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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XIV.
und viel herrliches kan gewircket werden/ dessen fühlung in der seelen weitere
und gleichsam eussere kräffte/ dahin die besinnung gehöret/ nicht ausbrechen
kan. Daher die beklagte kaltsinnigkeit in dem Christenthum und übungen der
gottseligkeit mir kein böses zeichen ist/ sondern ich sehe solche vielmehr an nur
als eine schwachheit der eusserlichen natur/ in dero nicht nur der leib selbs/
sondern auch die natürliche kräfften des gemüths/ und dessen lebendige freu-
digkeit durch viele leiden niedergeschlagen und geschwächet worden. Daß a-
ber bey der verwesung alles solches einigerley massen zu dem eussern menschen
gehörigen/ der rechte innerliche mensch bey deroselben immer mehr und mehr
erneuertworden/ halte ich mich gantz versichert/ nicht nur aus dem/ da sie offt
die gröste ruhe ihrer seelen in dem eusserlichen leiden gefühlet/ sondern in aller
ihrer schwachheit dergleichen starcke püffe ausgestanden: so gewißlich eine
nicht gemeine/ ob wol vielleicht verborgene bleibende krafft des geistes an-
zeiget/ zugleich aber auch eine erfüllung dessen bleibet/ was des HErrn treue
zugesaget hat/ wie seine krafft in den schwachen sich mächtig weisen wolle. Für
die auch in dem eusserlichen so wunderbar und fast plötzlich erzeigte hülffe/
rühme ich auch billich die göttliche wunderhand und güte/ welche an derselben
dermassen auff unterschiedliche art sich zu stärckung auch anderer glaubens
darstellet/ und gewißlich ihr eigen werck an deroselben zu seiner zeit/ dero die-
selbe auch in kindlicher gedult und gelassenheit zu erwarten hat/ herrlich zu ih-
rem preiß/ vieler anderer auffmunterung und ihrem eigenen heyl hinaus füh-
ren wird. Jm übrigen/ daß Jhro sonderlich die christliche erziehung ihrer
geliebtesten Herren söhne angelegen/ ist ein stück mütterlicher treue und
schuldigen fürsorge/ und erfordert zweyerley/ einerseits nichts zu unterlassen/
was dazu diensam seyn möchte/ anderseits sich auch nicht zu viel darüber zu
hermen/ sondern alles demjenigen/ der das künfftige in seinen händen allein
hat/ auch ohne den so wenig/ als wider ihn/ wir in einigen dingen jemal etwas
aus zurichten vermöchten/ mit kindlichem gehorsam zu überlassen. Er ist je
unsrer kinder vater mehr/ als wir leibliche eltern uns davor zu halten haben/
daher ihm ihre wohlfarth gewißlich mehr als uns selbsten angelegen ist/ auch
der succeß alles unsers vornehmens an ihnen an seinem segen und dessen
maaß hanget: daher wir uns auch gewiß versichern können/ je mit gelas-
senerem gemüth/ und also thätlicher erkäntnüß/ daß es eigenlich nicht an uns
lige/ wir ihm die unsrige täglich empfehlen/ so viel weniger lässet er etwas
an seiner Vater-treue ermangeln/ welches wir sonderlich derjenigen
anfechtung entgegen zu halten haben/ die uns auffsteiget/ wo wir vor
unserer kinder rechter erziehung zu sterben sorgen/ daß wir wissen/ es
sterbe ihnen derjenige niemal ab/ an dessen gnade allein das gera-

then
D d d d d 2

ARTIC. II. SECTIO XIV.
und viel herrliches kan gewircket werden/ deſſen fuͤhlung in der ſeelen weitere
und gleichſam euſſere kraͤffte/ dahin die beſinnung gehoͤret/ nicht ausbrechen
kan. Daher die beklagte kaltſinnigkeit in dem Chriſtenthum und uͤbungen der
gottſeligkeit mir kein boͤſes zeichen iſt/ ſondern ich ſehe ſolche vielmehr an nur
als eine ſchwachheit der euſſerlichen natur/ in dero nicht nur der leib ſelbs/
ſondern auch die natuͤrliche kraͤfften des gemuͤths/ und deſſen lebendige freu-
digkeit durch viele leiden niedergeſchlagen und geſchwaͤchet worden. Daß a-
ber bey der verweſung alles ſolches einigerley maſſen zu dem euſſern menſchen
gehoͤrigen/ der rechte innerliche menſch bey deroſelben immer mehr und mehr
erneuertworden/ halte ich mich gantz verſichert/ nicht nur aus dem/ da ſie offt
die groͤſte ruhe ihrer ſeelen in dem euſſerlichen leiden gefuͤhlet/ ſondern in aller
ihrer ſchwachheit dergleichen ſtarcke puͤffe ausgeſtanden: ſo gewißlich eine
nicht gemeine/ ob wol vielleicht verborgene bleibende krafft des geiſtes an-
zeiget/ zugleich aber auch eine erfuͤllung deſſen bleibet/ was des HErrn treue
zugeſaget hat/ wie ſeine krafft in den ſchwachen ſich maͤchtig weiſen wolle. Fuͤr
die auch in dem euſſerlichen ſo wunderbar und faſt ploͤtzlich erzeigte huͤlffe/
ruͤhme ich auch billich die goͤttliche wunderhand und guͤte/ welche an derſelben
dermaſſen auff unterſchiedliche art ſich zu ſtaͤrckung auch anderer glaubens
darſtellet/ und gewißlich ihr eigen werck an deroſelben zu ſeiner zeit/ dero die-
ſelbe auch in kindlicheꝛ gedult und gelaſſenheit zu erwarten hat/ herrlich zu ih-
rem preiß/ vieler anderer auffmunterung und ihrem eigenen heyl hinaus fuͤh-
ren wird. Jm uͤbrigen/ daß Jhro ſonderlich die chriſtliche erziehung ihrer
geliebteſten Herren ſoͤhne angelegen/ iſt ein ſtuͤck muͤtterlicher treue und
ſchuldigen fuͤrſorge/ und erfordert zweyerley/ einerſeits nichts zu unterlaſſen/
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hermen/ ſondern alles demjenigen/ der das kuͤnfftige in ſeinen haͤnden allein
hat/ auch ohne den ſo wenig/ als wider ihn/ wir in einigen dingen jemal etwas
aus zurichten vermoͤchten/ mit kindlichem gehorſam zu uͤberlaſſen. Er iſt je
unſrer kinder vater mehr/ als wir leibliche eltern uns davor zu halten haben/
daher ihm ihre wohlfarth gewißlich mehr als uns ſelbſten angelegen iſt/ auch
der ſucceß alles unſers vornehmens an ihnen an ſeinem ſegen und deſſen
maaß hanget: daher wir uns auch gewiß verſichern koͤnnen/ je mit gelaſ-
ſenerem gemuͤth/ und alſo thaͤtlicher erkaͤntnuͤß/ daß es eigenlich nicht an uns
lige/ wir ihm die unſrige taͤglich empfehlen/ ſo viel weniger laͤſſet er etwas
an ſeiner Vater-treue ermangeln/ welches wir ſonderlich derjenigen
anfechtung entgegen zu halten haben/ die uns auffſteiget/ wo wir vor
unſerer kinder rechter erziehung zu ſterben ſorgen/ daß wir wiſſen/ es
ſterbe ihnen derjenige niemal ab/ an deſſen gnade allein das gera-

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[763/0771] ARTIC. II. SECTIO XIV. und viel herrliches kan gewircket werden/ deſſen fuͤhlung in der ſeelen weitere und gleichſam euſſere kraͤffte/ dahin die beſinnung gehoͤret/ nicht ausbrechen kan. Daher die beklagte kaltſinnigkeit in dem Chriſtenthum und uͤbungen der gottſeligkeit mir kein boͤſes zeichen iſt/ ſondern ich ſehe ſolche vielmehr an nur als eine ſchwachheit der euſſerlichen natur/ in dero nicht nur der leib ſelbs/ ſondern auch die natuͤrliche kraͤfften des gemuͤths/ und deſſen lebendige freu- digkeit durch viele leiden niedergeſchlagen und geſchwaͤchet worden. Daß a- ber bey der verweſung alles ſolches einigerley maſſen zu dem euſſern menſchen gehoͤrigen/ der rechte innerliche menſch bey deroſelben immer mehr und mehr erneuertworden/ halte ich mich gantz verſichert/ nicht nur aus dem/ da ſie offt die groͤſte ruhe ihrer ſeelen in dem euſſerlichen leiden gefuͤhlet/ ſondern in aller ihrer ſchwachheit dergleichen ſtarcke puͤffe ausgeſtanden: ſo gewißlich eine nicht gemeine/ ob wol vielleicht verborgene bleibende krafft des geiſtes an- zeiget/ zugleich aber auch eine erfuͤllung deſſen bleibet/ was des HErrn treue zugeſaget hat/ wie ſeine krafft in den ſchwachen ſich maͤchtig weiſen wolle. Fuͤr die auch in dem euſſerlichen ſo wunderbar und faſt ploͤtzlich erzeigte huͤlffe/ ruͤhme ich auch billich die goͤttliche wunderhand und guͤte/ welche an derſelben dermaſſen auff unterſchiedliche art ſich zu ſtaͤrckung auch anderer glaubens darſtellet/ und gewißlich ihr eigen werck an deroſelben zu ſeiner zeit/ dero die- ſelbe auch in kindlicheꝛ gedult und gelaſſenheit zu erwarten hat/ herrlich zu ih- rem preiß/ vieler anderer auffmunterung und ihrem eigenen heyl hinaus fuͤh- ren wird. Jm uͤbrigen/ daß Jhro ſonderlich die chriſtliche erziehung ihrer geliebteſten Herren ſoͤhne angelegen/ iſt ein ſtuͤck muͤtterlicher treue und ſchuldigen fuͤrſorge/ und erfordert zweyerley/ einerſeits nichts zu unterlaſſen/ was dazu dienſam ſeyn moͤchte/ anderſeits ſich auch nicht zu viel daruͤber zu hermen/ ſondern alles demjenigen/ der das kuͤnfftige in ſeinen haͤnden allein hat/ auch ohne den ſo wenig/ als wider ihn/ wir in einigen dingen jemal etwas aus zurichten vermoͤchten/ mit kindlichem gehorſam zu uͤberlaſſen. Er iſt je unſrer kinder vater mehr/ als wir leibliche eltern uns davor zu halten haben/ daher ihm ihre wohlfarth gewißlich mehr als uns ſelbſten angelegen iſt/ auch der ſucceß alles unſers vornehmens an ihnen an ſeinem ſegen und deſſen maaß hanget: daher wir uns auch gewiß verſichern koͤnnen/ je mit gelaſ- ſenerem gemuͤth/ und alſo thaͤtlicher erkaͤntnuͤß/ daß es eigenlich nicht an uns lige/ wir ihm die unſrige taͤglich empfehlen/ ſo viel weniger laͤſſet er etwas an ſeiner Vater-treue ermangeln/ welches wir ſonderlich derjenigen anfechtung entgegen zu halten haben/ die uns auffſteiget/ wo wir vor unſerer kinder rechter erziehung zu ſterben ſorgen/ daß wir wiſſen/ es ſterbe ihnen derjenige niemal ab/ an deſſen gnade allein das gera- then D d d d d 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/771>, abgerufen am 23.11.2024.