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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
wol zu erkennen die nichtigkeit des vertrauens derjenigen/ die auff dem brei-
ten welt-wege gleich wol zu dem himmel zu kommen sich einbilden/ als hinge-
gen in wahrer buß auff den rechten weg einzutreten/ auff welchem man sein
heil allein durch den glauben an Christum JEsum ergreiffet/ und aus dem-
selben in thätiger liebe und gehorsam der göttlichen gebote eiffrig fortzufah-
ren. Für welche demselben erzeigte gnade billich mit ihm dem Vater des
liechts/ von dem alle gute und alle vollkommene gaben herkommen/ demü-
thigste dancke/ mit Paulo über seine Philipper in guter zuversicht/ daß der in
ihm angefangen hat das gute werck/ es auch vollführen werde biß an den tag
JESU CHRJSTJ: aber auch des Apostels bitte wiederhole will/ daß
er je mehr und mehr reich werde in allerley erkäntnüß und erfah-
rung/ daß er prüfen möge/ was das beste seye/ auff daß er seye lauter
und unanstößig biß auff den tag Christi/ erfüllet mit früchten der ge-
rechtigkeit/ die durch JEsum CHristum geschehen in ihm zur ehre
und lobe GOttes. Amen.
Daß die verleugnung der welt und seiner selbs
ihn am schwehrsten ankomme/ wundre mich nicht/ sondern bin versichert/ daß
es die klage seye aller derer/ die noch in dem fleisch leben müssen. Ja alles
was uns in den übrigen pflichten schwehr wird/ hat seine schwehrigkeit dar-
aus/ so viel der selbs-verleugnung drein fliessen muß. Dann weil die unor-
denliche selbs-liebe recht das innerste hertz des alten Adams ist/ und wo es
uns an der liebe GOttes und des nechsten manglet/ solcher mangel aus der
selbs-liebe herkommet/ so bleidet unser kampff gegen die selbs-liebe unauff-
hörlich/ und so viel vermögen wir GOtt und den nechsten zu lieben/ als wir
diese selbs-liebe ablegen. Wie dann die selbs-verleugnung nichts anders
ist/ als solcher selbs-liebe ablegung oder vielmehr tödtung. Welches töd-
ten allerdings mit schmertzen geschihet/ nicht nur wo man das selbs in seinen
gröbern stücken/ sondern auch in den subtilern/ die uns nicht weniger fest an-
kleben/ angreiffen muß. Also muß der anfang der selbs-verleugnung bereits
einiger massen in dem anfang der buß geschehen/ aber so lange in der erneue-
rung fortgesetzt werden/ biß das selbs mit uns sterbe/ daß wir es der christli-
chen übung/ was das thun anlangt/ A. und D. nennen mögen. Doch ist die-
ses der trost/ den redlichen vor- und ansatz an solchem werck lasse der himmli-
sche Vater nicht stecken/ sondern gebe denjenigen/ die seine darzu ertheilte
gnade treulich brauchen/ immer ein so viel reichlicher maaß/ daß sie durch je-
den sieg wider solches selbs zu noch weitern/ mehr kräfften bekommen/ und
in dem kampff nicht erligen sollen. Was die vorgelegte fragen anlangt/ ant-
worte darauff/ als viel dieses mal die zeit zugibet.

I. So ist nun die erste: ob ich meinemnechsten zu liebe/ so er das-

selbe

Das dritte Capitel.
wol zu erkennen die nichtigkeit des vertrauens derjenigen/ die auff dem brei-
ten welt-wege gleich wol zu dem himmel zu kommen ſich einbilden/ als hinge-
gen in wahrer buß auff den rechten weg einzutreten/ auff welchem man ſein
heil allein durch den glauben an Chriſtum JEſum ergreiffet/ und aus dem-
ſelben in thaͤtiger liebe und gehorſam der goͤttlichen gebote eiffrig fortzufah-
ren. Fuͤr welche demſelben erzeigte gnade billich mit ihm dem Vater des
liechts/ von dem alle gute und alle vollkommene gaben herkommen/ demuͤ-
thigſte dancke/ mit Paulo uͤber ſeine Philipper in guter zuverſicht/ daß der in
ihm angefangen hat das gute werck/ es auch vollfuͤhren werde biß an den tag
JESU CHRJSTJ: aber auch des Apoſtels bitte wiederhole will/ daß
er je mehr und mehr reich werde in allerley erkaͤntnuͤß und erfah-
rung/ daß er pruͤfen moͤge/ was das beſte ſeye/ auff daß er ſeye lauter
und unanſtoͤßig biß auff den tag Chriſti/ erfuͤllet mit fruͤchten der ge-
rechtigkeit/ die durch JEſum CHriſtum geſchehen in ihm zur ehre
und lobe GOttes. Amen.
Daß die verleugnung der welt und ſeiner ſelbs
ihn am ſchwehrſten ankomme/ wundre mich nicht/ ſondern bin verſichert/ daß
es die klage ſeye aller derer/ die noch in dem fleiſch leben muͤſſen. Ja alles
was uns in den uͤbrigen pflichten ſchwehr wird/ hat ſeine ſchwehrigkeit dar-
aus/ ſo viel der ſelbs-verleugnung drein flieſſen muß. Dann weil die unor-
denliche ſelbs-liebe recht das innerſte hertz des alten Adams iſt/ und wo es
uns an der liebe GOttes und des nechſten manglet/ ſolcher mangel aus der
ſelbs-liebe herkommet/ ſo bleidet unſer kampff gegen die ſelbs-liebe unauff-
hoͤrlich/ und ſo viel vermoͤgen wir GOtt und den nechſten zu lieben/ als wir
dieſe ſelbs-liebe ablegen. Wie dann die ſelbs-verleugnung nichts anders
iſt/ als ſolcher ſelbs-liebe ablegung oder vielmehr toͤdtung. Welches toͤd-
ten allerdings mit ſchmertzen geſchihet/ nicht nur wo man das ſelbs in ſeinen
groͤbern ſtuͤcken/ ſondern auch in den ſubtilern/ die uns nicht weniger feſt an-
kleben/ angreiffen muß. Alſo muß der anfang der ſelbs-verleugnung bereits
einiger maſſen in dem anfang der buß geſchehen/ aber ſo lange in der erneue-
rung fortgeſetzt werden/ biß das ſelbs mit uns ſterbe/ daß wir es der chriſtli-
chen uͤbung/ was das thun anlangt/ A. und D. nennen moͤgen. Doch iſt die-
ſes der troſt/ den redlichen vor- und anſatz an ſolchem werck laſſe der himmli-
ſche Vater nicht ſtecken/ ſondern gebe denjenigen/ die ſeine darzu ertheilte
gnade treulich brauchen/ immer ein ſo viel reichlicher maaß/ daß ſie durch je-
den ſieg wider ſolches ſelbs zu noch weitern/ mehr kraͤfften bekommen/ und
in dem kampff nicht erligen ſollen. Was die vorgelegte fragen anlangt/ ant-
worte darauff/ als viel dieſes mal die zeit zugibet.

I. So iſt nun die erſte: ob ich meinemnechſten zu liebe/ ſo er daſ-

ſelbe
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[406/0414] Das dritte Capitel. wol zu erkennen die nichtigkeit des vertrauens derjenigen/ die auff dem brei- ten welt-wege gleich wol zu dem himmel zu kommen ſich einbilden/ als hinge- gen in wahrer buß auff den rechten weg einzutreten/ auff welchem man ſein heil allein durch den glauben an Chriſtum JEſum ergreiffet/ und aus dem- ſelben in thaͤtiger liebe und gehorſam der goͤttlichen gebote eiffrig fortzufah- ren. Fuͤr welche demſelben erzeigte gnade billich mit ihm dem Vater des liechts/ von dem alle gute und alle vollkommene gaben herkommen/ demuͤ- thigſte dancke/ mit Paulo uͤber ſeine Philipper in guter zuverſicht/ daß der in ihm angefangen hat das gute werck/ es auch vollfuͤhren werde biß an den tag JESU CHRJSTJ: aber auch des Apoſtels bitte wiederhole will/ daß er je mehr und mehr reich werde in allerley erkaͤntnuͤß und erfah- rung/ daß er pruͤfen moͤge/ was das beſte ſeye/ auff daß er ſeye lauter und unanſtoͤßig biß auff den tag Chriſti/ erfuͤllet mit fruͤchten der ge- rechtigkeit/ die durch JEſum CHriſtum geſchehen in ihm zur ehre und lobe GOttes. Amen. Daß die verleugnung der welt und ſeiner ſelbs ihn am ſchwehrſten ankomme/ wundre mich nicht/ ſondern bin verſichert/ daß es die klage ſeye aller derer/ die noch in dem fleiſch leben muͤſſen. Ja alles was uns in den uͤbrigen pflichten ſchwehr wird/ hat ſeine ſchwehrigkeit dar- aus/ ſo viel der ſelbs-verleugnung drein flieſſen muß. Dann weil die unor- denliche ſelbs-liebe recht das innerſte hertz des alten Adams iſt/ und wo es uns an der liebe GOttes und des nechſten manglet/ ſolcher mangel aus der ſelbs-liebe herkommet/ ſo bleidet unſer kampff gegen die ſelbs-liebe unauff- hoͤrlich/ und ſo viel vermoͤgen wir GOtt und den nechſten zu lieben/ als wir dieſe ſelbs-liebe ablegen. Wie dann die ſelbs-verleugnung nichts anders iſt/ als ſolcher ſelbs-liebe ablegung oder vielmehr toͤdtung. Welches toͤd- ten allerdings mit ſchmertzen geſchihet/ nicht nur wo man das ſelbs in ſeinen groͤbern ſtuͤcken/ ſondern auch in den ſubtilern/ die uns nicht weniger feſt an- kleben/ angreiffen muß. Alſo muß der anfang der ſelbs-verleugnung bereits einiger maſſen in dem anfang der buß geſchehen/ aber ſo lange in der erneue- rung fortgeſetzt werden/ biß das ſelbs mit uns ſterbe/ daß wir es der chriſtli- chen uͤbung/ was das thun anlangt/ A. und D. nennen moͤgen. Doch iſt die- ſes der troſt/ den redlichen vor- und anſatz an ſolchem werck laſſe der himmli- ſche Vater nicht ſtecken/ ſondern gebe denjenigen/ die ſeine darzu ertheilte gnade treulich brauchen/ immer ein ſo viel reichlicher maaß/ daß ſie durch je- den ſieg wider ſolches ſelbs zu noch weitern/ mehr kraͤfften bekommen/ und in dem kampff nicht erligen ſollen. Was die vorgelegte fragen anlangt/ ant- worte darauff/ als viel dieſes mal die zeit zugibet. I. So iſt nun die erſte: ob ich meinemnechſten zu liebe/ ſo er daſ- ſelbe

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/414>, abgerufen am 22.11.2024.