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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO III.
E. Hochfürstl. Durchl. Christlich erkennen/ daß man grosse ursach zu bitten habe/
daß uns GOtt mehr und mehr von der welt-lust abreissen möge/ indem nach der
weltlichen freude sich nichts als angst und schrecken findet in dem gewissen. Es
ist aber eben dieses eine grosse gnade GOttes/ daß Er uns nicht unempfindlich
dahin gehen lässet/ welches sonsten eine anzeigung derjenigen ist/ die Er in seinem
gericht bereits dahin gegeben hat/ sondern da wir uns entweder aus eigenem wohl-
gefallen in die welt-lust verliebet/ oder doch andern zugefallen und aus fleischlichen
respecten uns darein haben flechten lassen/ so bald darauff seine straffende gnade
fühlen lässet/ die uns dasjenige/ was uns vorher in dem genuß desselben so
wohl geschmecket/ aufs wenigste so arg nicht vorgekommen ist/ in dem gewissen
auff eine gantz andere weise/ nemlich wie die sache wahrhafftig vor GOtt lautet/
vorstellet/ damit uns die lust darzu in das künfftige so viel mehr verbittert werde.
Wir haben aber auch alsdann solcher gnade hinwieder desto sorgfältiger zuge-
brauchen/ daß wir ihr ihre krafft und frucht bey uns lassen/ und uns nachmaln
unser lebenlang scheuen vor der angst unserer seelen/ welche wir in sothaner be-
straffung unsers gewissens gefühlet haben. Wo wir uns aber scheuen/ so wer-
den wir hinkünfftig desto fleißiger auf unserer hut seyn/ nicht wiederum dasjenige
mit willen zuthun/ oder uns so leicht dazu bereden zulassen/ worüber wir göttliche
ungnade bey uns gefühlet haben. Dann geschihet solches nicht/ sondern wann
uns GOtt zu unserer prüffung nachmals eine gleiche gelegenheit aufftossen läs-
set/ und uns also versuchet/ ob wir seine züchtigung haben bey uns lassen frucht
bringen/ wir uns doch immer wiederum in vorige sünde und liebe der eitelkeit ein-
flechten lassen/ so ist nicht nur diese so viel schwehrer/ sondern geschihet wol offt/
daß uns GOtt derselben seiner straffenden gnade in unserm gewissen nicht mehr
also würdiget/ sondern zugibt/ daß aus seinem gericht unsere hertzen mehr verhär-
tet werden/ und anfangen allgemach dasjenige/ so uns vorhin ein rechter abscheu
gewesen/ mit wenigerem eckel anzusehen/ ja wol gar mit rechtem belieben zu thun:
damit endlich auch diejenige/ welche vorhin entflohen waren dem unflath dieser
welt durch die erkäntnüß des HErrn und Heylandes JEsu CHristi/ wiederumb
mögen in dieselbe eingeflochten/ überwunden/ und das letzte mit ihnen ärger werden/
als das erste gewesen war. Da alsdann der traurige ausspruch des Apostels platz
findet: Es wäre ihnen besser/ daß sie den weg der gerechtigkeit nicht
erkennet hätten/ denn daß sie ihn erkennen/ und sich kehren von dem
heiligen gebot/ das ihnen gegeben ist.
Solchen grossen schaden kan es endlich
nach sich ziehen/ wofern wir nicht sorgfältig sind/ nachdem wir einigemal aus
GOttes würckung die angst und schrecken der welt-freude und eitelkeit in dem ge-
wissen gefühlet haben/ uns vor sothaner versuchung künfftig zuhüten/ oder in der-
selben ritterlich dagegen zu kämpffen/ und GOtt umb seinen gnädigsten beystand

anzu-

ARTIC. I. SECTIO III.
E. Hochfuͤrſtl. Durchl. Chriſtlich erkennen/ daß man groſſe urſach zu bitten habe/
daß uns GOtt mehr und mehr von der welt-luſt abreiſſen moͤge/ indem nach der
weltlichen freude ſich nichts als angſt und ſchrecken findet in dem gewiſſen. Es
iſt aber eben dieſes eine groſſe gnade GOttes/ daß Er uns nicht unempfindlich
dahin gehen laͤſſet/ welches ſonſten eine anzeigung derjenigen iſt/ die Er in ſeinem
gericht bereits dahin gegeben hat/ ſondern da wir uns entweder aus eigenem wohl-
gefallen in die welt-luſt verliebet/ oder doch andern zugefallen und aus fleiſchlichen
reſpecten uns darein haben flechten laſſen/ ſo bald darauff ſeine ſtraffende gnade
fuͤhlen laͤſſet/ die uns dasjenige/ was uns vorher in dem genuß deſſelben ſo
wohl geſchmecket/ aufs wenigſte ſo arg nicht vorgekommen iſt/ in dem gewiſſen
auff eine gantz andere weiſe/ nemlich wie die ſache wahrhafftig vor GOtt lautet/
vorſtellet/ damit uns die luſt darzu in das kuͤnfftige ſo viel mehr verbittert werde.
Wir haben aber auch alsdann ſolcher gnade hinwieder deſto ſorgfaͤltiger zuge-
brauchen/ daß wir ihr ihre krafft und frucht bey uns laſſen/ und uns nachmaln
unſer lebenlang ſcheuen vor der angſt unſerer ſeelen/ welche wir in ſothaner be-
ſtraffung unſers gewiſſens gefuͤhlet haben. Wo wir uns aber ſcheuen/ ſo wer-
den wir hinkuͤnfftig deſto fleißiger auf unſerer hut ſeyn/ nicht wiederum dasjenige
mit willen zuthun/ oder uns ſo leicht dazu bereden zulaſſen/ woruͤber wir goͤttliche
ungnade bey uns gefuͤhlet haben. Dann geſchihet ſolches nicht/ ſondern wann
uns GOtt zu unſerer pruͤffung nachmals eine gleiche gelegenheit aufftoſſen laͤſ-
ſet/ und uns alſo verſuchet/ ob wir ſeine zuͤchtigung haben bey uns laſſen frucht
bringen/ wir uns doch immer wiederum in vorige ſuͤnde und liebe der eitelkeit ein-
flechten laſſen/ ſo iſt nicht nur dieſe ſo viel ſchwehrer/ ſondern geſchihet wol offt/
daß uns GOtt derſelben ſeiner ſtraffenden gnade in unſerm gewiſſen nicht mehr
alſo wuͤrdiget/ ſondern zugibt/ daß aus ſeinem gericht unſere hertzen mehr verhaͤr-
tet werden/ und anfangen allgemach dasjenige/ ſo uns vorhin ein rechter abſcheu
geweſen/ mit wenigerem eckel anzuſehen/ ja wol gar mit rechtem belieben zu thun:
damit endlich auch diejenige/ welche vorhin entflohen waren dem unflath dieſer
welt durch die erkaͤntnuͤß des HErrn und Heylandes JEſu CHriſti/ wiederumb
moͤgen in dieſelbe eingeflochten/ uͤberwunden/ und das letzte mit ihnen aͤrger werden/
als das erſte geweſen war. Da alsdann der traurige ausſpruch des Apoſtels platz
findet: Es waͤre ihnen beſſer/ daß ſie den weg der gerechtigkeit nicht
erkennet haͤtten/ denn daß ſie ihn erkennen/ und ſich kehren von dem
heiligen gebot/ das ihnen gegeben iſt.
Solchen groſſen ſchaden kan es endlich
nach ſich ziehen/ wofern wir nicht ſorgfaͤltig ſind/ nachdem wir einigemal aus
GOttes wuͤrckung die angſt und ſchrecken der welt-freude und eitelkeit in dem ge-
wiſſen gefuͤhlet haben/ uns vor ſothaner verſuchung kuͤnfftig zuhuͤten/ oder in der-
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[639/0647] ARTIC. I. SECTIO III. E. Hochfuͤrſtl. Durchl. Chriſtlich erkennen/ daß man groſſe urſach zu bitten habe/ daß uns GOtt mehr und mehr von der welt-luſt abreiſſen moͤge/ indem nach der weltlichen freude ſich nichts als angſt und ſchrecken findet in dem gewiſſen. Es iſt aber eben dieſes eine groſſe gnade GOttes/ daß Er uns nicht unempfindlich dahin gehen laͤſſet/ welches ſonſten eine anzeigung derjenigen iſt/ die Er in ſeinem gericht bereits dahin gegeben hat/ ſondern da wir uns entweder aus eigenem wohl- gefallen in die welt-luſt verliebet/ oder doch andern zugefallen und aus fleiſchlichen reſpecten uns darein haben flechten laſſen/ ſo bald darauff ſeine ſtraffende gnade fuͤhlen laͤſſet/ die uns dasjenige/ was uns vorher in dem genuß deſſelben ſo wohl geſchmecket/ aufs wenigſte ſo arg nicht vorgekommen iſt/ in dem gewiſſen auff eine gantz andere weiſe/ nemlich wie die ſache wahrhafftig vor GOtt lautet/ vorſtellet/ damit uns die luſt darzu in das kuͤnfftige ſo viel mehr verbittert werde. Wir haben aber auch alsdann ſolcher gnade hinwieder deſto ſorgfaͤltiger zuge- brauchen/ daß wir ihr ihre krafft und frucht bey uns laſſen/ und uns nachmaln unſer lebenlang ſcheuen vor der angſt unſerer ſeelen/ welche wir in ſothaner be- ſtraffung unſers gewiſſens gefuͤhlet haben. Wo wir uns aber ſcheuen/ ſo wer- den wir hinkuͤnfftig deſto fleißiger auf unſerer hut ſeyn/ nicht wiederum dasjenige mit willen zuthun/ oder uns ſo leicht dazu bereden zulaſſen/ woruͤber wir goͤttliche ungnade bey uns gefuͤhlet haben. Dann geſchihet ſolches nicht/ ſondern wann uns GOtt zu unſerer pruͤffung nachmals eine gleiche gelegenheit aufftoſſen laͤſ- ſet/ und uns alſo verſuchet/ ob wir ſeine zuͤchtigung haben bey uns laſſen frucht bringen/ wir uns doch immer wiederum in vorige ſuͤnde und liebe der eitelkeit ein- flechten laſſen/ ſo iſt nicht nur dieſe ſo viel ſchwehrer/ ſondern geſchihet wol offt/ daß uns GOtt derſelben ſeiner ſtraffenden gnade in unſerm gewiſſen nicht mehr alſo wuͤrdiget/ ſondern zugibt/ daß aus ſeinem gericht unſere hertzen mehr verhaͤr- tet werden/ und anfangen allgemach dasjenige/ ſo uns vorhin ein rechter abſcheu geweſen/ mit wenigerem eckel anzuſehen/ ja wol gar mit rechtem belieben zu thun: damit endlich auch diejenige/ welche vorhin entflohen waren dem unflath dieſer welt durch die erkaͤntnuͤß des HErrn und Heylandes JEſu CHriſti/ wiederumb moͤgen in dieſelbe eingeflochten/ uͤberwunden/ und das letzte mit ihnen aͤrger werden/ als das erſte geweſen war. Da alsdann der traurige ausſpruch des Apoſtels platz findet: Es waͤre ihnen beſſer/ daß ſie den weg der gerechtigkeit nicht erkennet haͤtten/ denn daß ſie ihn erkennen/ und ſich kehren von dem heiligen gebot/ das ihnen gegeben iſt. Solchen groſſen ſchaden kan es endlich nach ſich ziehen/ wofern wir nicht ſorgfaͤltig ſind/ nachdem wir einigemal aus GOttes wuͤrckung die angſt und ſchrecken der welt-freude und eitelkeit in dem ge- wiſſen gefuͤhlet haben/ uns vor ſothaner verſuchung kuͤnfftig zuhuͤten/ oder in der- ſelben ritterlich dagegen zu kaͤmpffen/ und GOtt umb ſeinen gnaͤdigſten beyſtand anzu-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/647>, abgerufen am 21.11.2024.