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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DIST. I. SECT. XX.
müsse. Hingegen eiffere ich gegen das gottlose leben vornehmlich aus dem grunde/
weil solches klahr zu erkennen gebe/ daß kein glaube bey solchen leuten seye/ und also
die liebe schätze des Evangelii wiederum von ihn entfernet seyen; auch sie sich/ wo sie
in solchem unglauben bleiben/ ihrer nicht zu getrösten/ sondern wegen deroselben vor-
trefflichkeit nur ein so viel schrecklichers gericht zu erwarten haben. Also zeige ich
gern den zuhörern/ den schönen garten GOttes/ und die treffliche früchten darinnen/
zeige aber daß nur eine thür in denselbigen seye/ und verzäune auff der andern seiten
denselben/ daß nicht die schweine ungehindert hinnein lauffen/ und denselben um-
wühlen mögen. Und so mag alsdann solche lehr des Evangelii recht ihren nutzen
haben/ dazu sie geordnet ist/ und hören die verächter göttlicher gnade allemahl/ daß
sie dieselbe nicht eher angehe/ biß sie mit wahrem glauben zu dem besitz und genüß
ihrer güter wiederum gelangen: damit sie nach solchem auch eiffrig trachten möch-
ten. Dieses ist durch GOttes gnade die jenige lehr art/ dero ich mich befleisse/ und
von oben herab/ was vor frucht darauff folgen möge/ zu erwarten habe. Dann
was Euer Wohl-Ehrw. klaget/ mag ich auch wohl klagen/ daß der frucht so viel
noch nicht finde/ als ich wünschen möchte. Doch ist das werck des HErrn auch
nicht gantz vergebens. Es scheinet aber/ Eure Wohl-Ehrw. mögen einen bessern
concept von dem würcklichen zustand unserer Franckfurtischen kirchen gefasset ha-
ben/ als er sich in der that befindet. Jndem ob wohl durch den kräfftigen segen des
Allerhöchsten ein guter anfang gemacht ist/ doch die saat allererst in einiger blüt ste-
het/ zur hoffnung einer ernde/ die noch etwas ferner scheinet. Was die besondere
versamlung allhier anlangt/ hat es diese bewandnüß/ daß zweymahl in der wochen/
in meinem hauß einige deren zuhörer/ die sich mehr und mehr zu erbauen befliessen
sind/ zusammen kommen; da wir nebens wiederhohlung meiner Sontags pre-
digt/ in der ordnung des neuen Testaments nacheinander fortlesen/ bey jedem ver-
sicul
/ wo etwas zur erbauung dienliches/ dergleichen bemercken; wie denn jeden zu-
hörer erlaubt ist/ was seine gedancken davon seyn möchten/ vorzutragen/ bericht zu
begehren/ oder wie er es zur erbauung nützlich achtete/ einfältig zu erinnern. Von
hohen sachen wird nichts tractiret/ sondern wir bleiben bey der einfalt/ weil auch die
zuhörer selbs der subtilitäten nicht fähig geschweige daß ich immer sorge/ das creutz
Christi werde zu nicht/ und unser glaube bestehe auff menschen weißheit/ und nicht
auff GOttes krafft/ wo wir uns der vernünfftigen reden menschlicher weißheit
befleissen. Der profectus in solcher übung mag etwa so groß noch nicht seyn/ je-
doch lebe der guten zuversicht/ GOtt werde es nicht gar ungesegnet lassen; weil
wir in allen solchen ihn allein suchen/ und trachten/ daß sein wort möge reichlich un-
ter uns wohnen in aller
(nicht menschlicher/ sondern göttlicher) weißheit. Jch
trachte auch mehr u. mehr/ das wir nun die heilige Bibel mehr unter die leute brin-
gen mögen/ welche allen menschlichen büchern so weit vorgehet als der himmel über
der erde ist. Wir haben vor einiger zeit einen anfang gemacht/ die etwas erwach-

sende

ARTIC. I. DIST. I. SECT. XX.
muͤſſe. Hingegen eiffere ich gegen das gottloſe leben vornehmlich aus dem grunde/
weil ſolches klahr zu erkennen gebe/ daß kein glaube bey ſolchen leuten ſeye/ und alſo
die liebe ſchaͤtze des Evangelii wiederum von ihn entfernet ſeyen; auch ſie ſich/ wo ſie
in ſolchem unglauben bleiben/ ihrer nicht zu getroͤſten/ ſondern wegen deroſelben vor-
trefflichkeit nur ein ſo viel ſchrecklichers gericht zu erwarten haben. Alſo zeige ich
gern den zuhoͤrern/ den ſchoͤnen garten GOttes/ und die treffliche fruͤchten dariñen/
zeige aber daß nur eine thuͤr in denſelbigen ſeye/ und verzaͤune auff der andern ſeiten
denſelben/ daß nicht die ſchweine ungehindert hinnein lauffen/ und denſelben um-
wuͤhlen moͤgen. Und ſo mag alsdann ſolche lehr des Evangelii recht ihren nutzen
haben/ dazu ſie geordnet iſt/ und hoͤren die veraͤchter goͤttlicher gnade allemahl/ daß
ſie dieſelbe nicht eher angehe/ biß ſie mit wahrem glauben zu dem beſitz und genuͤß
ihrer guͤter wiederum gelangen: damit ſie nach ſolchem auch eiffrig trachten moͤch-
ten. Dieſes iſt durch GOttes gnade die jenige lehr art/ dero ich mich befleiſſe/ und
von oben herab/ was vor frucht darauff folgen moͤge/ zu erwarten habe. Dann
was Euer Wohl-Ehrw. klaget/ mag ich auch wohl klagen/ daß der frucht ſo viel
noch nicht finde/ als ich wuͤnſchen moͤchte. Doch iſt das werck des HErrn auch
nicht gantz vergebens. Es ſcheinet aber/ Eure Wohl-Ehrw. moͤgen einen beſſern
concept von dem wuͤrcklichen zuſtand unſerer Franckfurtiſchen kirchen gefaſſet ha-
ben/ als er ſich in der that befindet. Jndem ob wohl durch den kraͤfftigen ſegen des
Allerhoͤchſten ein guter anfang gemacht iſt/ doch die ſaat allererſt in einiger bluͤt ſte-
het/ zur hoffnung einer ernde/ die noch etwas ferner ſcheinet. Was die beſondere
verſamlung allhier anlangt/ hat es dieſe bewandnuͤß/ daß zweymahl in der wochen/
in meinem hauß einige deren zuhoͤrer/ die ſich mehr und mehr zu erbauen beflieſſen
ſind/ zuſammen kommen; da wir nebens wiederhohlung meiner Sontags pre-
digt/ in der ordnung des neuen Teſtaments nacheinander fortleſen/ bey jedem ver-
ſicul
/ wo etwas zur erbauung dienliches/ dergleichen bemercken; wie denn jeden zu-
hoͤrer erlaubt iſt/ was ſeine gedancken davon ſeyn moͤchten/ vorzutragen/ bericht zu
begehren/ oder wie er es zur erbauung nuͤtzlich achtete/ einfaͤltig zu erinnern. Von
hohen ſachen wird nichts tractiret/ ſondern wir bleiben bey der einfalt/ weil auch die
zuhoͤrer ſelbs der ſubtilitaͤten nicht faͤhig geſchweige daß ich immer ſorge/ das creutz
Chriſti werde zu nicht/ und unſer glaube beſtehe auff menſchen weißheit/ und nicht
auff GOttes krafft/ wo wir uns der vernuͤnfftigen reden menſchlicher weißheit
befleiſſen. Der profectus in ſolcher uͤbung mag etwa ſo groß noch nicht ſeyn/ je-
doch lebe der guten zuverſicht/ GOtt werde es nicht gar ungeſegnet laſſen; weil
wir in allen ſolchen ihn allein ſuchen/ und trachten/ daß ſein wort moͤge reichlich un-
ter uns wohnen in aller
(nicht menſchlicher/ ſondern goͤttlicher) weißheit. Jch
trachte auch mehr u. mehr/ das wir nun die heilige Bibel mehr unter die leute brin-
gen moͤgen/ welche allen menſchlichen buͤchern ſo weit vorgehet als der himmel uͤber
der erde iſt. Wir haben vor einiger zeit einen anfang gemacht/ die etwas erwach-

ſende
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[103/0121] ARTIC. I. DIST. I. SECT. XX. muͤſſe. Hingegen eiffere ich gegen das gottloſe leben vornehmlich aus dem grunde/ weil ſolches klahr zu erkennen gebe/ daß kein glaube bey ſolchen leuten ſeye/ und alſo die liebe ſchaͤtze des Evangelii wiederum von ihn entfernet ſeyen; auch ſie ſich/ wo ſie in ſolchem unglauben bleiben/ ihrer nicht zu getroͤſten/ ſondern wegen deroſelben vor- trefflichkeit nur ein ſo viel ſchrecklichers gericht zu erwarten haben. Alſo zeige ich gern den zuhoͤrern/ den ſchoͤnen garten GOttes/ und die treffliche fruͤchten dariñen/ zeige aber daß nur eine thuͤr in denſelbigen ſeye/ und verzaͤune auff der andern ſeiten denſelben/ daß nicht die ſchweine ungehindert hinnein lauffen/ und denſelben um- wuͤhlen moͤgen. Und ſo mag alsdann ſolche lehr des Evangelii recht ihren nutzen haben/ dazu ſie geordnet iſt/ und hoͤren die veraͤchter goͤttlicher gnade allemahl/ daß ſie dieſelbe nicht eher angehe/ biß ſie mit wahrem glauben zu dem beſitz und genuͤß ihrer guͤter wiederum gelangen: damit ſie nach ſolchem auch eiffrig trachten moͤch- ten. Dieſes iſt durch GOttes gnade die jenige lehr art/ dero ich mich befleiſſe/ und von oben herab/ was vor frucht darauff folgen moͤge/ zu erwarten habe. Dann was Euer Wohl-Ehrw. klaget/ mag ich auch wohl klagen/ daß der frucht ſo viel noch nicht finde/ als ich wuͤnſchen moͤchte. Doch iſt das werck des HErrn auch nicht gantz vergebens. Es ſcheinet aber/ Eure Wohl-Ehrw. moͤgen einen beſſern concept von dem wuͤrcklichen zuſtand unſerer Franckfurtiſchen kirchen gefaſſet ha- ben/ als er ſich in der that befindet. Jndem ob wohl durch den kraͤfftigen ſegen des Allerhoͤchſten ein guter anfang gemacht iſt/ doch die ſaat allererſt in einiger bluͤt ſte- het/ zur hoffnung einer ernde/ die noch etwas ferner ſcheinet. Was die beſondere verſamlung allhier anlangt/ hat es dieſe bewandnuͤß/ daß zweymahl in der wochen/ in meinem hauß einige deren zuhoͤrer/ die ſich mehr und mehr zu erbauen beflieſſen ſind/ zuſammen kommen; da wir nebens wiederhohlung meiner Sontags pre- digt/ in der ordnung des neuen Teſtaments nacheinander fortleſen/ bey jedem ver- ſicul/ wo etwas zur erbauung dienliches/ dergleichen bemercken; wie denn jeden zu- hoͤrer erlaubt iſt/ was ſeine gedancken davon ſeyn moͤchten/ vorzutragen/ bericht zu begehren/ oder wie er es zur erbauung nuͤtzlich achtete/ einfaͤltig zu erinnern. Von hohen ſachen wird nichts tractiret/ ſondern wir bleiben bey der einfalt/ weil auch die zuhoͤrer ſelbs der ſubtilitaͤten nicht faͤhig geſchweige daß ich immer ſorge/ das creutz Chriſti werde zu nicht/ und unſer glaube beſtehe auff menſchen weißheit/ und nicht auff GOttes krafft/ wo wir uns der vernuͤnfftigen reden menſchlicher weißheit befleiſſen. Der profectus in ſolcher uͤbung mag etwa ſo groß noch nicht ſeyn/ je- doch lebe der guten zuverſicht/ GOtt werde es nicht gar ungeſegnet laſſen; weil wir in allen ſolchen ihn allein ſuchen/ und trachten/ daß ſein wort moͤge reichlich un- ter uns wohnen in aller (nicht menſchlicher/ ſondern goͤttlicher) weißheit. Jch trachte auch mehr u. mehr/ das wir nun die heilige Bibel mehr unter die leute brin- gen moͤgen/ welche allen menſchlichen buͤchern ſo weit vorgehet als der himmel uͤber der erde iſt. Wir haben vor einiger zeit einen anfang gemacht/ die etwas erwach- ſende

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/121>, abgerufen am 22.11.2024.