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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XXVI.
se gedancken und begierden bey mir fühle/ und mit grossem meinem mißsallen
dannoch leiden muß/ sind sie früchten des noch übrigen und sich thätlich her-
vorthuenden unglaubens: denn so der glaube mich nunmehr gantz gereiniget
hätte/ so würde solche sonne alle dieselbe nebel verzehret haben. Weil aber
solcher unglaube nicht herrschet/ sondern der noch beywohnende glaube die o-
berhand behaltet/ wie ichs daraus erkenne/ daß ich an solchen gedancken miß-
fallen habe und sehnlich verlange davon befreyet zu werden/ so ist auch solcher
unglaube/ wie alle andere sünde/ die in mir wohnet/ und ich mich derselben
nicht entschütten kan/ nicht mehr verdamlich/ sondern ist vergeben. Rom. 8/
1.
und wird der men sch von GOTT von dem überwindenden glauben glau-
big/ nicht aber von dem kämpffenden und unterligenden unglauben vor un-
glaubig geachtet. Jndessen bleibets doch dabey/ wie der glaube bey dem men-
schen die officin ist/ in dero der heilige Geist so viel liebe gute gedancken wir-
cket/ so ist solcher noch bey uns wohnende unglaube derjenige/ in dem und aus
dem der leidige satan böse gedancken herausbrütet. Dann wo der unglau-
be und beywohnende sünde nicht wären/ so vermöchte er wol uns anfechten/
aber er könte wircklich keine böse gedancken auffsteigend machen/ und also
bleiben alle propositiones, so der herr machet/ wahr/ streiten aber nicht wi-
der einander. 1. Angefochtene sind nichtunglaubige sondern glaubige. 2.
Wo der glaube ist/ da sind seelige gedancken/ (aber nicht allein/ ob wol so fern
der glaube da ist/ und in demselben keine andere als heilige gedancken sind/
dann die unheilige gedancken/ so dabey auffsteigen/ sind nicht aus dem glau-
ben) 3. Wo der unglaube ist/ da sind lästerliche und böse gedancken. Weil sol-
che allezeit aus dem unglauben entstehen: Aber nicht nur allein aus dem her-
schenden unglauben/ sondern/ eben sowol demjenigen/ bey dem der wahre
glaube noch bleibet. Ja bey diesem werden sie noch häuffiger entstehen/ son-
derlich was die gotteslästerliche gedanckenanlangt. Mit denen der teuffel die-
jenige wenig geplagt werden läßt/ bey welchen der unglaube überhand ge-
nommen/ oder sie sind doch bey ihnenkeine anfechtungen/sondern/ mit lust
hegende gedancken. 4. Wo lästerliche gedancken seyn/ da ist unglaube/ nicht
aber allemal ein herrschender unglaube/ sondern wie oben erklähret/ die letzte
proposition oder conclusion ist allein falsch: Wo dann lästerliche gedaucken
seyn/ da seye kein glaube/ keine gnade/ kein GOtt/ kein heiliger Geist. Es be-
darff aber die folge dieses letzteren nicht viel widerlegt zu werden/ sondern
erhellet von sich selbs wie falsch sie seye. Es bleibet dabey/ wie Paulus sagt.
Rom. 8/ 10. (welches ein mir sonderlicher lieber spruchist) der leib ist tod
um der sünden willen
(in dem eusserlichen menschen ist tod/ unglauben/
böse gedancken etc.) aber der geist ist doch das leben um der gerechtigkeit

wil-
L l l l l 2

ARTIC. II. SECTIO XXVI.
ſe gedancken und begierden bey mir fuͤhle/ und mit groſſem meinem mißſallen
dannoch leiden muß/ ſind ſie fruͤchten des noch uͤbrigen und ſich thaͤtlich her-
vorthuenden unglaubens: denn ſo der glaube mich nunmehr gantz gereiniget
haͤtte/ ſo wuͤrde ſolche ſonne alle dieſelbe nebel verzehret haben. Weil aber
ſolcher unglaube nicht herrſchet/ ſondern der noch beywohnende glaube die o-
berhand behaltet/ wie ichs daraus erkenne/ daß ich an ſolchen gedancken miß-
fallen habe und ſehnlich verlange davon befreyet zu werden/ ſo iſt auch ſolcher
unglaube/ wie alle andere ſuͤnde/ die in mir wohnet/ und ich mich derſelben
nicht entſchuͤtten kan/ nicht mehr verdamlich/ ſondern iſt vergeben. Rom. 8/
1.
und wird der men ſch von GOTT von dem uͤberwindenden glauben glau-
big/ nicht aber von dem kaͤmpffenden und unterligenden unglauben vor un-
glaubig geachtet. Jndeſſen bleibets doch dabey/ wie der glaube bey dem men-
ſchen die officin iſt/ in dero der heilige Geiſt ſo viel liebe gute gedancken wir-
cket/ ſo iſt ſolcher noch bey uns wohnende unglaube derjenige/ in dem und aus
dem der leidige ſatan boͤſe gedancken herausbruͤtet. Dann wo der unglau-
be und beywohnende ſuͤnde nicht waͤren/ ſo vermoͤchte er wol uns anfechten/
aber er koͤnte wircklich keine boͤſe gedancken auffſteigend machen/ und alſo
bleiben alle propoſitiones, ſo der herr machet/ wahr/ ſtreiten aber nicht wi-
der einander. 1. Angefochtene ſind nichtunglaubige ſondern glaubige. 2.
Wo der glaube iſt/ da ſind ſeelige gedancken/ (aber nicht allein/ ob wol ſo fern
der glaube da iſt/ und in demſelben keine andere als heilige gedancken ſind/
dann die unheilige gedancken/ ſo dabey auffſteigen/ ſind nicht aus dem glau-
ben) 3. Wo der unglaube iſt/ da ſind laͤſterliche und boͤſe gedancken. Weil ſol-
che allezeit aus dem unglauben entſtehen: Aber nicht nur allein aus dem her-
ſchenden unglauben/ ſondern/ eben ſowol demjenigen/ bey dem der wahre
glaube noch bleibet. Ja bey dieſem werden ſie noch haͤuffiger entſtehen/ ſon-
derlich was die gotteslaͤſterliche gedanckenanlangt. Mit denen der teuffel die-
jenige wenig geplagt werden laͤßt/ bey welchen der unglaube uͤberhand ge-
nommen/ oder ſie ſind doch bey ihnenkeine anfechtungen/ſondern/ mit luſt
hegende gedancken. 4. Wo laͤſterliche gedancken ſeyn/ da iſt unglaube/ nicht
aber allemal ein herrſchender unglaube/ ſondern wie oben erklaͤhret/ die letzte
propoſition oder concluſion iſt allein falſch: Wo dann laͤſterliche gedaucken
ſeyn/ da ſeye kein glaube/ keine gnade/ kein GOtt/ kein heiliger Geiſt. Es be-
darff aber die folge dieſes letzteren nicht viel widerlegt zu werden/ ſondern
erhellet von ſich ſelbs wie falſch ſie ſeye. Es bleibet dabey/ wie Paulus ſagt.
Rom. 8/ 10. (welches ein mir ſonderlicher lieber ſpruchiſt) der leib iſt tod
um der ſuͤnden willen
(in dem euſſerlichen menſchen iſt tod/ unglauben/
boͤſe gedancken ꝛc.) aber der geiſt iſt doch das leben um der gerechtigkeit

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[819/0827] ARTIC. II. SECTIO XXVI. ſe gedancken und begierden bey mir fuͤhle/ und mit groſſem meinem mißſallen dannoch leiden muß/ ſind ſie fruͤchten des noch uͤbrigen und ſich thaͤtlich her- vorthuenden unglaubens: denn ſo der glaube mich nunmehr gantz gereiniget haͤtte/ ſo wuͤrde ſolche ſonne alle dieſelbe nebel verzehret haben. Weil aber ſolcher unglaube nicht herrſchet/ ſondern der noch beywohnende glaube die o- berhand behaltet/ wie ichs daraus erkenne/ daß ich an ſolchen gedancken miß- fallen habe und ſehnlich verlange davon befreyet zu werden/ ſo iſt auch ſolcher unglaube/ wie alle andere ſuͤnde/ die in mir wohnet/ und ich mich derſelben nicht entſchuͤtten kan/ nicht mehr verdamlich/ ſondern iſt vergeben. Rom. 8/ 1. und wird der men ſch von GOTT von dem uͤberwindenden glauben glau- big/ nicht aber von dem kaͤmpffenden und unterligenden unglauben vor un- glaubig geachtet. Jndeſſen bleibets doch dabey/ wie der glaube bey dem men- ſchen die officin iſt/ in dero der heilige Geiſt ſo viel liebe gute gedancken wir- cket/ ſo iſt ſolcher noch bey uns wohnende unglaube derjenige/ in dem und aus dem der leidige ſatan boͤſe gedancken herausbruͤtet. Dann wo der unglau- be und beywohnende ſuͤnde nicht waͤren/ ſo vermoͤchte er wol uns anfechten/ aber er koͤnte wircklich keine boͤſe gedancken auffſteigend machen/ und alſo bleiben alle propoſitiones, ſo der herr machet/ wahr/ ſtreiten aber nicht wi- der einander. 1. Angefochtene ſind nichtunglaubige ſondern glaubige. 2. Wo der glaube iſt/ da ſind ſeelige gedancken/ (aber nicht allein/ ob wol ſo fern der glaube da iſt/ und in demſelben keine andere als heilige gedancken ſind/ dann die unheilige gedancken/ ſo dabey auffſteigen/ ſind nicht aus dem glau- ben) 3. Wo der unglaube iſt/ da ſind laͤſterliche und boͤſe gedancken. Weil ſol- che allezeit aus dem unglauben entſtehen: Aber nicht nur allein aus dem her- ſchenden unglauben/ ſondern/ eben ſowol demjenigen/ bey dem der wahre glaube noch bleibet. Ja bey dieſem werden ſie noch haͤuffiger entſtehen/ ſon- derlich was die gotteslaͤſterliche gedanckenanlangt. Mit denen der teuffel die- jenige wenig geplagt werden laͤßt/ bey welchen der unglaube uͤberhand ge- nommen/ oder ſie ſind doch bey ihnenkeine anfechtungen/ſondern/ mit luſt hegende gedancken. 4. Wo laͤſterliche gedancken ſeyn/ da iſt unglaube/ nicht aber allemal ein herrſchender unglaube/ ſondern wie oben erklaͤhret/ die letzte propoſition oder concluſion iſt allein falſch: Wo dann laͤſterliche gedaucken ſeyn/ da ſeye kein glaube/ keine gnade/ kein GOtt/ kein heiliger Geiſt. Es be- darff aber die folge dieſes letzteren nicht viel widerlegt zu werden/ ſondern erhellet von ſich ſelbs wie falſch ſie ſeye. Es bleibet dabey/ wie Paulus ſagt. Rom. 8/ 10. (welches ein mir ſonderlicher lieber ſpruchiſt) der leib iſt tod um der ſuͤnden willen (in dem euſſerlichen menſchen iſt tod/ unglauben/ boͤſe gedancken ꝛc.) aber der geiſt iſt doch das leben um der gerechtigkeit wil- L l l l l 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 819. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/827>, abgerufen am 23.11.2024.