Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XX. die rechte krafft des Evangelii nicht in der würde bey uns Evangelischen gehaltenwerde/ wie es billich wäre. Jedoch mögen auch andere gute gemüther/ denen Crameri werther nahme eben unbekant/ aus der Schrifft selbsten/ und darinnen vornehmlich den theuren Paulo und Johanne/ so dann unsern vortreffuchen Luthe- ro und Arndio, oder auch dem lieben Statio, welcher aus Steph. Praetorio mit mit gutem bedacht das beste/ abgesondert einiger in jenes schrifften be- findlichen schlacken/ zu sammen gesammlet/ eben das jenige gefaßt/ und ins hertz ge- trucket haben/ was dieser treuer lehrer so eyffrig und auff eine solche deutliche art/ uns vorlegt/ es bleibet freylich an dem; Das Evangelium muß es seyn/ wel- ches Christo kinder zeuget: Dieses wort der gnaden ist die selige morgenröthe/ schwanger von vortrefflichen thau. Und mag dem gesetz solche krafft nicht zuge- schrieben werden/ als welches nicht lebendig machet Gal. 3. sondern tödtet: Da- her Ew. Wol Ehrw. Christlich und wol thun/ daß sie nach dem methodo solcher göttlichen und Evangelischen lehr ihr amt und predigten einrichten/ wo zu GOtt auch von oben herab sein kräfftiges gedeyen zu vieler frucht geben/ ihr aber die freu- de gönnen wolle/ solche anzusehen/ und ihme darvor hertzlich zu dancken. Er lasse auch mehrere an allen orten erkennen des HERRN klarheit mit auffgedecktem angesicht/ um verklähret zu werden in dasselbe bilde von einer klarheit zu der andern/ als von dem Geist des HErrn 2. Cor. 3. Damit alle welt sei- ner himmlischen erkäntnüß voll werde. Jch zweiffele auch nicht/ Ew. Wol Ehr. werden selbs ihres orts nach der empfangenen gnade GOttes in ihrem amt dahin getrachtet haben/ daß gleich wie den leuten die unaußsprechliche himmlische schä- tze des Evangelii und der geschenckten seligkeit gewiesen/ und vorgelegt/ also nach- mal auch die wahre art des lebendigen glaubens/ der sie allein fassen kan/ der heili- gen Schrifft gemäß/ nachtrücklich vor augen gestellet werde/ damit nicht die an sich selos so edle und theure lehr von solcher seligkeit von verkehrten gemüthern zur sicherheit schändlich mißbraucht/ oder dero boßheit kräfftig zu begegnen unter lassen werde. Wie wir sehen/ wie fleißig der hocherleuchtete Apostel Paulus sich be- mühet/ sich zuverwahren/ das seine heylsame lehre von der gnade von sichern her- tzen nicht auff muthwillen gezogen werde. Als sonderlich Rom. 6. zusehen ist: und werde ich dieser beyden fehler hin und wieder gewahr; auff der einen seite/ daß die gross[e] vortrefflichkeit der gnaden schätze von CHRJSTO erworben und in wo[r]t und Sacramenten angetragen/ bereits auch wircklich in dem Sacrament der heiligen tauff geschencket/ von so wenigen erkant/ auch wo wirs recht bekennen sollen/ nicht aller orten gnugsam den leuten erklähret werden; auff der andern sei- ten/ daß wo nicht ihren falschen einbildungen behutsam begegnet wird/ solche theure gnaden lehr von sichern gemüthen dahin gezogen wird/ daß sie meinen/ ihre einbil- dung/ die doch nichts von dem wahren glauben hat/ bringe ihnen solche theure gü- ter/ und mache sie ihnen zu eigen. Aus dem ersten mangel entstehet/ daß die leute kei- N 3
ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XX. die rechte krafft des Evangelii nicht in der wuͤrde bey uns Evangeliſchen gehaltenwerde/ wie es billich waͤre. Jedoch moͤgen auch andere gute gemuͤther/ denen Crameri werther nahme eben unbekant/ aus der Schrifft ſelbſten/ und darinnen vornehmlich den theuren Paulo und Johanne/ ſo dañ unſern vortreffuchen Luthe- ro und Arndio, oder auch dem lieben Statio, welcher aus Steph. Prætorio mit mit gutem bedacht das beſte/ abgeſondert einiger in jenes ſchrifften be- findlichen ſchlacken/ zu ſammen geſammlet/ eben das jenige gefaßt/ und ins hertz ge- trucket haben/ was dieſer treuer lehrer ſo eyffrig und auff eine ſolche deutliche art/ uns vorlegt/ es bleibet freylich an dem; Das Evangelium muß es ſeyn/ wel- ches Chriſto kinder zeuget: Dieſes wort der gnaden iſt die ſelige morgenroͤthe/ ſchwanger von vortrefflichen thau. Und mag dem geſetz ſolche krafft nicht zuge- ſchrieben werden/ als welches nicht lebendig machet Gal. 3. ſondern toͤdtet: Da- her Ew. Wol Ehrw. Chriſtlich und wol thun/ daß ſie nach dem methodo ſolcher goͤttlichen und Evangeliſchen lehr ihr amt und predigten einrichten/ wo zu GOtt auch von oben herab ſein kraͤfftiges gedeyen zu vieler frucht geben/ ihr aber die freu- de goͤnnen wolle/ ſolche anzuſehen/ uñ ihme darvor hertzlich zu dancken. Er laſſe auch mehrere an allen orten erkennen des HERRN klarheit mit auffgedecktem angeſicht/ um verklaͤhret zu werden in daſſelbe bilde von einer klarheit zu der andern/ als von dem Geiſt des HErrn 2. Cor. 3. Damit alle welt ſei- ner himmliſchen erkaͤntnuͤß voll werde. Jch zweiffele auch nicht/ Ew. Wol Ehr. werden ſelbs ihres orts nach der empfangenen gnade GOttes in ihrem amt dahin getrachtet haben/ daß gleich wie den leuten die unaußſprechliche himmliſche ſchaͤ- tze des Evangelii und der geſchenckten ſeligkeit gewieſen/ und vorgelegt/ alſo nach- mal auch die wahre art des lebendigen glaubens/ der ſie allein faſſen kan/ der heili- gen Schrifft gemaͤß/ nachtruͤcklich vor augen geſtellet werde/ damit nicht die an ſich ſelos ſo edle und theure lehr von ſolcher ſeligkeit von verkehrten gemuͤthern zur ſicherheit ſchaͤndlich mißbraucht/ oder dero boßheit kraͤfftig zu begegnen unter laſſen werde. Wie wir ſehen/ wie fleißig der hocherleuchtete Apoſtel Paulus ſich be- muͤhet/ ſich zuverwahren/ das ſeine heylſame lehre von der gnade von ſichern her- tzen nicht auff muthwillen gezogen werde. Als ſonderlich Rom. 6. zuſehen iſt: und werde ich dieſer beyden fehler hin und wieder gewahr; auff der einen ſeite/ daß die groſſ[e] vortrefflichkeit der gnaden ſchaͤtze von CHRJSTO erworben und in wo[r]t und Sacramenten angetragen/ bereits auch wircklich in dem Sacrament der heiligen tauff geſchencket/ von ſo wenigen erkant/ auch wo wirs recht bekennen ſollen/ nicht aller orten gnugſam den leuten erklaͤhret werden; auff der andern ſei- ten/ daß wo nicht ihren falſchen einbildungen behutſam begegnet wird/ ſolche theure gnaden lehr von ſichern gemuͤthen dahin gezogen wird/ daß ſie meinen/ ihre einbil- dung/ die doch nichts von dem wahren glauben hat/ bringe ihnen ſolche theure guͤ- ter/ und mache ſie ihnen zu eigen. Aus dem erſten mangel entſtehet/ daß die leute kei- N 3
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ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XX.
die rechte krafft des Evangelii nicht in der wuͤrde bey uns Evangeliſchen gehalten
werde/ wie es billich waͤre. Jedoch moͤgen auch andere gute gemuͤther/ denen
Crameri werther nahme eben unbekant/ aus der Schrifft ſelbſten/ und darinnen
vornehmlich den theuren Paulo und Johanne/ ſo dañ unſern vortreffuchen Luthe-
ro und Arndio, oder auch dem lieben Statio, welcher aus Steph. Prætorio mit
mit gutem bedacht das beſte/ abgeſondert einiger in jenes ſchrifften be-
findlichen ſchlacken/ zu ſammen geſammlet/ eben das jenige gefaßt/ und ins hertz ge-
trucket haben/ was dieſer treuer lehrer ſo eyffrig und auff eine ſolche deutliche art/
uns vorlegt/ es bleibet freylich an dem; Das Evangelium muß es ſeyn/ wel-
ches Chriſto kinder zeuget: Dieſes wort der gnaden iſt die ſelige morgenroͤthe/
ſchwanger von vortrefflichen thau. Und mag dem geſetz ſolche krafft nicht zuge-
ſchrieben werden/ als welches nicht lebendig machet Gal. 3. ſondern toͤdtet: Da-
her Ew. Wol Ehrw. Chriſtlich und wol thun/ daß ſie nach dem methodo ſolcher
goͤttlichen und Evangeliſchen lehr ihr amt und predigten einrichten/ wo zu GOtt
auch von oben herab ſein kraͤfftiges gedeyen zu vieler frucht geben/ ihr aber die freu-
de goͤnnen wolle/ ſolche anzuſehen/ uñ ihme darvor hertzlich zu dancken. Er laſſe auch
mehrere an allen orten erkennen des HERRN klarheit mit auffgedecktem
angeſicht/ um verklaͤhret zu werden in daſſelbe bilde von einer klarheit zu
der andern/ als von dem Geiſt des HErrn 2. Cor. 3. Damit alle welt ſei-
ner himmliſchen erkaͤntnuͤß voll werde. Jch zweiffele auch nicht/ Ew. Wol Ehr.
werden ſelbs ihres orts nach der empfangenen gnade GOttes in ihrem amt dahin
getrachtet haben/ daß gleich wie den leuten die unaußſprechliche himmliſche ſchaͤ-
tze des Evangelii und der geſchenckten ſeligkeit gewieſen/ und vorgelegt/ alſo nach-
mal auch die wahre art des lebendigen glaubens/ der ſie allein faſſen kan/ der heili-
gen Schrifft gemaͤß/ nachtruͤcklich vor augen geſtellet werde/ damit nicht die an
ſich ſelos ſo edle und theure lehr von ſolcher ſeligkeit von verkehrten gemuͤthern zur
ſicherheit ſchaͤndlich mißbraucht/ oder dero boßheit kraͤfftig zu begegnen unter laſſen
werde. Wie wir ſehen/ wie fleißig der hocherleuchtete Apoſtel Paulus ſich be-
muͤhet/ ſich zuverwahren/ das ſeine heylſame lehre von der gnade von ſichern her-
tzen nicht auff muthwillen gezogen werde. Als ſonderlich Rom. 6. zuſehen iſt: und
werde ich dieſer beyden fehler hin und wieder gewahr; auff der einen ſeite/ daß die
groſſe vortrefflichkeit der gnaden ſchaͤtze von CHRJSTO erworben und in
wort und Sacramenten angetragen/ bereits auch wircklich in dem Sacrament der
heiligen tauff geſchencket/ von ſo wenigen erkant/ auch wo wirs recht bekennen
ſollen/ nicht aller orten gnugſam den leuten erklaͤhret werden; auff der andern ſei-
ten/ daß wo nicht ihren falſchen einbildungen behutſam begegnet wird/ ſolche theure
gnaden lehr von ſichern gemuͤthen dahin gezogen wird/ daß ſie meinen/ ihre einbil-
dung/ die doch nichts von dem wahren glauben hat/ bringe ihnen ſolche theure guͤ-
ter/ und mache ſie ihnen zu eigen. Aus dem erſten mangel entſtehet/ daß die leute
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/119>, abgerufen am 16.02.2025. |