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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
sen/ daher diese aber bald leicht in die gedancken kommen möchten/ sie thäten
damit unrecht/ und wären zu bestraffen/ da sie doch etwa gantz recht daran
gethan haben: in solchem fall würde es den untergebenen nicht zukom-
men/ sie deswegen zu bestraffen/ oder rechenschafft von ihnen zu fordern.
Sondern es müssen dinge seyn/ die undisputirlich unrecht. 2. Sollen solche
erinnerungen der untern mit aller demuth und bescheidenheit geschehen/ daß
sie ja die sonsten gegen die Obere geziemende ehrerbietung damit nicht verle-
tzen/ und das ansehen gewinnen/ sie wolten über ihre Obere die herrschafft
suchen: damit die sache stracks verdorben wird. 3. Geziehmet sichs eben
um der ursach willen/ daß dieselbige als viel müglich in geheim und ohne ih-
re verkleinerung vor andern geschehe: ja so viel möglich/ daß es mehr scheine/
es suchen diese ihre eigene information und benehmung der über sie gefaßten
scrupel/ als daß sie sich so klug düncken zu seyn/ andere höhere zu bestraffen.
Wo es nun also geschihet/ können sich die Obere nichts beschwehren. Ja es
haben alle dieselbige/ sonderlich aber Prediger/ sich zu erfreuen/ wann ih-
re anvertraute auch diese liebe an ihnen erzeigen/ und achte ich denjenigen
des predig-amts nicht werth/ der einen bescheidenen und liebreichen zuspruch
seines zuhörers nicht mit hertzlichem danck annimmt/ sondern sich darüber
beschwehrt/ indem wir ja dencken müssen/ wir seyen nicht nur der gemeinde
vorsteher/ sondern auch glieder/ daher auch unter der brüderschafft/ und noch
darzu menschen/ die fehlen und nicht alles so wol an sich in acht nehmen kön-
nen/ als etwa andere gewahr werden. Ja ich achte/ daß es ein grosses stück
der verderbnüß unsers standes ist/ daß wenige das hertz nehmen/ uns diese
treue/ so uns so nützlich und nöthig wäre/ zu erzeigen/ oder daß viele aus uns
dergleichen übel auffnehmen/ und christliche hertzen zu ihrem eigenen schaden
hievon abschrecken. 8. Wie nun diese angedeutete art/ wie und wen man
zu straffen hat/ wo sie dermassen angestellet wird/ ihre herrliche frucht brin-
get; also wird hingegen der unbedachtsame gebrauch und die promiscua
correptio cujuscunque
mehr schaden bringen/ und kan von dem Heil. Geist
nicht gemeinet seyn. 1. Es würde damit selten etwas ausgerichtet. 2. Mei-
stens aber viele mehrere sünden bey den bestrafften veranlasset. 3. Würde
eine grosse confusion und zerrüttung entstehen/ solche aber dem Evangelio
einen bösen nahmen machen. 4. Zugeschweigen der ungelegenheit/ welche
solche liebe leut ihnen damit selbs zuzögen. 5. Weil sich jeglicher gewissens
halben darzu verbunden achtete/ würden sich eben diejenige/ die die nöthige
klugheit nicht haben/ desto öffter durch unzeitiges straffen versündigen/ als
grösser ihr eiffer wäre. Anderer schädlicher folgen nicht mit mehrerem zu
gedencken/ daraus erhellet/ daß GOttes wille nicht könne gewesen seyn/ das
jenige zu verordnen/ daraus mehr böses als gutes entstehen würde. Was

im

Das dritte Capitel.
ſen/ daher dieſe aber bald leicht in die gedancken kommen moͤchten/ ſie thaͤten
damit unrecht/ und waͤren zu beſtraffen/ da ſie doch etwa gantz recht daran
gethan haben: in ſolchem fall wuͤrde es den untergebenen nicht zukom-
men/ ſie deswegen zu beſtraffen/ oder rechenſchafft von ihnen zu fordern.
Sondern es muͤſſen dinge ſeyn/ die undiſputirlich unrecht. 2. Sollen ſolche
erinnerungen der untern mit aller demuth und beſcheidenheit geſchehen/ daß
ſie ja die ſonſten gegen die Obere geziemende ehrerbietung damit nicht verle-
tzen/ und das anſehen gewinnen/ ſie wolten uͤber ihre Obere die herrſchafft
ſuchen: damit die ſache ſtracks verdorben wird. 3. Geziehmet ſichs eben
um der urſach willen/ daß dieſelbige als viel muͤglich in geheim und ohne ih-
re verkleinerung vor andern geſchehe: ja ſo viel moͤglich/ daß es mehr ſcheine/
es ſuchen dieſe ihre eigene information und benehmung der uͤber ſie gefaßten
ſcrupel/ als daß ſie ſich ſo klug duͤncken zu ſeyn/ andere hoͤhere zu beſtraffen.
Wo es nun alſo geſchihet/ koͤnnen ſich die Obere nichts beſchwehren. Ja es
haben alle dieſelbige/ ſonderlich aber Prediger/ ſich zu erfreuen/ wann ih-
re anvertraute auch dieſe liebe an ihnen erzeigen/ und achte ich denjenigen
des predig-amts nicht werth/ der einen beſcheidenen und liebreichen zuſpruch
ſeines zuhoͤrers nicht mit hertzlichem danck annimmt/ ſondern ſich daruͤber
beſchwehrt/ indem wir ja dencken muͤſſen/ wir ſeyen nicht nur der gemeinde
vorſteher/ ſondern auch glieder/ daher auch unter der bruͤderſchafft/ und noch
darzu menſchen/ die fehlen und nicht alles ſo wol an ſich in acht nehmen koͤn-
nen/ als etwa andere gewahr werden. Ja ich achte/ daß es ein groſſes ſtuͤck
der verderbnuͤß unſers ſtandes iſt/ daß wenige das hertz nehmen/ uns dieſe
treue/ ſo uns ſo nuͤtzlich und noͤthig waͤre/ zu erzeigen/ oder daß viele aus uns
dergleichen uͤbel auffnehmen/ und chriſtliche hertzen zu ihrem eigenen ſchaden
hievon abſchrecken. 8. Wie nun dieſe angedeutete art/ wie und wen man
zu ſtraffen hat/ wo ſie dermaſſen angeſtellet wird/ ihre herrliche frucht brin-
get; alſo wird hingegen der unbedachtſame gebrauch und die promiſcua
correptio cujuscunque
mehr ſchaden bringen/ und kan von dem Heil. Geiſt
nicht gemeinet ſeyn. 1. Es wuͤrde damit ſelten etwas ausgerichtet. 2. Mei-
ſtens aber viele mehrere ſuͤnden bey den beſtrafften veranlaſſet. 3. Wuͤrde
eine groſſe confuſion und zerruͤttung entſtehen/ ſolche aber dem Evangelio
einen boͤſen nahmen machen. 4. Zugeſchweigen der ungelegenheit/ welche
ſolche liebe leut ihnen damit ſelbs zuzoͤgen. 5. Weil ſich jeglicher gewiſſens
halben darzu verbunden achtete/ wuͤrden ſich eben diejenige/ die die noͤthige
klugheit nicht haben/ deſto oͤffter durch unzeitiges ſtraffen verſuͤndigen/ als
groͤſſer ihr eiffer waͤre. Anderer ſchaͤdlicher folgen nicht mit mehrerem zu
gedencken/ daraus erhellet/ daß GOttes wille nicht koͤnne geweſen ſeyn/ das
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im
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[282/0290] Das dritte Capitel. ſen/ daher dieſe aber bald leicht in die gedancken kommen moͤchten/ ſie thaͤten damit unrecht/ und waͤren zu beſtraffen/ da ſie doch etwa gantz recht daran gethan haben: in ſolchem fall wuͤrde es den untergebenen nicht zukom- men/ ſie deswegen zu beſtraffen/ oder rechenſchafft von ihnen zu fordern. Sondern es muͤſſen dinge ſeyn/ die undiſputirlich unrecht. 2. Sollen ſolche erinnerungen der untern mit aller demuth und beſcheidenheit geſchehen/ daß ſie ja die ſonſten gegen die Obere geziemende ehrerbietung damit nicht verle- tzen/ und das anſehen gewinnen/ ſie wolten uͤber ihre Obere die herrſchafft ſuchen: damit die ſache ſtracks verdorben wird. 3. Geziehmet ſichs eben um der urſach willen/ daß dieſelbige als viel muͤglich in geheim und ohne ih- re verkleinerung vor andern geſchehe: ja ſo viel moͤglich/ daß es mehr ſcheine/ es ſuchen dieſe ihre eigene information und benehmung der uͤber ſie gefaßten ſcrupel/ als daß ſie ſich ſo klug duͤncken zu ſeyn/ andere hoͤhere zu beſtraffen. Wo es nun alſo geſchihet/ koͤnnen ſich die Obere nichts beſchwehren. Ja es haben alle dieſelbige/ ſonderlich aber Prediger/ ſich zu erfreuen/ wann ih- re anvertraute auch dieſe liebe an ihnen erzeigen/ und achte ich denjenigen des predig-amts nicht werth/ der einen beſcheidenen und liebreichen zuſpruch ſeines zuhoͤrers nicht mit hertzlichem danck annimmt/ ſondern ſich daruͤber beſchwehrt/ indem wir ja dencken muͤſſen/ wir ſeyen nicht nur der gemeinde vorſteher/ ſondern auch glieder/ daher auch unter der bruͤderſchafft/ und noch darzu menſchen/ die fehlen und nicht alles ſo wol an ſich in acht nehmen koͤn- nen/ als etwa andere gewahr werden. Ja ich achte/ daß es ein groſſes ſtuͤck der verderbnuͤß unſers ſtandes iſt/ daß wenige das hertz nehmen/ uns dieſe treue/ ſo uns ſo nuͤtzlich und noͤthig waͤre/ zu erzeigen/ oder daß viele aus uns dergleichen uͤbel auffnehmen/ und chriſtliche hertzen zu ihrem eigenen ſchaden hievon abſchrecken. 8. Wie nun dieſe angedeutete art/ wie und wen man zu ſtraffen hat/ wo ſie dermaſſen angeſtellet wird/ ihre herrliche frucht brin- get; alſo wird hingegen der unbedachtſame gebrauch und die promiſcua correptio cujuscunque mehr ſchaden bringen/ und kan von dem Heil. Geiſt nicht gemeinet ſeyn. 1. Es wuͤrde damit ſelten etwas ausgerichtet. 2. Mei- ſtens aber viele mehrere ſuͤnden bey den beſtrafften veranlaſſet. 3. Wuͤrde eine groſſe confuſion und zerruͤttung entſtehen/ ſolche aber dem Evangelio einen boͤſen nahmen machen. 4. Zugeſchweigen der ungelegenheit/ welche ſolche liebe leut ihnen damit ſelbs zuzoͤgen. 5. Weil ſich jeglicher gewiſſens halben darzu verbunden achtete/ wuͤrden ſich eben diejenige/ die die noͤthige klugheit nicht haben/ deſto oͤffter durch unzeitiges ſtraffen verſuͤndigen/ als groͤſſer ihr eiffer waͤre. Anderer ſchaͤdlicher folgen nicht mit mehrerem zu gedencken/ daraus erhellet/ daß GOttes wille nicht koͤnne geweſen ſeyn/ das jenige zu verordnen/ daraus mehr boͤſes als gutes entſtehen wuͤrde. Was im

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/290>, abgerufen am 22.11.2024.