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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO XVI.
schuldige theil von dem schuldigen durch ehebruch loß werde. Daher Pau-
lus
(wie unser Sel. D. Chemnitius Ex. Conc. Trid. p. m. 434. fein bemer-
cket) vorhersetzet/ er rede mit ihnen/ als die das gesetz wissen. Daß aber nach
rechtmäßiger ehescheidung wieder ander wertliche heyrath vergönnet wor-
den/ ist aus der schrifft bekäntlich. Anders können wir Paulum nicht ver-
stehen/ als der ihm sonsten selbst widerspräche. Denn solte Paulus dieses
orts lehren/ daß bloß dahin kein fall wäre/ wenn das weib von des noch le-
benden mannes herrschafft befreyet würde. Wie sagte er denn 1.
Cor. 7/ 15. Es sey der bruder oder schwester nicht gefangen in solchen fäl-
len.
Damit er klahr zeiget/ daß er an jenem ort/ rede von dem/ was ordentli-
cher weise nach GOttes ordnung in der ehe seyn solle/ nemlich daß sie unauf-
gelößt bleibe/ so lange der ehegatte lebt: Ob er wol nicht leugnet/ daß
menschliche boßheit solch band zerreissen/ und so zerreissen könne/ daß der
gläubige und unschuldige theil nicht mehr gefangen und gebunden seye. Wie
Paulus dieses orts saget/ ob er schon in eben solchem Cap. v. 39. eben dasje-
nige saget/ was er auch Rom. 7. gesagt hatte. Woraus aber eben zu
schliessen/ daß mit einiger ausnahm die ohnbedingt da ligende worte zuver-
stehen seyen.

2. Ob Livia von dem ehlichen band mit Verre loß wor-
den?

AUf diese frage zweifle ich nicht mit ja zu antworten; Nicht zwahr wegen
1. des übeln tractaments/ so sie von Verre empfangen/ noch 2. weil der-
selbe sie zu der ehe durch betrug und vorgeben desjenigen so sich inder that
nicht gefunden/ gebracht. Deren beyde ursachen ungnugsam sind. Noch 3. we-
gen des Verre auf sich geladenen verdachts des ehebruchs/ in den nichts erwie-
sen werden können. Noch 4. wegendes gegebenen scheidebrieffs/ welcher al-
lerdings wichtig/ alldieweil consensus zwahr das matrimonium, machen/
nicht aber wiederum dissolviren kan; Noch 5. die darauf gefolgte würckli-
che von einanderziehung/ die zwahr eine desertionem anfienge zu machen/ a-
ber solche ist noch nicht zum bruch des bandes in solchen terminis gnug gewe-
sen. Sondern das eheliche band/ zwischen Verre und Livia ist gebrochen
worden/ durch Verris ander wertlichen heyrath/ welcher einen freventlichen
ehebruch in sich gefasset/ und damit Livia ihrer pflicht loß worden. Weil wir
im vorigen gesehen/ daß der ehebruch nach CHristi worten scheide/ und auch
solches gantz klahr ist/ weil dieses verbrechen der ehelichen gemeinschafft
schnur stracks entgegen. Wie dieser lehr-satz bißher von vielen Theologis
zur gnüge gegen die von Römischer seyten behauptet worden.

3. Ob
G g g g 3

SECTIO XVI.
ſchuldige theil von dem ſchuldigen durch ehebruch loß werde. Daher Pau-
lus
(wie unſer Sel. D. Chemnitius Ex. Conc. Trid. p. m. 434. fein bemer-
cket) vorherſetzet/ er rede mit ihnen/ als die das geſetz wiſſen. Daß aber nach
rechtmaͤßiger eheſcheidung wieder ander wertliche heyrath vergoͤnnet wor-
den/ iſt aus der ſchrifft bekaͤntlich. Anders koͤnnen wir Paulum nicht ver-
ſtehen/ als der ihm ſonſten ſelbſt widerſpraͤche. Denn ſolte Paulus dieſes
orts lehren/ daß bloß dahin kein fall waͤre/ wenn das weib von des noch le-
benden mannes herrſchafft befreyet wuͤrde. Wie ſagte er denn 1.
Cor. 7/ 15. Es ſey der bruder oder ſchweſter nicht gefangen in ſolchen faͤl-
len.
Damit er klahr zeiget/ daß er an jenem ort/ rede von dem/ was ordentli-
cher weiſe nach GOttes ordnung in der ehe ſeyn ſolle/ nemlich daß ſie unauf-
geloͤßt bleibe/ ſo lange der ehegatte lebt: Ob er wol nicht leugnet/ daß
menſchliche boßheit ſolch band zerreiſſen/ und ſo zerreiſſen koͤnne/ daß der
glaͤubige und unſchuldige theil nicht mehr gefangen und gebunden ſeye. Wie
Paulus dieſes orts ſaget/ ob er ſchon in eben ſolchem Cap. v. 39. eben dasje-
nige ſaget/ was er auch Rom. 7. geſagt hatte. Woraus aber eben zu
ſchlieſſen/ daß mit einiger ausnahm die ohnbedingt da ligende worte zuver-
ſtehen ſeyen.

2. Ob Livia von dem ehlichen band mit Verre loß wor-
den?

AUf dieſe frage zweifle ich nicht mit ja zu antworten; Nicht zwahr wegen
1. des uͤbeln tractaments/ ſo ſie von Verre empfangen/ noch 2. weil der-
ſelbe ſie zu der ehe durch betrug und vorgeben desjenigen ſo ſich inder that
nicht gefunden/ gebracht. Deren beyde urſachen ungnugſam ſind. Noch 3. we-
gen des Verre auf ſich geladenen verdachts des ehebruchs/ in dẽ nichts erwie-
ſen werden koͤnnen. Noch 4. wegendes gegebenen ſcheidebrieffs/ welcher al-
lerdings wichtig/ alldieweil conſenſus zwahr das matrimonium, machen/
nicht aber wiederum diſſolviren kan; Noch 5. die darauf gefolgte wuͤrckli-
che von einanderziehung/ die zwahr eine deſertionem anfienge zu machen/ a-
ber ſolche iſt noch nicht zum bruch des bandes in ſolchen terminis gnug gewe-
ſen. Sondern das eheliche band/ zwiſchen Verre und Livia iſt gebrochen
worden/ durch Verris ander wertlichen heyrath/ welcher einen freventlichen
ehebruch in ſich gefaſſet/ und damit Livia ihrer pflicht loß worden. Weil wir
im vorigen geſehen/ daß der ehebruch nach CHriſti worten ſcheide/ und auch
ſolches gantz klahr iſt/ weil dieſes verbrechen der ehelichen gemeinſchafft
ſchnur ſtracks entgegen. Wie dieſer lehr-ſatz bißher von vielen Theologis
zur gnuͤge gegen die von Roͤmiſcher ſeyten behauptet worden.

3. Ob
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[605/0613] SECTIO XVI. ſchuldige theil von dem ſchuldigen durch ehebruch loß werde. Daher Pau- lus (wie unſer Sel. D. Chemnitius Ex. Conc. Trid. p. m. 434. fein bemer- cket) vorherſetzet/ er rede mit ihnen/ als die das geſetz wiſſen. Daß aber nach rechtmaͤßiger eheſcheidung wieder ander wertliche heyrath vergoͤnnet wor- den/ iſt aus der ſchrifft bekaͤntlich. Anders koͤnnen wir Paulum nicht ver- ſtehen/ als der ihm ſonſten ſelbſt widerſpraͤche. Denn ſolte Paulus dieſes orts lehren/ daß bloß dahin kein fall waͤre/ wenn das weib von des noch le- benden mannes herrſchafft befreyet wuͤrde. Wie ſagte er denn 1. Cor. 7/ 15. Es ſey der bruder oder ſchweſter nicht gefangen in ſolchen faͤl- len. Damit er klahr zeiget/ daß er an jenem ort/ rede von dem/ was ordentli- cher weiſe nach GOttes ordnung in der ehe ſeyn ſolle/ nemlich daß ſie unauf- geloͤßt bleibe/ ſo lange der ehegatte lebt: Ob er wol nicht leugnet/ daß menſchliche boßheit ſolch band zerreiſſen/ und ſo zerreiſſen koͤnne/ daß der glaͤubige und unſchuldige theil nicht mehr gefangen und gebunden ſeye. Wie Paulus dieſes orts ſaget/ ob er ſchon in eben ſolchem Cap. v. 39. eben dasje- nige ſaget/ was er auch Rom. 7. geſagt hatte. Woraus aber eben zu ſchlieſſen/ daß mit einiger ausnahm die ohnbedingt da ligende worte zuver- ſtehen ſeyen. 2. Ob Livia von dem ehlichen band mit Verre loß wor- den? AUf dieſe frage zweifle ich nicht mit ja zu antworten; Nicht zwahr wegen 1. des uͤbeln tractaments/ ſo ſie von Verre empfangen/ noch 2. weil der- ſelbe ſie zu der ehe durch betrug und vorgeben desjenigen ſo ſich inder that nicht gefunden/ gebracht. Deren beyde urſachen ungnugſam ſind. Noch 3. we- gen des Verre auf ſich geladenen verdachts des ehebruchs/ in dẽ nichts erwie- ſen werden koͤnnen. Noch 4. wegendes gegebenen ſcheidebrieffs/ welcher al- lerdings wichtig/ alldieweil conſenſus zwahr das matrimonium, machen/ nicht aber wiederum diſſolviren kan; Noch 5. die darauf gefolgte wuͤrckli- che von einanderziehung/ die zwahr eine deſertionem anfienge zu machen/ a- ber ſolche iſt noch nicht zum bruch des bandes in ſolchen terminis gnug gewe- ſen. Sondern das eheliche band/ zwiſchen Verre und Livia iſt gebrochen worden/ durch Verris ander wertlichen heyrath/ welcher einen freventlichen ehebruch in ſich gefaſſet/ und damit Livia ihrer pflicht loß worden. Weil wir im vorigen geſehen/ daß der ehebruch nach CHriſti worten ſcheide/ und auch ſolches gantz klahr iſt/ weil dieſes verbrechen der ehelichen gemeinſchafft ſchnur ſtracks entgegen. Wie dieſer lehr-ſatz bißher von vielen Theologis zur gnuͤge gegen die von Roͤmiſcher ſeyten behauptet worden. 3. Ob G g g g 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/613>, abgerufen am 23.11.2024.