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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO III.
des gelübdes dahin/ weil sich niemand aus freyem willen zu etwas verbin-
den könte/ was göttlichem willen entgegen ist: auff welchem grunde es
zum theil beruhet/ daß die jenige/ so in dem Pabstthum das gelübd der ledi-
gen keuschheit gethan/ und ohne sünde solches nicht halten können/ mit gutem
gewissen sich davon loß machen mögen. Wiewol solches dabey erfordert
wird/ daß solche leute ihre unbedachtsamkeit vor GOTT etwas gelobt und
sich nicht zur gnüge geprüffet zu haben/ billich mit buß und demuth erstlich zu
erkennen haben/ ehe sie sich der befreyung davon getrösten mögen. 5. Wo
sich aber dergleichen nicht befindet/ sondern ein gelübd ist zwahr dem men-
schen beschwehrlich/ er kans aber ohne sünde gleichwol halten/ so traute ich
einen Christen davon nicht loß zu sprechen/ sondern halte davor/ die ehrerbie-
tung gegen seinen GOtt erfordere dieses/ daß er/ was er einmal demselben
zugesaget/ also lang zu halten willig seye/ als ihm müglich ist/ und derselbige
ihn nicht selbs davon loß spricht. Wir haben Gottes austrücklichen be-
fehl in dem A. T. 4. Mos. 30/ 3. Wenn jemand dem HErrn ein ge-
lübde thut/ oder einen eyd schwehret/ daß er seine seele verbindet/ der
soll sein Wort nicht schwächen/ sondern alles thun/ wie es zu seinem
munde ist ausgegangen.
Und 5. Mos. 23/ 21. u. f. Wenn du dem
HErrn deinem GOTT ein gelübde thust/ so solt du es nicht verzie-
hen zu halten. Denn der HErr dein GOtt wirds von dir fordern/
und wird dir sünde seyn. Wann du das geloben unterwegen lässest/
so ist dirs keine sünde. Aber was zu deinen lippen ausgegangen ist/
solt du halten/ und darnach thun/ wie du dem HErrn deinem GOtt
freywillig gelobet hast/ das du mit deinem munde geredet hast.

Diese verordnungen aber haben wir nicht anzusehen/ als wären sie allein
stücke des levitischen gesetzes/ so uns Christen nicht verbünden: indem sie viel-
mehr eine pflicht sind der natürlichen gerechtigkeit. Dann diejenige ge-
rechtigkeit und wahrheit/ welche von mir fordert/ daß ich meinem nechsten/
dem ich etwas zugesagt habe/ das versprochene halte/ erfordert nicht weniger
von mir/ daß ich GOtt das angelobte halte: und wie sich mein nechster darü-
ber beschwehret/ und es als einen mangel der wahrheit/ der liebe und so er
sonderlich vornehmer ist/ des respects, annimmet/ wo ich mit der leistung zu-
rück bleibe/ ja so viel höher er gegen mir ist/ solche unterlassung zu so viel meh-
rerem schimpff sich anziehet; eben also streitets auch wider die ehrerbietung
gegen GOTT so wol/ als wider die wahrheit/ wo ich mir die freyheit neh-
men wolte/ das jenige zu schwächen/ was ich meinem GOTT gelobet
habe/ gegen welchen ich gleichwol alles unterlassen solle/ was nur den
geringsten schein einer verachtung gewinnen möchte. Weßwegen ich auch

nicht
B

ARTIC. I. SECTIO III.
des geluͤbdes dahin/ weil ſich niemand aus freyem willen zu etwas verbin-
den koͤnte/ was goͤttlichem willen entgegen iſt: auff welchem grunde es
zum theil beruhet/ daß die jenige/ ſo in dem Pabſtthum das geluͤbd der ledi-
gen keuſchheit gethan/ und ohne ſuͤnde ſolches nicht halten koͤnnen/ mit gutem
gewiſſen ſich davon loß machen moͤgen. Wiewol ſolches dabey erfordert
wird/ daß ſolche leute ihre unbedachtſamkeit vor GOTT etwas gelobt und
ſich nicht zur gnuͤge gepruͤffet zu haben/ billich mit buß und demuth erſtlich zu
erkennen haben/ ehe ſie ſich der befreyung davon getroͤſten moͤgen. 5. Wo
ſich aber dergleichen nicht befindet/ ſondern ein geluͤbd iſt zwahr dem men-
ſchen beſchwehrlich/ er kans aber ohne ſuͤnde gleichwol halten/ ſo traute ich
einen Chriſten davon nicht loß zu ſprechen/ ſondern halte davor/ die ehrerbie-
tung gegen ſeinen GOtt erfordere dieſes/ daß er/ was er einmal demſelben
zugeſaget/ alſo lang zu halten willig ſeye/ als ihm muͤglich iſt/ und derſelbige
ihn nicht ſelbs davon loß ſpricht. Wir haben Gottes austruͤcklichen be-
fehl in dem A. T. 4. Moſ. 30/ 3. Wenn jemand dem HErrn ein ge-
luͤbde thut/ oder einen eyd ſchwehret/ daß er ſeine ſeele verbindet/ der
ſoll ſein Wort nicht ſchwaͤchen/ ſondern alles thun/ wie es zu ſeinem
munde iſt ausgegangen.
Und 5. Moſ. 23/ 21. u. f. Wenn du dem
HErrn deinem GOTT ein geluͤbde thuſt/ ſo ſolt du es nicht verzie-
hen zu halten. Denn der HErr dein GOtt wirds von dir fordern/
und wird dir ſuͤnde ſeyn. Wann du das geloben unterwegen laͤſſeſt/
ſo iſt dirs keine ſuͤnde. Aber was zu deinen lippen ausgegangen iſt/
ſolt du halten/ und darnach thun/ wie du dem HErrn deinem GOtt
freywillig gelobet haſt/ das du mit deinem munde geredet haſt.

Dieſe verordnungen aber haben wir nicht anzuſehen/ als waͤren ſie allein
ſtuͤcke des levitiſchen geſetzes/ ſo uns Chriſten nicht verbuͤnden: indem ſie viel-
mehr eine pflicht ſind der natuͤrlichen gerechtigkeit. Dann diejenige ge-
rechtigkeit und wahrheit/ welche von mir fordert/ daß ich meinem nechſten/
dem ich etwas zugeſagt habe/ das verſprochene halte/ erfordert nicht weniger
von mir/ daß ich GOtt das angelobte halte: und wie ſich mein nechſter daruͤ-
ber beſchwehret/ und es als einen mangel der wahrheit/ der liebe und ſo er
ſonderlich vornehmer iſt/ des reſpects, annimmet/ wo ich mit der leiſtung zu-
ruͤck bleibe/ ja ſo viel hoͤher er gegen mir iſt/ ſolche unterlaſſung zu ſo viel meh-
rerem ſchimpff ſich anziehet; eben alſo ſtreitets auch wider die ehrerbietung
gegen GOTT ſo wol/ als wider die wahrheit/ wo ich mir die freyheit neh-
men wolte/ das jenige zu ſchwaͤchen/ was ich meinem GOTT gelobet
habe/ gegen welchen ich gleichwol alles unterlaſſen ſolle/ was nur den
geringſten ſchein einer verachtung gewinnen moͤchte. Weßwegen ich auch

nicht
B
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[9/0017] ARTIC. I. SECTIO III. des geluͤbdes dahin/ weil ſich niemand aus freyem willen zu etwas verbin- den koͤnte/ was goͤttlichem willen entgegen iſt: auff welchem grunde es zum theil beruhet/ daß die jenige/ ſo in dem Pabſtthum das geluͤbd der ledi- gen keuſchheit gethan/ und ohne ſuͤnde ſolches nicht halten koͤnnen/ mit gutem gewiſſen ſich davon loß machen moͤgen. Wiewol ſolches dabey erfordert wird/ daß ſolche leute ihre unbedachtſamkeit vor GOTT etwas gelobt und ſich nicht zur gnuͤge gepruͤffet zu haben/ billich mit buß und demuth erſtlich zu erkennen haben/ ehe ſie ſich der befreyung davon getroͤſten moͤgen. 5. Wo ſich aber dergleichen nicht befindet/ ſondern ein geluͤbd iſt zwahr dem men- ſchen beſchwehrlich/ er kans aber ohne ſuͤnde gleichwol halten/ ſo traute ich einen Chriſten davon nicht loß zu ſprechen/ ſondern halte davor/ die ehrerbie- tung gegen ſeinen GOtt erfordere dieſes/ daß er/ was er einmal demſelben zugeſaget/ alſo lang zu halten willig ſeye/ als ihm muͤglich iſt/ und derſelbige ihn nicht ſelbs davon loß ſpricht. Wir haben Gottes austruͤcklichen be- fehl in dem A. T. 4. Moſ. 30/ 3. Wenn jemand dem HErrn ein ge- luͤbde thut/ oder einen eyd ſchwehret/ daß er ſeine ſeele verbindet/ der ſoll ſein Wort nicht ſchwaͤchen/ ſondern alles thun/ wie es zu ſeinem munde iſt ausgegangen. Und 5. Moſ. 23/ 21. u. f. Wenn du dem HErrn deinem GOTT ein geluͤbde thuſt/ ſo ſolt du es nicht verzie- hen zu halten. Denn der HErr dein GOtt wirds von dir fordern/ und wird dir ſuͤnde ſeyn. Wann du das geloben unterwegen laͤſſeſt/ ſo iſt dirs keine ſuͤnde. Aber was zu deinen lippen ausgegangen iſt/ ſolt du halten/ und darnach thun/ wie du dem HErrn deinem GOtt freywillig gelobet haſt/ das du mit deinem munde geredet haſt. Dieſe verordnungen aber haben wir nicht anzuſehen/ als waͤren ſie allein ſtuͤcke des levitiſchen geſetzes/ ſo uns Chriſten nicht verbuͤnden: indem ſie viel- mehr eine pflicht ſind der natuͤrlichen gerechtigkeit. Dann diejenige ge- rechtigkeit und wahrheit/ welche von mir fordert/ daß ich meinem nechſten/ dem ich etwas zugeſagt habe/ das verſprochene halte/ erfordert nicht weniger von mir/ daß ich GOtt das angelobte halte: und wie ſich mein nechſter daruͤ- ber beſchwehret/ und es als einen mangel der wahrheit/ der liebe und ſo er ſonderlich vornehmer iſt/ des reſpects, annimmet/ wo ich mit der leiſtung zu- ruͤck bleibe/ ja ſo viel hoͤher er gegen mir iſt/ ſolche unterlaſſung zu ſo viel meh- rerem ſchimpff ſich anziehet; eben alſo ſtreitets auch wider die ehrerbietung gegen GOTT ſo wol/ als wider die wahrheit/ wo ich mir die freyheit neh- men wolte/ das jenige zu ſchwaͤchen/ was ich meinem GOTT gelobet habe/ gegen welchen ich gleichwol alles unterlaſſen ſolle/ was nur den geringſten ſchein einer verachtung gewinnen moͤchte. Weßwegen ich auch nicht B

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/17>, abgerufen am 25.11.2024.