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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
pel unsers JEsu/ und an den herrlichen nutzen solches leidens gedencken/ nur
bedacht/ allen zur ungedult reitzenden bewegungen zu widerstreben/ und solche
zu hintertreiben/ so ist gewißlich solche übung/ etwas gutes in die seele zu brin-
gen/ und das gute/ so in ihr ist/ daselbs zu vermehren/ und zu stärcken/ viel nütz-
licher und kräfftiger/ als bey gesunden tagen/ viele betrachtungen/ lesen/ beten
und singen/ so alle ihren vortrefflichen nutzen/ aber auch ihre zeit haben/ da
hingegen der weise GOTT zuweilen andere übungen von uns fordert. Wer
auch seine seele vermittels solches leidens in diese stille gebracht/ solcher wird
folgends auch bey gesunden tagen sie eher in solche stilligkeit bringen und er-
halten. Jch habe von GOTT auch nunmehr bey sechzehen jahren und drü-
ber ein dergleichen kopff-wehe/ so zu zeiten mich angreifft/ dafür ihm aber bil-
lich zu dancken/ und die andere vorschreibende regul zu practiciren habe; er-
kenne mich aber darinn selbs noch ein schüler allein zu seyn. Es greifft mich
aber nicht allzustarck an/ und währet nicht lange: vielleicht weilen GOTT
sich annoch meines armen dienstes gegen andere gebrauchet/ welcher ohne sol-
che mitwirckung des eusserlichen nicht wol verrichtet werden könte. Da aber
zu meiner eigenen seelen reinigung und geistlichen wachsthum vielleicht wol
dienlicher seyn möchte/ ein länger und starck anhalten der schmertze. Aber es
seye dem HErrn und seiner väterlichen weisesten güte alles sämtlich befohlen.
Was die andere hindernüß anlangt/ darüber E. Gn. klagen/ die manglende
andacht und kaltsinnigkeit im gebet/ ist wol dieselbe eine der grösten be-
schwehrden/ über welche nicht wenige kinder GOttes klagen und seuffzen/ ja
solche vor eines ihrer vornehmsten creutze achten. Dörffte ich mein armes
exempel anziehen/ so bestehet alle meine andacht meistens mehr in einem ver-
langen darnach/ als in der inbrünstigkeit selber: Wiewol mich dessen so viel-
mehr zu schämen habe/ weil leyder finde/ die ursach ziemlich an mir selbs zuhaff-
ten/ wegen der vielen verhindernüssen/ welche die andacht bey mir stöhren/ und
mein gemüth meistens in vieler zerstreuung halten: deren hindernüssen viele we-
gen der stätigen geschäfften nicht von mir ablegen zu können/ betrüblich sehe/
die übrige aber belangend/ nach vermögen abzuschaffen trachten will und solle.
Deßwegen aber auch offters diejenige leute/ deren beruf sie nicht in so mancher-
ley und lauter solche geschäffte einflicht/ die da das gemüth einnehmen/ und mit
stäten gedancken erfüllen/ für glückselige leut achte/ als die in solchem stande die
seele eher in eine der andacht nöthige ruhe und stilligkeit zu bringen vermögen.
Der HErr helffe mir auch solche steine des anstossens zu überwinden. Jndes-
sen habe allen denjenigen/ welche in solchem spittal auch kranck ligen/ in
diesem ihrem anligen zu rathen/ zu forderst erstlich nach zu suchen/ ob sie et-
wa selbst an solcher zerstreuung und kaltsinnigkeit ursach seyen: Und also sich
zu forschen/ ob etwa noch einige starcke anhängigkeit an der welt in gewissen

din-

Das fuͤnffte Capitel.
pel unſers JEſu/ und an den herrlichen nutzen ſolches leidens gedencken/ nur
bedacht/ allen zur ungedult reitzenden bewegungen zu widerſtreben/ und ſolche
zu hintertreiben/ ſo iſt gewißlich ſolche uͤbung/ etwas gutes in die ſeele zu brin-
gen/ und das gute/ ſo in ihr iſt/ daſelbs zu vermehren/ und zu ſtaͤrcken/ viel nuͤtz-
licher und kraͤfftiger/ als bey geſunden tagen/ viele betrachtungen/ leſen/ beten
und ſingen/ ſo alle ihren vortrefflichen nutzen/ aber auch ihre zeit haben/ da
hingegen der weiſe GOTT zuweilen andere uͤbungen von uns fordert. Wer
auch ſeine ſeele vermittels ſolches leidens in dieſe ſtille gebracht/ ſolcher wird
folgends auch bey geſunden tagen ſie eher in ſolche ſtilligkeit bringen und er-
halten. Jch habe von GOTT auch nunmehr bey ſechzehen jahren und druͤ-
ber ein dergleichen kopff-wehe/ ſo zu zeiten mich angreifft/ dafuͤr ihm aber bil-
lich zu dancken/ und die andere vorſchreibende regul zu practiciren habe; er-
kenne mich aber darinn ſelbs noch ein ſchuͤler allein zu ſeyn. Es greifft mich
aber nicht allzuſtarck an/ und waͤhret nicht lange: vielleicht weilen GOTT
ſich annoch meines armen dienſtes gegen andere gebrauchet/ welcher ohne ſol-
che mitwirckung des euſſerlichen nicht wol verrichtet werden koͤnte. Da aber
zu meiner eigenen ſeelen reinigung und geiſtlichen wachsthum vielleicht wol
dienlicher ſeyn moͤchte/ ein laͤnger und ſtarck anhalten der ſchmertze. Aber es
ſeye dem HErrn und ſeiner vaͤterlichen weiſeſten guͤte alles ſaͤmtlich befohlen.
Was die andere hindernuͤß anlangt/ daruͤber E. Gn. klagen/ die manglende
andacht und kaltſinnigkeit im gebet/ iſt wol dieſelbe eine der groͤſten be-
ſchwehrden/ uͤber welche nicht wenige kinder GOttes klagen und ſeuffzen/ ja
ſolche vor eines ihrer vornehmſten creutze achten. Doͤrffte ich mein armes
exempel anziehen/ ſo beſtehet alle meine andacht meiſtens mehr in einem ver-
langen darnach/ als in der inbruͤnſtigkeit ſelber: Wiewol mich deſſen ſo viel-
mehr zu ſchaͤmẽ habe/ weil leyder finde/ die urſach ziemlich an mir ſelbs zuhaff-
ten/ wegen der vielen verhindernuͤſſen/ welche die andacht bey mir ſtoͤhren/ und
mein gemuͤth meiſtens in vieler zerſtreuung haltẽ: deren hindernuͤſſen viele we-
gen der ſtaͤtigen geſchaͤfften nicht von mir ablegen zu koͤnnen/ betruͤblich ſehe/
die uͤbrige aber belangend/ nach veꝛmoͤgen abzuſchaffen trachten will und ſolle.
Deßwegen abeꝛ auch offters diejenige leute/ deꝛen beꝛuf ſie nicht in ſo mancheꝛ-
ley uñ lauteꝛ ſolche geſchaͤffte einflicht/ die da das gemuͤth einnehmen/ und mit
ſtaͤten gedancken erfuͤllẽ/ fuͤr gluͤckſelige leut achte/ als die in ſolchem ſtande die
ſeele eher in eine der andacht noͤthige ruhe und ſtilligkeit zu bringen vermoͤgen.
Der HErr helffe mir auch ſolche ſteine des anſtoſſens zu uͤberwinden. Jndeſ-
ſen habe allen denjenigen/ welche in ſolchem ſpittal auch kranck ligen/ in
dieſem ihrem anligen zu rathen/ zu forderſt erſtlich nach zu ſuchen/ ob ſie et-
wa ſelbſt an ſolcher zerſtreuung und kaltſinnigkeit urſach ſeyen: Und alſo ſich
zu forſchen/ ob etwa noch einige ſtarcke anhaͤngigkeit an der welt in gewiſſen

din-
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[766/0774] Das fuͤnffte Capitel. pel unſers JEſu/ und an den herrlichen nutzen ſolches leidens gedencken/ nur bedacht/ allen zur ungedult reitzenden bewegungen zu widerſtreben/ und ſolche zu hintertreiben/ ſo iſt gewißlich ſolche uͤbung/ etwas gutes in die ſeele zu brin- gen/ und das gute/ ſo in ihr iſt/ daſelbs zu vermehren/ und zu ſtaͤrcken/ viel nuͤtz- licher und kraͤfftiger/ als bey geſunden tagen/ viele betrachtungen/ leſen/ beten und ſingen/ ſo alle ihren vortrefflichen nutzen/ aber auch ihre zeit haben/ da hingegen der weiſe GOTT zuweilen andere uͤbungen von uns fordert. Wer auch ſeine ſeele vermittels ſolches leidens in dieſe ſtille gebracht/ ſolcher wird folgends auch bey geſunden tagen ſie eher in ſolche ſtilligkeit bringen und er- halten. Jch habe von GOTT auch nunmehr bey ſechzehen jahren und druͤ- ber ein dergleichen kopff-wehe/ ſo zu zeiten mich angreifft/ dafuͤr ihm aber bil- lich zu dancken/ und die andere vorſchreibende regul zu practiciren habe; er- kenne mich aber darinn ſelbs noch ein ſchuͤler allein zu ſeyn. Es greifft mich aber nicht allzuſtarck an/ und waͤhret nicht lange: vielleicht weilen GOTT ſich annoch meines armen dienſtes gegen andere gebrauchet/ welcher ohne ſol- che mitwirckung des euſſerlichen nicht wol verrichtet werden koͤnte. Da aber zu meiner eigenen ſeelen reinigung und geiſtlichen wachsthum vielleicht wol dienlicher ſeyn moͤchte/ ein laͤnger und ſtarck anhalten der ſchmertze. Aber es ſeye dem HErrn und ſeiner vaͤterlichen weiſeſten guͤte alles ſaͤmtlich befohlen. Was die andere hindernuͤß anlangt/ daruͤber E. Gn. klagen/ die manglende andacht und kaltſinnigkeit im gebet/ iſt wol dieſelbe eine der groͤſten be- ſchwehrden/ uͤber welche nicht wenige kinder GOttes klagen und ſeuffzen/ ja ſolche vor eines ihrer vornehmſten creutze achten. Doͤrffte ich mein armes exempel anziehen/ ſo beſtehet alle meine andacht meiſtens mehr in einem ver- langen darnach/ als in der inbruͤnſtigkeit ſelber: Wiewol mich deſſen ſo viel- mehr zu ſchaͤmẽ habe/ weil leyder finde/ die urſach ziemlich an mir ſelbs zuhaff- ten/ wegen der vielen verhindernuͤſſen/ welche die andacht bey mir ſtoͤhren/ und mein gemuͤth meiſtens in vieler zerſtreuung haltẽ: deren hindernuͤſſen viele we- gen der ſtaͤtigen geſchaͤfften nicht von mir ablegen zu koͤnnen/ betruͤblich ſehe/ die uͤbrige aber belangend/ nach veꝛmoͤgen abzuſchaffen trachten will und ſolle. Deßwegen abeꝛ auch offters diejenige leute/ deꝛen beꝛuf ſie nicht in ſo mancheꝛ- ley uñ lauteꝛ ſolche geſchaͤffte einflicht/ die da das gemuͤth einnehmen/ und mit ſtaͤten gedancken erfuͤllẽ/ fuͤr gluͤckſelige leut achte/ als die in ſolchem ſtande die ſeele eher in eine der andacht noͤthige ruhe und ſtilligkeit zu bringen vermoͤgen. Der HErr helffe mir auch ſolche ſteine des anſtoſſens zu uͤberwinden. Jndeſ- ſen habe allen denjenigen/ welche in ſolchem ſpittal auch kranck ligen/ in dieſem ihrem anligen zu rathen/ zu forderſt erſtlich nach zu ſuchen/ ob ſie et- wa ſelbſt an ſolcher zerſtreuung und kaltſinnigkeit urſach ſeyen: Und alſo ſich zu forſchen/ ob etwa noch einige ſtarcke anhaͤngigkeit an der welt in gewiſſen din-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 766. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/774>, abgerufen am 21.11.2024.