Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.Das sechste Capitel. schulen in materia morum so gar schlechter dings bey den Heyden stehn gebliebensind/ und so wenig erwogen haben/ das wir zu Schülern nicht Heyden sondern Christen und solche leute haben/ die über die moral erbarkeit zu weitern tu- genden und höhern gütern auf einem viel andern weg/ als die Heyden denselben haben zeigen können/ geführet werden müssen: Ja daß auch aus dem licht der vernunfft die ethica Aristotelica viele supplementa und correctiones bedörf- te/ wie aus gegenhaltung anderer heydnischen Philosophorum augenscheinlich gezeiget werden kan. Daher ichs vor ein sonderbar straffgericht GOttes ach- te/ daß wegen unserer undanckbarkeit gegen seine warheit und so theures wort/ hingegen allzugrosser liebe zu der vernunfft-lehr/ derselbe zugelassen habe/ daß man (ob schon der theure Lutherus so mächtig darwieder zu seiner zeit geredet und geschrieben) auch in unsern schulen den Heyden Aristotelem fast pro norma veritatis gemacht/ und gleichwie in den theoretischen disciplinen die rechtschaffene erkäntnis der warheit sehr dadurch gehindert/ also aus seiner e- thic einige principia den jungen leuten bald erstl. beygebracht/ welche ihnen in ihrem gantzem leben an der rechtschaffenen Gottseligkeit ein anstoß gewesen seind/ ja die Heydnische ethic etwa nicht wenig darzu geholffen hat/ daß man so viel heydnische Christen bekommen. Jch hoffe aber der HErr werde auch solchem verderben steuren/ und sich der armen jugend erbarmen/ ihnen treue- re handleiter/ als bey den Heyden nicht gefunden werden/ zugeben. Wo zu dann solche Ethica Christiana ein stattliches in seinem segen thun können/ und ich die Göttliche güte auch von grund der seelen anruffe/ daß sie diese arbeit da- hin gnädiglichst segnen wolle. Daß auch die lehr de fide salvifica aus dem lie- ben Luthero sonderlich mit fleiß ausgeführet worden/ ist sehr wohl gethan; ich hoffe aber/ es werden meine monita dabey nach reifflicher erwegung nicht aus der acht gelassen werden. Wir haben in einer solchen sehr wichtigen sache uns sehr zu- befleissen/ daß wir nicht nur allein von der warheit in nichts abweichen/ sondern auch dieselbe so deutlich/ völlig und mit solchen worten und redensarten/ alß viel es müglich ist allezeit vorzutragen suchen/ damit allezeit böser argwohn ver- hütet/ und keinem lästerer anlaß gegeben werde/ mit zimlichem schein die von unß vorstellende warheit zuwiedersprechen und zu cavilliren. Wir werden doch mit allem fleiß und vorsichtigkeit nicht alles genug verhüten können/ aber desto mehr gleichwohl zuverhüten trachten/ was vorsichtig verhütet werden mag. Jch hof- fe mein vielgeliebter HErr werde sich meine freymütigkeit nicht lassen entgegen sein/ sondern eben daraus mein aufrichtiges hertz gegen sich erkennen/ wie ich dann auch dieser ursach wegen etliche dinge in meine observationes ge- bracht/ die eben so grosser wichtigkeit nicht sind/ zu zeigen daß ich es fleißig und mit bedacht zulesen nicht ermangelt habe. Wo nach solcher einrichtung deß wercks nichts ferner anstößlich sich darinnen finde/ eine wenige von mir dazu- thuende vorrede nützlich erachetet werden möchte/ so will ich mich auch sol- cher
Das ſechſte Capitel. ſchulen in materia morum ſo gar ſchlechter dings bey den Heyden ſtehn gebliebenſind/ und ſo wenig erwogen haben/ das wir zu Schuͤlern nicht Heyden ſondern Chriſten und ſolche leute haben/ die uͤber die moral erbarkeit zu weitern tu- genden und hoͤhern guͤtern auf einem viel andern weg/ als die Heyden denſelben haben zeigen koͤnnen/ gefuͤhret werden muͤſſen: Ja daß auch aus dem licht der vernunfft die ethica Ariſtotelica viele ſupplementa und correctiones bedoͤrf- te/ wie aus gegenhaltung anderer heydniſchen Philoſophorum augenſcheinlich gezeiget werden kan. Daher ichs vor ein ſonderbar ſtraffgericht GOttes ach- te/ daß wegen unſerer undanckbarkeit gegen ſeine warheit und ſo theures wort/ hingegen allzugroſſer liebe zu der vernunfft-lehr/ derſelbe zugelaſſen habe/ daß man (ob ſchon der theure Lutherus ſo maͤchtig darwieder zu ſeiner zeit geredet und geſchrieben) auch in unſern ſchulen den Heyden Ariſtotelem faſt pro norma veritatis gemacht/ und gleichwie in den theoretiſchen diſciplinen die rechtſchaffene erkaͤntnis der warheit ſehr dadurch gehindert/ alſo aus ſeiner e- thic einige principia den jungen leuten bald erſtl. beygebracht/ welche ihnen in ihrem gantzem leben an der rechtſchaffenen Gottſeligkeit ein anſtoß geweſen ſeind/ ja die Heydniſche ethic etwa nicht wenig darzu geholffen hat/ daß man ſo viel heydniſche Chriſten bekommen. Jch hoffe aber der HErr werde auch ſolchem verderben ſteuren/ und ſich der armen jugend erbarmen/ ihnen treue- re handleiter/ als bey den Heyden nicht gefunden werden/ zugeben. Wo zu dann ſolche Ethica Chriſtiana ein ſtattliches in ſeinem ſegen thun koͤnnen/ und ich die Goͤttliche guͤte auch von grund der ſeelen anruffe/ daß ſie dieſe arbeit da- hin gnaͤdiglichſt ſegnen wolle. Daß auch die lehr de fide ſalvifica aus dem lie- ben Luthero ſonderlich mit fleiß ausgefuͤhret worden/ iſt ſehr wohl gethan; ich hoffe aber/ es werden meine monita dabey nach reifflicher erwegung nicht aus der acht gelaſſen werden. Wir haben in einer ſolchen ſehr wichtigen ſache uns ſehr zu- befleiſſen/ daß wir nicht nur allein von der warheit in nichts abweichen/ ſondern auch dieſelbe ſo deutlich/ voͤllig und mit ſolchen worten und redensarten/ alß viel es muͤglich iſt allezeit vorzutragen ſuchen/ damit allezeit boͤſer argwohn ver- huͤtet/ und keinem laͤſterer anlaß gegeben werde/ mit zimlichem ſchein die von unß vorſtellende warheit zuwiederſprechen und zu cavilliren. Wir werden doch mit allem fleiß und vorſichtigkeit nicht alles genug verhuͤten koͤnnen/ aber deſto mehr gleichwohl zuverhuͤten trachten/ was vorſichtig verhuͤtet werden mag. Jch hof- fe mein vielgeliebter HErr werde ſich meine freymuͤtigkeit nicht laſſen entgegen ſein/ ſondern eben daraus mein aufrichtiges hertz gegen ſich erkennen/ wie ich dann auch dieſer urſach wegen etliche dinge in meine obſervationes ge- bracht/ die eben ſo groſſer wichtigkeit nicht ſind/ zu zeigen daß ich es fleißig und mit bedacht zuleſen nicht ermangelt habe. Wo nach ſolcher einrichtung deß wercks nichts ferner anſtoͤßlich ſich darinnen finde/ eine wenige von mir dazu- thuende vorrede nuͤtzlich erachetet werden moͤchte/ ſo will ich mich auch ſol- cher
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Das ſechſte Capitel.
ſchulen in materia morum ſo gar ſchlechter dings bey den Heyden ſtehn geblieben
ſind/ und ſo wenig erwogen haben/ das wir zu Schuͤlern nicht Heyden ſondern
Chriſten und ſolche leute haben/ die uͤber die moral erbarkeit zu weitern tu-
genden und hoͤhern guͤtern auf einem viel andern weg/ als die Heyden denſelben
haben zeigen koͤnnen/ gefuͤhret werden muͤſſen: Ja daß auch aus dem licht der
vernunfft die ethica Ariſtotelica viele ſupplementa und correctiones bedoͤrf-
te/ wie aus gegenhaltung anderer heydniſchen Philoſophorum augenſcheinlich
gezeiget werden kan. Daher ichs vor ein ſonderbar ſtraffgericht GOttes ach-
te/ daß wegen unſerer undanckbarkeit gegen ſeine warheit und ſo theures wort/
hingegen allzugroſſer liebe zu der vernunfft-lehr/ derſelbe zugelaſſen habe/ daß
man (ob ſchon der theure Lutherus ſo maͤchtig darwieder zu ſeiner zeit geredet
und geſchrieben) auch in unſern ſchulen den Heyden Ariſtotelem faſt pro
norma veritatis gemacht/ und gleichwie in den theoretiſchen diſciplinen die
rechtſchaffene erkaͤntnis der warheit ſehr dadurch gehindert/ alſo aus ſeiner e-
thic einige principia den jungen leuten bald erſtl. beygebracht/ welche ihnen in
ihrem gantzem leben an der rechtſchaffenen Gottſeligkeit ein anſtoß geweſen
ſeind/ ja die Heydniſche ethic etwa nicht wenig darzu geholffen hat/ daß man
ſo viel heydniſche Chriſten bekommen. Jch hoffe aber der HErr werde auch
ſolchem verderben ſteuren/ und ſich der armen jugend erbarmen/ ihnen treue-
re handleiter/ als bey den Heyden nicht gefunden werden/ zugeben. Wo zu
dann ſolche Ethica Chriſtiana ein ſtattliches in ſeinem ſegen thun koͤnnen/ und
ich die Goͤttliche guͤte auch von grund der ſeelen anruffe/ daß ſie dieſe arbeit da-
hin gnaͤdiglichſt ſegnen wolle. Daß auch die lehr de fide ſalvifica aus dem lie-
ben Luthero ſonderlich mit fleiß ausgefuͤhret worden/ iſt ſehr wohl gethan; ich
hoffe aber/ es werden meine monita dabey nach reifflicher erwegung nicht aus der
acht gelaſſen werden. Wir haben in einer ſolchen ſehr wichtigen ſache uns ſehr zu-
befleiſſen/ daß wir nicht nur allein von der warheit in nichts abweichen/ ſondern
auch dieſelbe ſo deutlich/ voͤllig und mit ſolchen worten und redensarten/ alß
viel es muͤglich iſt allezeit vorzutragen ſuchen/ damit allezeit boͤſer argwohn ver-
huͤtet/ und keinem laͤſterer anlaß gegeben werde/ mit zimlichem ſchein die von unß
vorſtellende warheit zuwiederſprechen und zu cavilliren. Wir werden doch mit
allem fleiß und vorſichtigkeit nicht alles genug verhuͤten koͤnnen/ aber deſto mehr
gleichwohl zuverhuͤten trachten/ was vorſichtig verhuͤtet werden mag. Jch hof-
fe mein vielgeliebter HErr werde ſich meine freymuͤtigkeit nicht laſſen entgegen
ſein/ ſondern eben daraus mein aufrichtiges hertz gegen ſich erkennen/ wie
ich dann auch dieſer urſach wegen etliche dinge in meine obſervationes ge-
bracht/ die eben ſo groſſer wichtigkeit nicht ſind/ zu zeigen daß ich es fleißig und
mit bedacht zuleſen nicht ermangelt habe. Wo nach ſolcher einrichtung deß
wercks nichts ferner anſtoͤßlich ſich darinnen finde/ eine wenige von mir dazu-
thuende vorrede nuͤtzlich erachetet werden moͤchte/ ſo will ich mich auch ſol-
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/348>, abgerufen am 22.07.2024. |