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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XXVII.
gen? Ob ihr nicht finden werdet/ daß ihr euch durch manche falsche erzehlun-
gen offt erhitzen/ auch zu solchen klagen bewegen lassen/ die doch nach mals
ohne grund/ oder doch nicht gantz also bewandt gewesen sind? Ob ihr nicht so
wol mit einem Lehrer/ dessen treue/ und GOttes durch ihn bißher ausgerich-
tetes werck vor augen ligt/ und niemand widersprechen kan/ gedult zu tragen
habet? Ob ihn die angst seines gewissens/ die ihr dazu selbs grossen theils ver-
ursachet habt/ zuetwas getrieben/ das nicht nach der ordnung ist/ als um eines
mißfälligen willen den fruchtbaren gebrauch so viel anderer gaben/ zu hem-
men nicht begehren soltet? Ob ihr auch nicht mit anderen mit-bürgern/ die
anderer meinung sind/ billich in sanfftmuth und gedult umzugehen habet?
Jch versichere/ wo ihr in der furcht des HErrn diese dinge erwegen werdet/
wird sich die hefftigkeit bald legen/ und neben erhaltung der wahrheit auch
friede blühen. Da hingegen/ welche auch in einer in gewisser maaß guten
sache ohne liebe verfahren/ alles damit verderben/ aber eben dadurch auch die
schuld des daher entstehenden unheyls auff sich laden; die ich von euch allen
abgewendet zu werden/ hertzlich verlange. Jhr seyd auch schuldig/ wo ihr
scrupel des gewissens bey euren mit-brüdern findet/ in sie nicht zu starck zu
tringen; oder auch/ da in rechter ordnung ihnen eine freyheit gegeben würde/
euch zu hart zu widersetzen.

Jhr aber/ die ihr hingegen wider den beicht-stuhl eyfert/ prüfet
euch nicht weniger/ wie ihr vor GOtt stehet/ und seyd versichert/ ihr könnet
euch auch nicht rechtfertigen. Hat jemand unter euch theil an ausbreitung
der gedachten schrifft/ so seye er versichert/ er habe sich schwehrlich versündi-
get/ und viel gutes damit verdorben/ und wo ers gar für recht hält/ habe er
GOtt zu bitten/ ihm solchen irrthum zu benehmen. Jhr suchet die freyheit
vom beicht-stuhl: Sind aber nicht viele unter euch/ da bey allen zwahr der
vorwandt ist/ daß die einschrenckung der christlichen freyheit das gewissen
verletze/ bey denen aber wahrhafftig in dem grund ihrer seelen diese ursach
nicht ist; sondern wie etwa ihr leben nichts von einem ernstlichen Christen-
thum von sich zeiget/ also ist solchen in der beicht nichts zuwider/ als weil zu-
weilen aus gelegenheit der beicht/ von gewissenhafften Predigern ihnen des
lebens wegen mag zugesprochen werden/ daß sie auch dessen loß kommen wol-
len/ damit ja kein Prediger gelegenheit habe/ ihnen die doch so nöthige erin-
nerung zu thun. Derselben böse absicht aber zu befodern/ hoffe ich/ solten
die gewissenhaffteste unter euch selbs bedencken haben. Jch lasse aber gelten/
daß unter euch seyn werden/ welche bloß ihr gewissen in seiner zärtlichkeit
treibet/ und euch den beicht-stuhl/ wegen des wenigen nutzens/ den ihr davon
sehet/ auch etwa an euch selbs eimpfunden habt; hingegen der vielen euch be-
kannten mißbräuche/ gantz zu wider gemacht hat/ daß ihr für nöthig achtet/

ihn
Y 2

ARTIC. I. SECTIO XXVII.
gen? Ob ihr nicht finden werdet/ daß ihr euch durch manche falſche erzehlun-
gen offt erhitzen/ auch zu ſolchen klagen bewegen laſſen/ die doch nach mals
ohne grund/ oder doch nicht gantz alſo bewandt geweſen ſind? Ob ihr nicht ſo
wol mit einem Lehrer/ deſſen treue/ und GOttes durch ihn bißher ausgerich-
tetes werck vor augen ligt/ und niemand widerſprechen kan/ gedult zu tragen
habet? Ob ihn die angſt ſeines gewiſſens/ die ihr dazu ſelbs groſſen theils ver-
urſachet habt/ zuetwas getrieben/ das nicht nach der ordnung iſt/ als um eines
mißfaͤlligen willen den fruchtbaren gebrauch ſo viel anderer gaben/ zu hem-
men nicht begehren ſoltet? Ob ihr auch nicht mit anderen mit-buͤrgern/ die
anderer meinung ſind/ billich in ſanfftmuth und gedult umzugehen habet?
Jch verſichere/ wo ihr in der furcht des HErrn dieſe dinge erwegen werdet/
wird ſich die hefftigkeit bald legen/ und neben erhaltung der wahrheit auch
friede bluͤhen. Da hingegen/ welche auch in einer in gewiſſer maaß guten
ſache ohne liebe verfahren/ alles damit verderben/ aber eben dadurch auch die
ſchuld des daher entſtehenden unheyls auff ſich laden; die ich von euch allen
abgewendet zu werden/ hertzlich verlange. Jhr ſeyd auch ſchuldig/ wo ihr
ſcrupel des gewiſſens bey euren mit-bruͤdern findet/ in ſie nicht zu ſtarck zu
tringen; oder auch/ da in rechter ordnung ihnen eine freyheit gegeben wuͤrde/
euch zu hart zu widerſetzen.

Jhr aber/ die ihr hingegen wider den beicht-ſtuhl eyfert/ pruͤfet
euch nicht weniger/ wie ihr vor GOtt ſtehet/ und ſeyd verſichert/ ihr koͤnnet
euch auch nicht rechtfertigen. Hat jemand unter euch theil an ausbreitung
der gedachten ſchrifft/ ſo ſeye er verſichert/ er habe ſich ſchwehrlich verſuͤndi-
get/ und viel gutes damit verdorben/ und wo ers gar fuͤr recht haͤlt/ habe er
GOtt zu bitten/ ihm ſolchen irrthum zu benehmen. Jhr ſuchet die freyheit
vom beicht-ſtuhl: Sind aber nicht viele unter euch/ da bey allen zwahr der
vorwandt iſt/ daß die einſchrenckung der chriſtlichen freyheit das gewiſſen
verletze/ bey denen aber wahrhafftig in dem grund ihrer ſeelen dieſe urſach
nicht iſt; ſondern wie etwa ihr leben nichts von einem ernſtlichen Chriſten-
thum von ſich zeiget/ alſo iſt ſolchen in der beicht nichts zuwider/ als weil zu-
weilen aus gelegenheit der beicht/ von gewiſſenhafften Predigern ihnen des
lebens wegen mag zugeſprochen werden/ daß ſie auch deſſen loß kommen wol-
len/ damit ja kein Prediger gelegenheit habe/ ihnen die doch ſo noͤthige erin-
nerung zu thun. Derſelben boͤſe abſicht aber zu befodern/ hoffe ich/ ſolten
die gewiſſenhaffteſte unter euch ſelbs bedencken haben. Jch laſſe aber gelten/
daß unter euch ſeyn werden/ welche bloß ihr gewiſſen in ſeiner zaͤrtlichkeit
treibet/ und euch den beicht-ſtuhl/ wegen des wenigen nutzens/ den ihr davon
ſehet/ auch etwa an euch ſelbs eimpfunden habt; hingegen der vielen euch be-
kannten mißbraͤuche/ gantz zu wider gemacht hat/ daß ihr fuͤr noͤthig achtet/

ihn
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[171/0179] ARTIC. I. SECTIO XXVII. gen? Ob ihr nicht finden werdet/ daß ihr euch durch manche falſche erzehlun- gen offt erhitzen/ auch zu ſolchen klagen bewegen laſſen/ die doch nach mals ohne grund/ oder doch nicht gantz alſo bewandt geweſen ſind? Ob ihr nicht ſo wol mit einem Lehrer/ deſſen treue/ und GOttes durch ihn bißher ausgerich- tetes werck vor augen ligt/ und niemand widerſprechen kan/ gedult zu tragen habet? Ob ihn die angſt ſeines gewiſſens/ die ihr dazu ſelbs groſſen theils ver- urſachet habt/ zuetwas getrieben/ das nicht nach der ordnung iſt/ als um eines mißfaͤlligen willen den fruchtbaren gebrauch ſo viel anderer gaben/ zu hem- men nicht begehren ſoltet? Ob ihr auch nicht mit anderen mit-buͤrgern/ die anderer meinung ſind/ billich in ſanfftmuth und gedult umzugehen habet? Jch verſichere/ wo ihr in der furcht des HErrn dieſe dinge erwegen werdet/ wird ſich die hefftigkeit bald legen/ und neben erhaltung der wahrheit auch friede bluͤhen. Da hingegen/ welche auch in einer in gewiſſer maaß guten ſache ohne liebe verfahren/ alles damit verderben/ aber eben dadurch auch die ſchuld des daher entſtehenden unheyls auff ſich laden; die ich von euch allen abgewendet zu werden/ hertzlich verlange. Jhr ſeyd auch ſchuldig/ wo ihr ſcrupel des gewiſſens bey euren mit-bruͤdern findet/ in ſie nicht zu ſtarck zu tringen; oder auch/ da in rechter ordnung ihnen eine freyheit gegeben wuͤrde/ euch zu hart zu widerſetzen. Jhr aber/ die ihr hingegen wider den beicht-ſtuhl eyfert/ pruͤfet euch nicht weniger/ wie ihr vor GOtt ſtehet/ und ſeyd verſichert/ ihr koͤnnet euch auch nicht rechtfertigen. Hat jemand unter euch theil an ausbreitung der gedachten ſchrifft/ ſo ſeye er verſichert/ er habe ſich ſchwehrlich verſuͤndi- get/ und viel gutes damit verdorben/ und wo ers gar fuͤr recht haͤlt/ habe er GOtt zu bitten/ ihm ſolchen irrthum zu benehmen. Jhr ſuchet die freyheit vom beicht-ſtuhl: Sind aber nicht viele unter euch/ da bey allen zwahr der vorwandt iſt/ daß die einſchrenckung der chriſtlichen freyheit das gewiſſen verletze/ bey denen aber wahrhafftig in dem grund ihrer ſeelen dieſe urſach nicht iſt; ſondern wie etwa ihr leben nichts von einem ernſtlichen Chriſten- thum von ſich zeiget/ alſo iſt ſolchen in der beicht nichts zuwider/ als weil zu- weilen aus gelegenheit der beicht/ von gewiſſenhafften Predigern ihnen des lebens wegen mag zugeſprochen werden/ daß ſie auch deſſen loß kommen wol- len/ damit ja kein Prediger gelegenheit habe/ ihnen die doch ſo noͤthige erin- nerung zu thun. Derſelben boͤſe abſicht aber zu befodern/ hoffe ich/ ſolten die gewiſſenhaffteſte unter euch ſelbs bedencken haben. Jch laſſe aber gelten/ daß unter euch ſeyn werden/ welche bloß ihr gewiſſen in ſeiner zaͤrtlichkeit treibet/ und euch den beicht-ſtuhl/ wegen des wenigen nutzens/ den ihr davon ſehet/ auch etwa an euch ſelbs eimpfunden habt; hingegen der vielen euch be- kannten mißbraͤuche/ gantz zu wider gemacht hat/ daß ihr fuͤr noͤthig achtet/ ihn Y 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/179>, abgerufen am 23.11.2024.