Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das fünffte Capitel. wir erkennen/ ihm zu wider zu seyn/ (sonderlich dazu wir etwa sonsten mehrerenatürliche inclination bey uns fühlen/ aber auch einen nicht nur widerspruch des gewissens/ sondern auch einen eckel daran und mißfallen/ ob wir wol noch in dem fleisch ein wolgefallen und geneigtheit dazu fühlen) als insgemein/ daß uns alles ein abscheu solle seyn/ wo wir auch noch weiter etwas erkennen solten/ daß GOTT verboten hätte/ wie lieb es uns sonsten wäre/ und folg- lich die innigliche begierde in allen stücken den HErrn in gehorsam zu lieben; die freude die wir haben/ so wir etwas zu GOttes ehre gutes zu geschehen se- hen; sonderlich aber die ungefärbte liebe des nechsten/ auch desjenigen/ und aus denjenigen ursachen/ da sonsten natürlicher welse wir keine liebe zu haben würden/ sondern eher ein widerwillen und haß dagegen entstehen könte; die vorziehung des göttlichen gnaden-stands vor aller weltlichen glückseligkeit; die in ihrer rechten ordnung eingeschrenckte begierde des leibs dieses todes und einwohnender sünden loß zu werden/ und in die selige ewigkeit gern ein- zugehen/ und deswegen auch das glücklichste welt leben zu verlassen; die stäte erhebung zu GOTT und heimliches seuffzen zu ihm/ nicht nur alsdann/ wo wir gleichsam mit fleiß und ex consilio beten wollen/ sondern daß bey aller gelegenheit von selbsten als von innen herausgehet/ und also das habitual- verlangen nach GOTT in der seelen verborgen zu seyn zeiget; sonderlich aber die hochhaltung der gnade Christi/ und einige beruhigung in seinem ver- dienst/ mit williger verleugnung aller eignen und frembden gerechtigkeit/ hin- gegen eiffrige begierde/ ihm wiederum in allem danckbar zu werden/ und sich in der that sein eigenthum zu erweisen: So dann die brünstige liebe gegen GOTT und Christum/ so entweder selbs gefühlet wird/ oder aus den obigen stücken/ da es auch an jener fühlung manglete/ unfehlbar abgenommen werden mag/ indem sie alle gleichsam lauter besondere austrücke und wirckungen der göttlichen liebe seynd. Alle diese dinge/ welche sich meistens bey den ange- fochtenen und über die unempfindlichkeit ihres glaubens geängsteten in ziem- lichem grade finden/ sind unfehlbar zeugnüsse des wahren glaubens/ so gar/ daß auch ein anderer aus denselben bey denjenigen/ wo er sie findet/ ohnfehl- bar/ daß sie gläubig seyn/ schliessen könte/ wo er in dero hertz/ daß solche stücke wahrhafftig bey ihnen sich befinden/ könte gewahr werden. Was aber andere nicht können/ dasselbige kan jeglicher bey sich selbs nemlich mit unfehlbarer gewißheit versichert seyn/ daß es ihm in allem solchem ein gründlicher ernst/ nicht aber angenommene heucheley sey. Und so sehen wir/ daß der liebe Apo- stel Johannes 1/ 3/ 18. 19. aus der liebe der brüder/ die da in der that und in der wahrheit ist/ schliesset/ daß wir aus der wahrheit (das ist/ aus GOTT ge- bohren und demnach gläubig) seyen: Und dazu mit einem solchen schluß/ den wir
Das fuͤnffte Capitel. wir erkennen/ ihm zu wider zu ſeyn/ (ſonderlich dazu wir etwa ſonſten mehrerenatuͤrliche inclination bey uns fuͤhlen/ aber auch einen nicht nur widerſpruch des gewiſſens/ ſondern auch einen eckel daran und mißfallen/ ob wir wol noch in dem fleiſch ein wolgefallen und geneigtheit dazu fuͤhlen) als insgemein/ daß uns alles ein abſcheu ſolle ſeyn/ wo wir auch noch weiter etwas erkennen ſolten/ daß GOTT verboten haͤtte/ wie lieb es uns ſonſten waͤre/ und folg- lich die innigliche begierde in allen ſtuͤcken den HErrn in gehorſam zu lieben; die freude die wir haben/ ſo wir etwas zu GOttes ehre gutes zu geſchehen ſe- hen; ſonderlich aber die ungefaͤrbte liebe des nechſten/ auch desjenigen/ und aus denjenigen urſachen/ da ſonſten natuͤrlicher welſe wir keine liebe zu haben wuͤrden/ ſondern eher ein widerwillen und haß dagegen entſtehen koͤnte; die vorziehung des goͤttlichen gnaden-ſtands vor aller weltlichen gluͤckſeligkeit; die in ihrer rechten ordnung eingeſchrenckte begierde des leibs dieſes todes und einwohnender ſuͤnden loß zu werden/ und in die ſelige ewigkeit gern ein- zugehen/ und deswegen auch das gluͤcklichſte welt leben zu verlaſſen; die ſtaͤte erhebung zu GOTT und heimliches ſeuffzen zu ihm/ nicht nur alsdann/ wo wir gleichſam mit fleiß und ex conſilio beten wollen/ ſondern daß bey aller gelegenheit von ſelbſten als von innen herausgehet/ und alſo das habitual- verlangen nach GOTT in der ſeelen verborgen zu ſeyn zeiget; ſonderlich aber die hochhaltung der gnade Chriſti/ und einige beruhigung in ſeinem ver- dienſt/ mit williger verleugnung aller eignen und frembden gerechtigkeit/ hin- gegen eiffrige begierde/ ihm wiederum in allem danckbar zu werden/ und ſich in der that ſein eigenthum zu erweiſen: So dann die bruͤnſtige liebe gegen GOTT und Chriſtum/ ſo entweder ſelbs gefuͤhlet wird/ oder aus den obigen ſtuͤcken/ da es auch an jener fuͤhlung manglete/ unfehlbar abgenommen werden mag/ indem ſie alle gleichſam lauter beſondere austruͤcke und wirckungen der goͤttlichen liebe ſeynd. Alle dieſe dinge/ welche ſich meiſtens bey den ange- fochtenen und uͤber die unempfindlichkeit ihres glaubens geaͤngſteten in ziem- lichem grade finden/ ſind unfehlbar zeugnuͤſſe des wahren glaubens/ ſo gar/ daß auch ein anderer aus denſelben bey denjenigen/ wo er ſie findet/ ohnfehl- bar/ daß ſie glaͤubig ſeyn/ ſchlieſſen koͤnte/ wo er in dero hertz/ daß ſolche ſtuͤcke wahrhafftig bey ihnen ſich befinden/ koͤnte gewahr werden. Was aber andere nicht koͤnnen/ daſſelbige kan jeglicher bey ſich ſelbs nemlich mit unfehlbarer gewißheit verſichert ſeyn/ daß es ihm in allem ſolchem ein gruͤndlicher ernſt/ nicht aber angenommene heucheley ſey. Und ſo ſehen wir/ daß der liebe Apo- ſtel Johannes 1/ 3/ 18. 19. aus der liebe der bruͤder/ die da in der that und in der wahrheit iſt/ ſchlieſſet/ daß wir aus der wahrheit (das iſt/ aus GOTT ge- bohren und demnach glaͤubig) ſeyen: Und dazu mit einem ſolchen ſchluß/ den wir
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Das fuͤnffte Capitel.
wir erkennen/ ihm zu wider zu ſeyn/ (ſonderlich dazu wir etwa ſonſten mehrere
natuͤrliche inclination bey uns fuͤhlen/ aber auch einen nicht nur widerſpruch
des gewiſſens/ ſondern auch einen eckel daran und mißfallen/ ob wir wol noch
in dem fleiſch ein wolgefallen und geneigtheit dazu fuͤhlen) als insgemein/
daß uns alles ein abſcheu ſolle ſeyn/ wo wir auch noch weiter etwas erkennen
ſolten/ daß GOTT verboten haͤtte/ wie lieb es uns ſonſten waͤre/ und folg-
lich die innigliche begierde in allen ſtuͤcken den HErrn in gehorſam zu lieben;
die freude die wir haben/ ſo wir etwas zu GOttes ehre gutes zu geſchehen ſe-
hen; ſonderlich aber die ungefaͤrbte liebe des nechſten/ auch desjenigen/ und
aus denjenigen urſachen/ da ſonſten natuͤrlicher welſe wir keine liebe zu haben
wuͤrden/ ſondern eher ein widerwillen und haß dagegen entſtehen koͤnte; die
vorziehung des goͤttlichen gnaden-ſtands vor aller weltlichen gluͤckſeligkeit;
die in ihrer rechten ordnung eingeſchrenckte begierde des leibs dieſes todes
und einwohnender ſuͤnden loß zu werden/ und in die ſelige ewigkeit gern ein-
zugehen/ und deswegen auch das gluͤcklichſte welt leben zu verlaſſen; die ſtaͤte
erhebung zu GOTT und heimliches ſeuffzen zu ihm/ nicht nur alsdann/ wo
wir gleichſam mit fleiß und ex conſilio beten wollen/ ſondern daß bey aller
gelegenheit von ſelbſten als von innen herausgehet/ und alſo das habitual-
verlangen nach GOTT in der ſeelen verborgen zu ſeyn zeiget; ſonderlich aber
die hochhaltung der gnade Chriſti/ und einige beruhigung in ſeinem ver-
dienſt/ mit williger verleugnung aller eignen und frembden gerechtigkeit/ hin-
gegen eiffrige begierde/ ihm wiederum in allem danckbar zu werden/ und ſich
in der that ſein eigenthum zu erweiſen: So dann die bruͤnſtige liebe gegen
GOTT und Chriſtum/ ſo entweder ſelbs gefuͤhlet wird/ oder aus den obigen
ſtuͤcken/ da es auch an jener fuͤhlung manglete/ unfehlbar abgenommen werden
mag/ indem ſie alle gleichſam lauter beſondere austruͤcke und wirckungen der
goͤttlichen liebe ſeynd. Alle dieſe dinge/ welche ſich meiſtens bey den ange-
fochtenen und uͤber die unempfindlichkeit ihres glaubens geaͤngſteten in ziem-
lichem grade finden/ ſind unfehlbar zeugnuͤſſe des wahren glaubens/ ſo gar/
daß auch ein anderer aus denſelben bey denjenigen/ wo er ſie findet/ ohnfehl-
bar/ daß ſie glaͤubig ſeyn/ ſchlieſſen koͤnte/ wo er in dero hertz/ daß ſolche ſtuͤcke
wahrhafftig bey ihnen ſich befinden/ koͤnte gewahr werden. Was aber andere
nicht koͤnnen/ daſſelbige kan jeglicher bey ſich ſelbs nemlich mit unfehlbarer
gewißheit verſichert ſeyn/ daß es ihm in allem ſolchem ein gruͤndlicher ernſt/
nicht aber angenommene heucheley ſey. Und ſo ſehen wir/ daß der liebe Apo-
ſtel Johannes 1/ 3/ 18. 19. aus der liebe der bruͤder/ die da in der that und in der
wahrheit iſt/ ſchlieſſet/ daß wir aus der wahrheit (das iſt/ aus GOTT ge-
bohren und demnach glaͤubig) ſeyen: Und dazu mit einem ſolchen ſchluß/ den
wir
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 814. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/822>, abgerufen am 30.06.2024. |