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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
wir von dem glauben und dessen seligmachender krafft reden/ also balden darzu se-
tzen/ dergleichen dinge/ welche ihn also von der fleischlichen sicherheit absondern/ daß
kein muthwilliger boßhafftiger mensch sich von seiner sichern einbildung möge die
gedancken machen können/ gleich ob wäre solche der wahre seligmachende glaube/
sondern klahr sehen müsse/ es seye nichts weniger/ als der glaube: Wo wir aber sol-
chen unterscheid den leuten nicht wollen vor augen stellen/ so dörffen wir nicht bloß
bey dem vertrauen und special application stehen bleiben: Wir können auch a
priori
die kennzeichen nicht geben: dann ob wohl der rechtgläubige/ ausser des
standes der anfechtung/ selbs aus derinnern versiglung des heiligen geistes die un-
fehlbahre versicherung seines glaubens hat/ daß er an dessen wahrheit nicht zweiff-
len mag/ so wenig als der jenige/ welcher mit offne augen die sonne siehet/ zweiffelt/ ob
es ein rechtes sehen oder nur traumen seye/ so ist doch nicht nur allein solches fühlen
nicht allezeit bey dem wahren glauben/ vielmehr komt es offters auch bey den recht-
gläubigen in dem stande der anfechtung dahin/ daß dieses liecht scheint eine eclipsin
zu leiden/ u. wo der mensch auff das fühlen gehen wolte/ er sich vielmehr vor ungläu-
big als gläubig achten müsste/ sondern wir werden nicht gnugsam wehren können/
daß nicht sichere leute ihnen von ihren einbildungen eben solche conceptus machen/
und der fürst des unglaubens ihnen ein falsch gespenst vorstelle/ daß sie sich überre-
den/ ihr vertrauen seye das rechte wahre von dem heiligen Geist gewürckte ver-
trauen/ welches sie bey sich fühlen/ und damit des standes ihrer seligkeit vergewis-
sert wären. Daher müssen wir nothwendig auch auff die früchte sehen/ und also
die notas a posteriori nehmen/ ob nehmlich das hertz von sünden gereiniget werde/
anfange GOTT imbrünstig und über alles zu lieben/ seinen willen nun und nim-
mermehr mit vorsatz entgegen zu handlen/ den öffentlichen vorsatz habe/ und die welt
überwinde. Damit also der mensch/ wo er sich in göttlicher gnade zustehen versichern
will/ zuvor wohl acht bey sich gebe/ ob auch das machende vertrauen ein göttlicher
glaube oder ein betrug des teuffels seye. Daher vermahnet Paulus so fleißig 2. Cor.
13. Versuchet euch selbs/ ob ihr in dem glauben seyd/ prüffet euch selbs.
Und
ist ja in dem so wichtigsten u. auff sich habenden werck wohl werth/ nicht ohne prüf-
fung blind hinein glauben/ sondern sich wohl vorsehen wie und auff was grund ich
glaube. Also wo der mensch nach der tauff in schwehre sünde gefallen ist/ und damit
seiner seits die tauff-gnade verlohren hat/ so bleibet zwar freylich dieses gewiß/ und
muß ers ohne zweiffel glauben/ daß von GOttes seiten der bund fest stehe/ dann da
ist nichts/ das ihn hindere. Wo aber die frage ist/ ob er auch von seiner seite wie-
derum in den bund getreten und stehe/ und also sothaner gnade würcklich theilhaff-
tig seye/ wolte ich ihn nimmermehr blos dahin weisen/ er solte nur glauben/ daß ihm
alle seine sünden in der tauff vergeben und krafft derselben auch jetzt vergeben wor-
den seyen/ ohne fernere untersuchung seines hertzens/ als der ich weiß/ wie sich die
leute so gefährlich dessen mißbrauchen/ und wo unser Heyland hat befohlen zu predi-

ge-

Das ſechſte Capitel.
wir von dem glauben und deſſen ſeligmachender krafft reden/ alſo balden darzu ſe-
tzen/ dergleichen dinge/ welche ihn alſo von der fleiſchlichen ſicherheit abſondern/ daß
kein muthwilliger boßhafftiger menſch ſich von ſeiner ſichern einbildung moͤge die
gedancken machen koͤnnen/ gleich ob waͤre ſolche der wahre ſeligmachende glaube/
ſondern klahr ſehen muͤſſe/ es ſeye nichts weniger/ als der glaube: Wo wir aber ſol-
chen unterſcheid den leuten nicht wollen vor augen ſtellen/ ſo doͤrffen wir nicht bloß
bey dem vertrauen und ſpecial application ſtehen bleiben: Wir koͤnnen auch à
priori
die kennzeichen nicht geben: dann ob wohl der rechtglaͤubige/ auſſer des
ſtandes der anfechtung/ ſelbs aus derinnern verſiglung des heiligen geiſtes die un-
fehlbahre verſicherung ſeines glaubens hat/ daß er an deſſen wahrheit nicht zweiff-
len mag/ ſo wenig als der jenige/ welcher mit offne augen die ſonne ſiehet/ zweiffelt/ ob
es ein rechtes ſehen oder nur traumen ſeye/ ſo iſt doch nicht nur allein ſolches fuͤhlen
nicht allezeit bey dem wahren glauben/ vielmehr komt es offters auch bey den recht-
glaͤubigen in dem ſtande der anfechtung dahin/ daß dieſes liecht ſcheint eine eclipſin
zu leiden/ u. wo der menſch auff das fuͤhlen gehen wolte/ er ſich vielmehr vor unglaͤu-
big als glaͤubig achten muͤſſte/ ſondern wir werden nicht gnugſam wehren koͤnnen/
daß nicht ſichere leute ihnen von ihren einbildungen eben ſolche conceptus machen/
und der fuͤrſt des unglaubens ihnen ein falſch geſpenſt vorſtelle/ daß ſie ſich uͤberre-
den/ ihr vertrauen ſeye das rechte wahre von dem heiligen Geiſt gewuͤrckte ver-
trauen/ welches ſie bey ſich fuͤhlen/ und damit des ſtandes ihrer ſeligkeit vergewiſ-
ſert waͤren. Daher muͤſſen wir nothwendig auch auff die fruͤchte ſehen/ und alſo
die notas à poſteriori nehmen/ ob nehmlich das hertz von ſuͤnden gereiniget werde/
anfange GOTT imbruͤnſtig und uͤber alles zu lieben/ ſeinen willen nun und nim-
mermehr mit vorſatz entgegen zu handlen/ den oͤffentlichen vorſatz habe/ und die welt
uͤberwinde. Damit alſo der menſch/ wo er ſich in goͤttlicher gnade zuſtehen veꝛſichern
will/ zuvor wohl acht bey ſich gebe/ ob auch das machende vertrauen ein goͤttlicher
glaube oder ein betrug des teuffels ſeye. Daher vermahnet Paulus ſo fleißig 2. Cor.
13. Verſuchet euch ſelbs/ ob ihr in dem glauben ſeyd/ pruͤffet euch ſelbs.
Und
iſt ja in dem ſo wichtigſten u. auff ſich habenden werck wohl werth/ nicht ohne pruͤf-
fung blind hinein glauben/ ſondern ſich wohl vorſehen wie und auff was grund ich
glaube. Alſo wo der menſch nach der tauff in ſchwehre ſuͤnde gefallen iſt/ und damit
ſeiner ſeits die tauff-gnade verlohren hat/ ſo bleibet zwar freylich dieſes gewiß/ und
muß ers ohne zweiffel glauben/ daß von GOttes ſeiten der bund feſt ſtehe/ dann da
iſt nichts/ das ihn hindere. Wo aber die frage iſt/ ob er auch von ſeiner ſeite wie-
derum in den bund getreten und ſtehe/ und alſo ſothaner gnade wuͤrcklich theilhaff-
tig ſeye/ wolte ich ihn nimmermehr blos dahin weiſen/ er ſolte nur glauben/ daß ihm
alle ſeine ſuͤnden in der tauff vergeben und krafft derſelben auch jetzt vergeben wor-
den ſeyen/ ohne fernere unterſuchung ſeines hertzens/ als der ich weiß/ wie ſich die
leute ſo gefaͤhrlich deſſen mißbrauchẽ/ und wo unſer Heyland hat befohlen zu predi-

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[136/0154] Das ſechſte Capitel. wir von dem glauben und deſſen ſeligmachender krafft reden/ alſo balden darzu ſe- tzen/ dergleichen dinge/ welche ihn alſo von der fleiſchlichen ſicherheit abſondern/ daß kein muthwilliger boßhafftiger menſch ſich von ſeiner ſichern einbildung moͤge die gedancken machen koͤnnen/ gleich ob waͤre ſolche der wahre ſeligmachende glaube/ ſondern klahr ſehen muͤſſe/ es ſeye nichts weniger/ als der glaube: Wo wir aber ſol- chen unterſcheid den leuten nicht wollen vor augen ſtellen/ ſo doͤrffen wir nicht bloß bey dem vertrauen und ſpecial application ſtehen bleiben: Wir koͤnnen auch à priori die kennzeichen nicht geben: dann ob wohl der rechtglaͤubige/ auſſer des ſtandes der anfechtung/ ſelbs aus derinnern verſiglung des heiligen geiſtes die un- fehlbahre verſicherung ſeines glaubens hat/ daß er an deſſen wahrheit nicht zweiff- len mag/ ſo wenig als der jenige/ welcher mit offne augen die ſonne ſiehet/ zweiffelt/ ob es ein rechtes ſehen oder nur traumen ſeye/ ſo iſt doch nicht nur allein ſolches fuͤhlen nicht allezeit bey dem wahren glauben/ vielmehr komt es offters auch bey den recht- glaͤubigen in dem ſtande der anfechtung dahin/ daß dieſes liecht ſcheint eine eclipſin zu leiden/ u. wo der menſch auff das fuͤhlen gehen wolte/ er ſich vielmehr vor unglaͤu- big als glaͤubig achten muͤſſte/ ſondern wir werden nicht gnugſam wehren koͤnnen/ daß nicht ſichere leute ihnen von ihren einbildungen eben ſolche conceptus machen/ und der fuͤrſt des unglaubens ihnen ein falſch geſpenſt vorſtelle/ daß ſie ſich uͤberre- den/ ihr vertrauen ſeye das rechte wahre von dem heiligen Geiſt gewuͤrckte ver- trauen/ welches ſie bey ſich fuͤhlen/ und damit des ſtandes ihrer ſeligkeit vergewiſ- ſert waͤren. Daher muͤſſen wir nothwendig auch auff die fruͤchte ſehen/ und alſo die notas à poſteriori nehmen/ ob nehmlich das hertz von ſuͤnden gereiniget werde/ anfange GOTT imbruͤnſtig und uͤber alles zu lieben/ ſeinen willen nun und nim- mermehr mit vorſatz entgegen zu handlen/ den oͤffentlichen vorſatz habe/ und die welt uͤberwinde. Damit alſo der menſch/ wo er ſich in goͤttlicher gnade zuſtehen veꝛſichern will/ zuvor wohl acht bey ſich gebe/ ob auch das machende vertrauen ein goͤttlicher glaube oder ein betrug des teuffels ſeye. Daher vermahnet Paulus ſo fleißig 2. Cor. 13. Verſuchet euch ſelbs/ ob ihr in dem glauben ſeyd/ pruͤffet euch ſelbs. Und iſt ja in dem ſo wichtigſten u. auff ſich habenden werck wohl werth/ nicht ohne pruͤf- fung blind hinein glauben/ ſondern ſich wohl vorſehen wie und auff was grund ich glaube. Alſo wo der menſch nach der tauff in ſchwehre ſuͤnde gefallen iſt/ und damit ſeiner ſeits die tauff-gnade verlohren hat/ ſo bleibet zwar freylich dieſes gewiß/ und muß ers ohne zweiffel glauben/ daß von GOttes ſeiten der bund feſt ſtehe/ dann da iſt nichts/ das ihn hindere. Wo aber die frage iſt/ ob er auch von ſeiner ſeite wie- derum in den bund getreten und ſtehe/ und alſo ſothaner gnade wuͤrcklich theilhaff- tig ſeye/ wolte ich ihn nimmermehr blos dahin weiſen/ er ſolte nur glauben/ daß ihm alle ſeine ſuͤnden in der tauff vergeben und krafft derſelben auch jetzt vergeben wor- den ſeyen/ ohne fernere unterſuchung ſeines hertzens/ als der ich weiß/ wie ſich die leute ſo gefaͤhrlich deſſen mißbrauchẽ/ und wo unſer Heyland hat befohlen zu predi- ge-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/154>, abgerufen am 23.11.2024.