Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das fünffte Capitel. ches liebes-werck die ursach gewesen wäre/ gedencken/ daß wir auch für diebrüder zuweilen das leben lassen sollen: daß aber die welt solches nicht ver- stehet/ haben wir uns nicht zu verwundern/ weil es nothwendig über ihren be- griff ist/ als die nichts von derjenigen krafft je gespühret oder gefühlet hat/ wovon dieses alles allein kommen muß. Was nun anlangt den vorsatz/ aus angedeuteten ursachen und liebe gegen seine gemeinde ferner in einsamkeit und ausser der ehe das leben zu führen/ weil ich nicht zweifle/ daß derselbe nach fleißiger prüfung seiner selbs und aller umstände/ auch eiffrigem gebet werde gefasset seyn worden/ kan ich denselben nicht unbilligen/ als der ich offt ge- wünschet/ daß mehrere unter uns/ welchen GOtt die gabe gegeben/ sich der- selben zu der kirchen bestem gebrauchen solten/ wo nur an allen orten derglei- chen gelegenheit sich finden möchte/ in solchem stande das leben so wol ohne anderer anstoß/ als auch mit nichts zu grosser und an verrichtung des guten selbs hinderlicher unbequemlichkeit/ zu führen. Jedoch wolte bitten und er- innern/ solchen vorsatz weder mit allzugewisser und verbindlicher betheurung/ noch viel weniger mit einigem/ allerwenigsten solennen gelübde zubestärcken/ und sich also die freyheit auffs künftige nicht allerdings abzuschneiden. Dann weil wir der künfftigen dinge nicht wissend sind/ so mögen sich solche fälle be- geben/ da einmal die änderung des standes wahrhafftig zu unserem geistli- chen oder leiblichen besten/ ja auch unsers amts fruchtbarlicher verwaltung/ möchte nützlicher seyn. Wo man nun alsdann solches vor augen/ sich aber sei- ne freyheit also benommen hat/ daß man ohne scrupel des gewissens/ oder auch anderer anstoß/ davon nicht abtreten darff/ woran man sich einmal verbun- den/ gehets nicht ohne schwehre gedancken/ ja manchmal gewissens-ängsten/ ab. Daher am besten ist/ in solchen dingen in der furcht des HErrn dasjenige wehlen/ was wir der ehre GOttes und erhaltung des zwecks/ dazu wir gese- tzet sind/ das vorträglichste nach der gottseligen überlegung und gebet befun- den haben: aber solche wahl allemal auff das gegen wärtige allein zu setzen/ so dann so lange uns GOtt nicht solche ursachen/ welche die vorige überwiegen/ auffstossen lassen würde: und deswegen allezeit eine freye hand vor Gott und menschen/ den vorsatz aus guten bewegnüssen zu ändern/ zu behalten. So lebt man mit weniger sorge oder furcht des künfftigen/ und gehet allezeit einher wie jedesmal der HErr uns selbsten führet. Dessen güte ich auch hertzlich an- ruffe/ daß wie ich diesen vorsatz von deroselben hergekommen nicht zweifflen will/ sie denselben stäts also mit dero hand leite/ dabey zu blelben/ und sich dessen zu der erhaltung des guten vor augen habenden zwecks zu gebrauchen/ wo abereine änderung vorträglicher seyn würde/ ihm auch dero willen deut- lich zu verstehen gebe. 1690. SECTIO
Das fuͤnffte Capitel. ches liebes-werck die urſach geweſen waͤre/ gedencken/ daß wir auch fuͤr diebruͤder zuweilen das leben laſſen ſollen: daß aber die welt ſolches nicht ver- ſtehet/ haben wir uns nicht zu verwundern/ weil es nothwendig uͤber ihren be- griff iſt/ als die nichts von derjenigen krafft je geſpuͤhret oder gefuͤhlet hat/ wovon dieſes alles allein kommen muß. Was nun anlangt den vorſatz/ aus angedeuteten urſachen und liebe gegen ſeine gemeinde ferner in einſamkeit uñ auſſer der ehe das leben zu fuͤhren/ weil ich nicht zweifle/ daß derſelbe nach fleißiger pruͤfung ſeiner ſelbs und aller umſtaͤnde/ auch eiffrigem gebet werde gefaſſet ſeyn worden/ kan ich denſelben nicht unbilligen/ als der ich offt ge- wuͤnſchet/ daß mehrere unter uns/ welchen GOtt die gabe gegeben/ ſich der- ſelben zu der kirchen beſtem gebrauchen ſolten/ wo nur an allen orten derglei- chen gelegenheit ſich finden moͤchte/ in ſolchem ſtande das leben ſo wol ohne anderer anſtoß/ als auch mit nichts zu groſſer und an verrichtung des guten ſelbs hinderlicher unbequemlichkeit/ zu fuͤhren. Jedoch wolte bitten und er- innern/ ſolchen vorſatz weder mit allzugewiſſer und verbindlicher betheurung/ noch viel weniger mit einigem/ allerwenigſten ſolennen geluͤbde zubeſtaͤrcken/ und ſich alſo die freyheit auffs kuͤnftige nicht allerdings abzuſchneiden. Dann weil wir der kuͤnfftigen dinge nicht wiſſend ſind/ ſo moͤgen ſich ſolche faͤlle be- geben/ da einmal die aͤnderung des ſtandes wahrhafftig zu unſerem geiſtli- chen oder leiblichen beſten/ ja auch unſers amts fruchtbarlicher verwaltung/ moͤchte nuͤtzlicher ſeyn. Wo man nun alsdann ſolches vor augen/ ſich aber ſei- ne freyheit alſo benom̃en hat/ daß man ohne ſcrupel des gewiſſens/ oder auch anderer anſtoß/ davon nicht abtreten darff/ woran man ſich einmal verbun- den/ gehets nicht ohne ſchwehre gedancken/ ja manchmal gewiſſens-aͤngſten/ ab. Daher am beſten iſt/ in ſolchen dingen in der furcht des HErrn dasjenige wehlen/ was wir der ehre GOttes und erhaltung des zwecks/ dazu wir geſe- tzet ſind/ das vortraͤglichſte nach der gottſeligen uͤberlegung und gebet befun- den haben: aber ſolche wahl allemal auff das gegen waͤrtige allein zu ſetzen/ ſo dann ſo lange uns GOtt nicht ſolche urſachen/ welche die vorige uͤberwiegen/ auffſtoſſen laſſen wuͤrde: und deswegen allezeit eine freye hand vor Gott und menſchen/ den vorſatz aus guten bewegnuͤſſen zu aͤndern/ zu behalten. So lebt man mit weniger ſorge oder furcht des kuͤnfftigen/ und gehet allezeit einher wie jedesmal der HErr uns ſelbſten fuͤhret. Deſſen guͤte ich auch hertzlich an- ruffe/ daß wie ich dieſen vorſatz von deroſelben hergekommen nicht zweifflen will/ ſie denſelben ſtaͤts alſo mit dero hand leite/ dabey zu blelben/ und ſich deſſen zu der erhaltung des guten vor augen habenden zwecks zu gebrauchen/ wo abereine aͤnderung vortraͤglicher ſeyn wuͤrde/ ihm auch dero willen deut- lich zu verſtehen gebe. 1690. SECTIO
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0896" n="888"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das fuͤnffte Capitel.</hi></fw><lb/> ches liebes-werck die urſach geweſen waͤre/ gedencken/ daß wir auch fuͤr die<lb/> bruͤder zuweilen das leben laſſen ſollen: daß aber die welt ſolches nicht ver-<lb/> ſtehet/ haben wir uns nicht zu verwundern/ weil es nothwendig uͤber ihren be-<lb/> griff iſt/ als die nichts von derjenigen krafft je geſpuͤhret oder gefuͤhlet hat/<lb/> wovon dieſes alles allein kommen muß. Was nun anlangt den vorſatz/ aus<lb/> angedeuteten urſachen und liebe gegen ſeine gemeinde ferner in einſamkeit uñ<lb/> auſſer der ehe das leben zu fuͤhren/ weil ich nicht zweifle/ daß derſelbe nach<lb/> fleißiger pruͤfung ſeiner ſelbs und aller umſtaͤnde/ auch eiffrigem gebet werde<lb/> gefaſſet ſeyn worden/ kan ich denſelben nicht unbilligen/ als der ich offt ge-<lb/> wuͤnſchet/ daß mehrere unter uns/ welchen GOtt die gabe gegeben/ ſich der-<lb/> ſelben zu der kirchen beſtem gebrauchen ſolten/ wo nur an allen orten derglei-<lb/> chen gelegenheit ſich finden moͤchte/ in ſolchem ſtande das leben ſo wol ohne<lb/> anderer anſtoß/ als auch mit nichts zu groſſer und an verrichtung des guten<lb/> ſelbs hinderlicher unbequemlichkeit/ zu fuͤhren. Jedoch wolte bitten und er-<lb/> innern/ ſolchen vorſatz weder mit allzugewiſſer und verbindlicher betheurung/<lb/> noch viel weniger mit einigem/ allerwenigſten <hi rendition="#aq">ſolennen</hi> geluͤbde zubeſtaͤrcken/<lb/> und ſich alſo die freyheit auffs kuͤnftige nicht allerdings abzuſchneiden. Dann<lb/> weil wir der kuͤnfftigen dinge nicht wiſſend ſind/ ſo moͤgen ſich ſolche faͤlle be-<lb/> geben/ da einmal die aͤnderung des ſtandes wahrhafftig zu unſerem geiſtli-<lb/> chen oder leiblichen beſten/ ja auch unſers amts fruchtbarlicher verwaltung/<lb/> moͤchte nuͤtzlicher ſeyn. Wo man nun alsdann ſolches vor augen/ ſich aber ſei-<lb/> ne freyheit alſo benom̃en hat/ daß man ohne ſcrupel des gewiſſens/ oder auch<lb/> anderer anſtoß/ davon nicht abtreten darff/ woran man ſich einmal verbun-<lb/> den/ gehets nicht ohne ſchwehre gedancken/ ja manchmal gewiſſens-aͤngſten/<lb/> ab. Daher am beſten iſt/ in ſolchen dingen in der furcht des HErrn dasjenige<lb/> wehlen/ was wir der ehre GOttes und erhaltung des zwecks/ dazu wir geſe-<lb/> tzet ſind/ das vortraͤglichſte nach der gottſeligen uͤberlegung und gebet befun-<lb/> den haben: aber ſolche wahl allemal auff das gegen waͤrtige allein zu ſetzen/ ſo<lb/> dann ſo lange uns GOtt nicht ſolche urſachen/ welche die vorige uͤberwiegen/<lb/> auffſtoſſen laſſen wuͤrde: und deswegen allezeit eine freye hand vor Gott und<lb/> menſchen/ den vorſatz aus guten bewegnuͤſſen zu aͤndern/ zu behalten. So lebt<lb/> man mit weniger ſorge oder furcht des kuͤnfftigen/ und gehet allezeit einher<lb/> wie jedesmal der HErr uns ſelbſten fuͤhret. Deſſen guͤte ich auch hertzlich an-<lb/> ruffe/ daß wie ich dieſen vorſatz von deroſelben hergekommen nicht zweifflen<lb/> will/ ſie denſelben ſtaͤts alſo mit dero hand leite/ dabey zu blelben/ und ſich<lb/> deſſen zu der erhaltung des guten vor augen habenden zwecks zu gebrauchen/<lb/> wo abereine aͤnderung vortraͤglicher ſeyn wuͤrde/ ihm auch dero willen deut-<lb/> lich zu verſtehen gebe. 1690.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">SECTIO</hi> </hi> </fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [888/0896]
Das fuͤnffte Capitel.
ches liebes-werck die urſach geweſen waͤre/ gedencken/ daß wir auch fuͤr die
bruͤder zuweilen das leben laſſen ſollen: daß aber die welt ſolches nicht ver-
ſtehet/ haben wir uns nicht zu verwundern/ weil es nothwendig uͤber ihren be-
griff iſt/ als die nichts von derjenigen krafft je geſpuͤhret oder gefuͤhlet hat/
wovon dieſes alles allein kommen muß. Was nun anlangt den vorſatz/ aus
angedeuteten urſachen und liebe gegen ſeine gemeinde ferner in einſamkeit uñ
auſſer der ehe das leben zu fuͤhren/ weil ich nicht zweifle/ daß derſelbe nach
fleißiger pruͤfung ſeiner ſelbs und aller umſtaͤnde/ auch eiffrigem gebet werde
gefaſſet ſeyn worden/ kan ich denſelben nicht unbilligen/ als der ich offt ge-
wuͤnſchet/ daß mehrere unter uns/ welchen GOtt die gabe gegeben/ ſich der-
ſelben zu der kirchen beſtem gebrauchen ſolten/ wo nur an allen orten derglei-
chen gelegenheit ſich finden moͤchte/ in ſolchem ſtande das leben ſo wol ohne
anderer anſtoß/ als auch mit nichts zu groſſer und an verrichtung des guten
ſelbs hinderlicher unbequemlichkeit/ zu fuͤhren. Jedoch wolte bitten und er-
innern/ ſolchen vorſatz weder mit allzugewiſſer und verbindlicher betheurung/
noch viel weniger mit einigem/ allerwenigſten ſolennen geluͤbde zubeſtaͤrcken/
und ſich alſo die freyheit auffs kuͤnftige nicht allerdings abzuſchneiden. Dann
weil wir der kuͤnfftigen dinge nicht wiſſend ſind/ ſo moͤgen ſich ſolche faͤlle be-
geben/ da einmal die aͤnderung des ſtandes wahrhafftig zu unſerem geiſtli-
chen oder leiblichen beſten/ ja auch unſers amts fruchtbarlicher verwaltung/
moͤchte nuͤtzlicher ſeyn. Wo man nun alsdann ſolches vor augen/ ſich aber ſei-
ne freyheit alſo benom̃en hat/ daß man ohne ſcrupel des gewiſſens/ oder auch
anderer anſtoß/ davon nicht abtreten darff/ woran man ſich einmal verbun-
den/ gehets nicht ohne ſchwehre gedancken/ ja manchmal gewiſſens-aͤngſten/
ab. Daher am beſten iſt/ in ſolchen dingen in der furcht des HErrn dasjenige
wehlen/ was wir der ehre GOttes und erhaltung des zwecks/ dazu wir geſe-
tzet ſind/ das vortraͤglichſte nach der gottſeligen uͤberlegung und gebet befun-
den haben: aber ſolche wahl allemal auff das gegen waͤrtige allein zu ſetzen/ ſo
dann ſo lange uns GOtt nicht ſolche urſachen/ welche die vorige uͤberwiegen/
auffſtoſſen laſſen wuͤrde: und deswegen allezeit eine freye hand vor Gott und
menſchen/ den vorſatz aus guten bewegnuͤſſen zu aͤndern/ zu behalten. So lebt
man mit weniger ſorge oder furcht des kuͤnfftigen/ und gehet allezeit einher
wie jedesmal der HErr uns ſelbſten fuͤhret. Deſſen guͤte ich auch hertzlich an-
ruffe/ daß wie ich dieſen vorſatz von deroſelben hergekommen nicht zweifflen
will/ ſie denſelben ſtaͤts alſo mit dero hand leite/ dabey zu blelben/ und ſich
deſſen zu der erhaltung des guten vor augen habenden zwecks zu gebrauchen/
wo abereine aͤnderung vortraͤglicher ſeyn wuͤrde/ ihm auch dero willen deut-
lich zu verſtehen gebe. 1690.
SECTIO
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/896 |
Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 888. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/896>, abgerufen am 15.06.2024. |