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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XVII.
dem gemüth des Raths/ und wo sie sich nicht an mir auslassen kan/ mit bekom-
mung eines geschencks von mir/ so wird sie etwa die gelegenheit bekommen/
sich auszuüben in der erlangung von dem gegentheil und in ungerechtem ur-
theil/ daher mir nicht müglich ist/ die sünde zu verhüten/ sondern nur noch in
der wahl stehet/ in welchem objecto man ihm solches zu thun die gelegenheit
lassen oder geben wolle. Gleichwie ich nicht hoffe/ daß jemand verständiger
denjenigen/ welcher obiger massen von strassen-räubern/ sein übriges mit ei-
ner geringern summe redimiret/ beschuldigen werde/ daß er damit die räuber
in ihrer boßheit stärcke/ oder ihnen zur sünde anlaß gebe: daher ein gleiches
von dem unter handen habenden casu zu aestimiren ist. So ist bereits bey
den ethicis bekant und ausgemacht/ daß solche handlungen nicht bloß pro
voluntariis
oder spontaneis erkant/ sondern mixtae genennet werden/ welche
die natur des wercks so fern ändern können/ daß was aus solcher furcht und
gewalt geschihet/ mag nicht unrecht seyn/ ob es wol unrecht wäre ohne
solche gewalt. Zwahr möchte man ein wenden/ wir sollen keine gewalt dem
göttlichen befehl vorziehen/ sondern lieber alles leiden/ ehe wir wider densel-
bigen sündigen wolten: welches ich auch gestehe/ und deßwegen nicht erlaubt
achte/ um angethaner gewalt willen etwas desjenigen zu thun/ was eine sün-
de ist. Zum exempel/ wo mich mörder zur verleugnung GOttes oder an-
dern in sich unrechten dingen nöthigen wolten/ habe ich auch mein leben nicht
zu theuer zu achten/ daß ich es mit solcher sünde erkauffen wolte/ sondern da
muß ich den nahmen des HErrn mit erwartung alles dessen/ was göttlicher
rath ihnen ferner über mir verhängen will/ heiligen. Dahin gehöret auch in
gegenwärtigem casu, daß ich um keiner moral gewalt willen/ die wir darin-
nen zu stecken achten/ einen meineyd oder eigentliche lügen begehen darff. A-
ber es ist ein unterscheid unter den sündlichen handlungen/ deren einige eine
solche innerliche boßheit in sich haben/ welche keinerley massen und nie recht
sind. Zum exempel/ gotteslästerung/ meineyd/ lügen/ verachtung GOttes/
haß des nechsten/ ehebruch und dergleichen/ andere aber bestehen in solchen
handlungen/ die in sich keine innerliche boßheit oder turpitudinem haben/
sondern indifferente actiones sind/ aber aus andern ursachen böse werden:
bey jenen also ist nie müglich daß sie erlaubt werden/ oder durch eine gewalt
sich ändern könten/ nicht aber mag von diesen gleiches gesagt werden. Da-
her zum 2. zu mercken/ daß das geben eines geschencks an einen Richter/ oder
mit dem gericht beschäfftigten person/ unter die erste art nicht gehöre/ indem
das geben selbs eines geschenckes in andern umständen nichts böses/ sondern
ein freywilliger gebrauch des meinigen seyn kan/ auch möchte ich einer solchen
person ausser den gerichtlichen geschäfften/ auch nach geendigtem process aus
einer blossen affection auff eine solche art/ da sie und andere sich nicht daran

ärgern
J i 2

ARTIC. II. SECTIO XVII.
dem gemuͤth des Raths/ und wo ſie ſich nicht an mir auslaſſen kan/ mit bekom-
mung eines geſchencks von mir/ ſo wird ſie etwa die gelegenheit bekommen/
ſich auszuuͤben in der erlangung von dem gegentheil und in ungerechtem ur-
theil/ daher mir nicht muͤglich iſt/ die ſuͤnde zu verhuͤten/ ſondern nur noch in
der wahl ſtehet/ in welchem objecto man ihm ſolches zu thun die gelegenheit
laſſen oder geben wolle. Gleichwie ich nicht hoffe/ daß jemand verſtaͤndiger
denjenigen/ welcher obiger maſſen von ſtraſſen-raͤubern/ ſein uͤbriges mit ei-
ner geringern ſumme redimiret/ beſchuldigen werde/ daß er damit die raͤuber
in ihrer boßheit ſtaͤrcke/ oder ihnen zur ſuͤnde anlaß gebe: daher ein gleiches
von dem unter handen habenden caſu zu æſtimiren iſt. So iſt bereits bey
den ethicis bekant und ausgemacht/ daß ſolche handlungen nicht bloß pro
voluntariis
oder ſpontaneis erkant/ ſondern mixtæ genennet werden/ welche
die natur des wercks ſo fern aͤndern koͤnnen/ daß was aus ſolcher furcht und
gewalt geſchihet/ mag nicht unrecht ſeyn/ ob es wol unrecht waͤre ohne
ſolche gewalt. Zwahr moͤchte man ein wenden/ wir ſollen keine gewalt dem
goͤttlichen befehl vorziehen/ ſondern lieber alles leiden/ ehe wir wider denſel-
bigen ſuͤndigen wolten: welches ich auch geſtehe/ und deßwegen nicht erlaubt
achte/ um angethaner gewalt willen etwas desjenigen zu thun/ was eine ſuͤn-
de iſt. Zum exempel/ wo mich moͤrder zur verleugnung GOttes oder an-
dern in ſich unrechten dingen noͤthigen wolten/ habe ich auch mein leben nicht
zu theuer zu achten/ daß ich es mit ſolcher ſuͤnde erkauffen wolte/ ſondern da
muß ich den nahmen des HErrn mit erwartung alles deſſen/ was goͤttlicher
rath ihnen ferner uͤber mir verhaͤngen will/ heiligen. Dahin gehoͤret auch in
gegenwaͤrtigem caſu, daß ich um keiner moral gewalt willen/ die wir darin-
nen zu ſtecken achten/ einen meineyd oder eigentliche luͤgen begehen darff. A-
ber es iſt ein unterſcheid unter den ſuͤndlichen handlungen/ deren einige eine
ſolche innerliche boßheit in ſich haben/ welche keinerley maſſen und nie recht
ſind. Zum exempel/ gotteslaͤſterung/ meineyd/ luͤgen/ verachtung GOttes/
haß des nechſten/ ehebruch und dergleichen/ andere aber beſtehen in ſolchen
handlungen/ die in ſich keine innerliche boßheit oder turpitudinem haben/
ſondern indifferente actiones ſind/ aber aus andern urſachen boͤſe werden:
bey jenen alſo iſt nie muͤglich daß ſie erlaubt werden/ oder durch eine gewalt
ſich aͤndern koͤnten/ nicht aber mag von dieſen gleiches geſagt werden. Da-
her zum 2. zu mercken/ daß das geben eines geſchencks an einen Richter/ oder
mit dem gericht beſchaͤfftigten perſon/ unter die erſte art nicht gehoͤre/ indem
das geben ſelbs eines geſchenckes in andern umſtaͤnden nichts boͤſes/ ſondern
ein freywilliger gebrauch des meinigen ſeyn kan/ auch moͤchte ich einer ſolchen
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[251/0259] ARTIC. II. SECTIO XVII. dem gemuͤth des Raths/ und wo ſie ſich nicht an mir auslaſſen kan/ mit bekom- mung eines geſchencks von mir/ ſo wird ſie etwa die gelegenheit bekommen/ ſich auszuuͤben in der erlangung von dem gegentheil und in ungerechtem ur- theil/ daher mir nicht muͤglich iſt/ die ſuͤnde zu verhuͤten/ ſondern nur noch in der wahl ſtehet/ in welchem objecto man ihm ſolches zu thun die gelegenheit laſſen oder geben wolle. Gleichwie ich nicht hoffe/ daß jemand verſtaͤndiger denjenigen/ welcher obiger maſſen von ſtraſſen-raͤubern/ ſein uͤbriges mit ei- ner geringern ſumme redimiret/ beſchuldigen werde/ daß er damit die raͤuber in ihrer boßheit ſtaͤrcke/ oder ihnen zur ſuͤnde anlaß gebe: daher ein gleiches von dem unter handen habenden caſu zu æſtimiren iſt. So iſt bereits bey den ethicis bekant und ausgemacht/ daß ſolche handlungen nicht bloß pro voluntariis oder ſpontaneis erkant/ ſondern mixtæ genennet werden/ welche die natur des wercks ſo fern aͤndern koͤnnen/ daß was aus ſolcher furcht und gewalt geſchihet/ mag nicht unrecht ſeyn/ ob es wol unrecht waͤre ohne ſolche gewalt. Zwahr moͤchte man ein wenden/ wir ſollen keine gewalt dem goͤttlichen befehl vorziehen/ ſondern lieber alles leiden/ ehe wir wider denſel- bigen ſuͤndigen wolten: welches ich auch geſtehe/ und deßwegen nicht erlaubt achte/ um angethaner gewalt willen etwas desjenigen zu thun/ was eine ſuͤn- de iſt. Zum exempel/ wo mich moͤrder zur verleugnung GOttes oder an- dern in ſich unrechten dingen noͤthigen wolten/ habe ich auch mein leben nicht zu theuer zu achten/ daß ich es mit ſolcher ſuͤnde erkauffen wolte/ ſondern da muß ich den nahmen des HErrn mit erwartung alles deſſen/ was goͤttlicher rath ihnen ferner uͤber mir verhaͤngen will/ heiligen. Dahin gehoͤret auch in gegenwaͤrtigem caſu, daß ich um keiner moral gewalt willen/ die wir darin- nen zu ſtecken achten/ einen meineyd oder eigentliche luͤgen begehen darff. A- ber es iſt ein unterſcheid unter den ſuͤndlichen handlungen/ deren einige eine ſolche innerliche boßheit in ſich haben/ welche keinerley maſſen und nie recht ſind. Zum exempel/ gotteslaͤſterung/ meineyd/ luͤgen/ verachtung GOttes/ haß des nechſten/ ehebruch und dergleichen/ andere aber beſtehen in ſolchen handlungen/ die in ſich keine innerliche boßheit oder turpitudinem haben/ ſondern indifferente actiones ſind/ aber aus andern urſachen boͤſe werden: bey jenen alſo iſt nie muͤglich daß ſie erlaubt werden/ oder durch eine gewalt ſich aͤndern koͤnten/ nicht aber mag von dieſen gleiches geſagt werden. Da- her zum 2. zu mercken/ daß das geben eines geſchencks an einen Richter/ oder mit dem gericht beſchaͤfftigten perſon/ unter die erſte art nicht gehoͤre/ indem das geben ſelbs eines geſchenckes in andern umſtaͤnden nichts boͤſes/ ſondern ein freywilliger gebrauch des meinigen ſeyn kan/ auch moͤchte ich einer ſolchen perſon auſſer den gerichtlichen geſchaͤfften/ auch nach geendigtem proceſſ aus einer bloſſen affection auff eine ſolche art/ da ſie und andere ſich nicht daran aͤrgern J i 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/259>, abgerufen am 22.11.2024.