͤbrige rechtglaubige lehre ſtreiten. Marc. 16. wird
nicht geſagt; Wer da einige andere ſuͤnde/ ſo groß ſie ſey und wolle/ gethan hat/
ſondern wer nicht glaubet/ der wird verdamt. Joh. 16/ 8. 9. Wird deßwe-
gen von Chriſto allein der unglaube/ daß die welt nicht an ihn glaube/ die ſuͤnde ge-
nennet. Sonderlich ſchoͤn aber wirds gezeuget Johan. 3/ 36. Wer dem Sohn
nicht glaͤubet/ der wird das leben nicht ſehen/ ſondern der zorn GOttes
bleibet uͤber ihm. Hie wird geredet von dem zorn GOttes/ welch er alle zeitliche
und ewige ſtraffe nach ſich zeucht/ und von allen ſuͤnden verdienet wird/ ja deßwe-
gen uͤber allen menſchen iſt/ aber er bleibet nicht uͤber allen/ und bringet alſo nicht
wuͤrcklich das gericht uͤber alle/ ſondern er bleibet alleine uͤber denen die nicht glau-
ben: Denn von den jenigen/ welche glauben/ weichet er um ihres glaubens wil-
len: Alſo daß die jenige urſache/ warum der zorn GOttes endlich den menſchen
wuͤrck-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/41 |
Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/41>, abgerufen am 22.07.2024. |